Spezialkanzleien haben angeblich einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den großen Law Firms: Weil ihnen die Einbindung in ein internationales Netzwerk fehlt, tun sie sich mit grenzüberschreitenden Mandaten schwer. Tatsächlich endet aber das Geschäft der Boutiquen nicht an der Landesgrenze. Um international mitmischen zu können, schmieden sie Allianzen.
Mumbai, im November 2014. Dreißig gut gelaunte Anwälte versammeln sich auf der Terrasse eines Tagungszentrums zum Gruppenbild und lächeln in die Kamera, im Hintergrund die Skyline der indischen Metropole. Die meisten tragen ein typisches Business-Outfit: dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Doch hier und da ist ein Sari zu sehen, ein kunstvoll gebundener Turban, ein Leinenanzug mit asiatischem Stehkragen. Die Juristen sind Mitglieder der Roxin Alliance, die in Mumbai ihr Jahrestreffen abhält.
Die Alliance - 2011 gegründet und nach eigener Aussage das bislang einzige internationale Kanzlei-Netzwerk für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht sowie Compliance-Beratung – verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass die Globalisierung auch vor dem Strafrecht nicht halt macht und sich die Strafverfolgung zusehends internationalisiert. "Wir schließen damit eine Lücke im Wirtschaftsstrafrecht", ist Dr. Karl Sidhu überzeugt. Er ist Partner bei Roxin und zugleich einer der vier "Directors", dem Führungsgremium des Netzwerks.
Wirtschaftsstrafrecht ist eine Materie für kleine, unabhängige Kanzleien oder Einzelanwälte. Nur wenige internationale Großkanzleien bieten den Bereich als Beratungsfeld überhaupt an. Und wenn, dann sind sie vor allem auf Unternehmensseite tätig und übernehmen wegen möglicher Interessenskonflikte nur selten eine Individualverteidigung. Doch die vielen kleinen Einheiten stoßen an ihre Grenzen, wenn Mandate einen internationalen Anstrich bekommen.
Kleine Kanzleien stoßen an Ländergrenzen
"Wie man das Auslandsgeschäft abdecken will, ist eine grundsätzliche Frage, die sich jede Kanzlei, die internationale Mandate betreut, irgendwann stellen muss", sagt Sidhu. Denkbar seien natürlich eigene Büros im Ausland, die sich dann aber auf wenige ausgewählte Länder beschränken würden. Bei Roxin hat man sich daher für ein weltweites Netzwerk entschieden. Weil es keines gab, haben die Anwälte eben kurzerhand selbst eines aufgebaut.
Nur wenige Monate vor Gründung der Roxin Alliance ging ein anderes Netzwerk von Spezialkanzleien an den Start: L&E Global, laut Eigenwerbung "die weltweit erste Integrated Legal Alliance, die sich auf die Erbringung von grenzüberschreitender Rechtsberatung in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten spezialisiert hat". Zu den Gründungsmitgliedern gehört in Deutschland die Arbeitsrechtsboutique Pusch Wahlig Legal.
Alle Partner bei Pusch Wahlig sind ehemalige Anwälte von Großkanzleien, das internationale Arbeiten war ihnen also in Fleisch und Blut übergegangen. Auch in der eigenen Einheit wollten sie auf ihre guten Auslandskontakte zurückgreifen, zumal sie in der Arbeitgeber-Beratung schnell festgestellt haben, dass die Mandanten das Bedürfnis nach Beratung in mehreren Jurisdiktionen haben, wie Dr. Tobias Pusch, Gründungspartner der Kanzlei und Aufsichtsratsvorsitzender bei L&E Global, berichtet.
Ein Netzwerk kann nur so gut sein wie seine Mitglieder. Und sowohl die Roxin Alliance als auch L&E Global sind wählerisch, wenn es um die Aufnahme neuer Kanzleien geht. Wichtig ist beiden Netzwerken, dass die Partnerkanzleien zu den führenden ihres Landes gehören. "Wir gehen nach Empfehlungen, ziehen Rankings heran und entscheiden dann nach einem persönlichen Treffen", berichtet Sidhu. Auch bei L&E Global gibt es eine ausgefeilte Due Diligence der Aspiranten, "die Berichte umfassen gut 20 Seiten", erzählt Pusch.
2/2 Wie schnell ist "schnellstmöglich"?
Die Roxin Alliance achtet außerdem darauf, dass die Strafrechtler "fließend Englisch sprechen und eine Dienstleistungsmentalität haben, die man braucht, wenn man als Anwalt Unternehmen berät", wie Sidhu es ausdrückt. Während solche Strafrechter in Industriestaaten wie Italien meist unproblematisch zu finden sind, tut sich die Alliance beispielsweise in Serbien oder der Ukraine erheblich schwerer. "Wenn wir in solchen Ländern Kanzleien auffinden, die unsere Kriterien erfüllen, oder sie sich an uns wenden, dann greifen wir gern zu."
L&E Global legt strenge Maßstäbe an, was die Zusammenarbeit in den Mandaten angeht. Jede Mitgliedskanzlei muss ein internationales Team bilden, das die Mandate des Netzwerks bearbeitet. Es gibt regelmäßige Treffen, gemeinsame Arbeit an Publikationen und kollektive Pitches.
Die Mitglieder verpflichten sich auch auf zehn Qualitätsregeln, zum Beispiel eine verbindliche "Response Time", also eine Zeitspanne, innerhalb derer auf Anfragen aus dem Netzwerk reagiert werden muss. Hier hat L&E Global Lehrgeld bezahlt, erzählt Pusch. "Zuerst hatten wir die Response Time als 'schnellstmöglich' definiert. Weil sich das aber als dehnbarer Begriff erwiesen hat, haben wir sie jetzt auf drei Stunden festgelegt."
Strenge Regeln, doch Pusch ist überzeugt, dass sie nötig sind: "Ein loses Netzwerk reicht nicht aus, um im Top-Segment zu beraten. Wichtig sind Aspekte wie Geschwindigkeit und Qualitätssicherung, das erreicht man nur durch ein höheres Maß an Integration", ist er überzeugt.
Gedankenspiel internationale Fusion
Bei der Roxin Alliance ist die Zusammenarbeit nicht so eng, wichtig für die Macher des Netzwerkes sind vielmehr Cross-Referrals, also das Verweisgeschäft innerhalb der Allianz, sowie der Wissensaustausch. Gemeinsame Pitches, wie es bei L&E Global angestrebt wird, sind nach Ansicht von Sidhu im Strafrecht eher die Ausnahme. "Die Zusammenarbeit ist vor allem mandatsbezogen. Für uns ist entscheidend, in möglichst vielen Ländern einen verlässlichen Partner zu haben, dem wir ein wichtiges Mandat anvertrauen können."
Bei solch enger Zusammenarbeit im Netzwerk liegt es eigentlich nahe, über eine Fusion der Kanzleien nachzudenken. Eine grenzübergreifende Spezialkanzlei für Arbeitsrecht oder Strafrecht wäre zumindest ein genialer Marketingcoup. Und tatsächlich kam das Thema eines Zusammenschlusses in beiden Allianzen schon einmal auf, wurde aber schnell wieder zu den Akten gelegt.
Denn die Netzwerkkanzleien haben üblicherweise in ihrem lokalen Markt seit vielen Jahren einen etablierten Namen - und sie befürchten Nachteile, wenn sie unter dem völlig neuen Markennamen einer fusionierten Kanzlei auftreten müssten. Viele der Anwälte, die in den Boutiquen arbeiten, haben sich meist auch sehr bewusst gegen eine Karriere in der Großkanzlei entschieden und zeigen daher wenig Begeisterung, nun selbst eine zu formieren.
Die große Frage ist jedoch, ob ein Zusammenschluss wirtschaftlich überhaupt sinnvoll wäre. Eine international fusionierte Kanzlei hätte höhere allgemeine Kosten, die sie dann auf die Honorare umlegen müsste. Doch im Wettbewerb mit den Law Firms werben die Boutiquen gerne damit, dass sie ihre Dienste dank niedrigerer Kosten günstiger anbieten können. Dieses Argument würde dann jedenfalls nicht mehr ziehen.
Anja Hall, Spezialkanzleien und ihr internationales Geschäft: Grenzen überwinden . In: Legal Tribune Online, 28.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14499/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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