Smart Contracts, also automatisierte Verträge, werden die Anwaltsarbeit stark verändern – etwa durch digitale Rechtsübertragung oder neue Formen der Konfliktlösung. Höchste Zeit, sich mit dem Thema zu befassen, meint Micha-Manuel Bues.
Sie fahren an einem sommerlichen Sonntagmorgen mit ihrem neuen Aston Martin durch die malerische Landschaft Oberbayerns. Sie wollen ihrem Beifahrer zeigen, dass auch in ihnen Agentenblut fließt. Sie beschleunigen kraftvoll, schneiden ein paar Kurven und überholen langsame Rentner-Autos. Nach einiger Zeit zeigt ein Display auf ihrer Kontrollkonsole an, dass die Prämie ihrer Kfz-Versicherung um 20 Prozent gestiegen ist.
Das hört sich nach Science Fiction an, könnte aber im Zeitalter von "Connected Mobility" bald Realität sein. Für den Juristen ist an diesem Blick in die Zukunft bemerkenswert, dass die Vertragsabwicklung – also die Anpassung der Versicherungsprämie – vollautomatisch abläuft. Menschliche Interaktionen nicht erforderlich.
Möglich machen diese automatische Vertragsabwicklung sogenannte Smart Contracts. Der Begriff geht auf den visionären Informatiker und Juristen Nick Szabo, Pionier der Kryptowährung Bitcoin, zurück. In einem Artikel von 1994 (!) wird der Begriff erstmals erwähnt. In einem weiteren Artikel präsentiert Szabo folgende Definition: "A smart contract is a set of promises, specified in digital form, including protocols within which the parties perform on these promises."
Programme kontrollieren Vertragsbedingungen
Smart Contracts enthalten also Vereinbarungen, welche die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien regeln - sie dienen damit der Gestaltung von Rechtsbeziehungen. Soweit nichts Besonderes und aus dem Grundkurs BGB bekannt. Die weiteren Definitionsmerkmale "digital form" und "protocols" markieren den Unterschied zum herkömmlichen Vertrag, den jeder Jurastudent aus den ersten Vorlesungsstunden kennt.
"Digital form" bedeutet, dass die Verträge in maschinenlesbarem Code geschrieben sein müssen. Nur so kann ein (Netzwerk von) Computern den Vertrag ausführen. Die "protocols" beschreiben eine bestimmte Technologie, auf deren Basis die Verträge ausgeführt und in verifizierbarer Weise dokumentiert werden. Diese Technologie ist der Garant für die Integrität und Verlässlichkeit der Daten. Als Technologie kann beispielsweise das Blockchain-Prinzip eingesetzt werden.
Smart Contracts sind mit anderen Worten Programme, welche die Bedingungen eines Vertrages computerbasiert kontrollieren und einzelne Vertragsbestandteile automatisiert ausführen können. Das Besondere ist, dass für die Abwicklung von Smart Contracts keine Mittelsmänner oder Anwälte erforderlich sind. Die Verträge sind selbst intelligent (= smart) genug. Auch die Vertragsparteien müssen sich nicht vertrauen. Das Vertrauen wird allein über bestimmte Technologien vermittelt.
Bereits heute im Einsatz
Smart Contracts werden bereits heute genutzt, wenn auch noch häufig unbemerkt: Sie werden schon seit längerem bei Bargeldautomaten, beim elektronischen Datenaustausch (EDI) und beim Digital Rights Management (DRM) eingesetzt. Bei diesen Verfahren erfassen Computer bestimmte Daten, werten diese aus und führen die Vertragsbedingungen vollautomatisiert aus. Das sind zugegebenermaßen Einsatzgebiete, die unser Verhältnis und Verständnis von Verträgen wohl kaum nachhaltig beeinflussen dürften.
Doch die Smart Contracts werden in den nächsten Jahren zu einer Alltagserfahrung werden. Durch das "Internet of Things" und "Smart Property" können Smart Contracts ihr ganzes Potenzial ausspielen. Das Internet der Dinge beschreibt die Fähigkeit von physischen Objekten, Daten an das Internet zu senden und zu empfangen. Diese Fähigkeit kann mit Smart Contracts verknüpft werden. Hierdurch wird es beispielsweise möglich, dass eine Waschmaschine automatisch Waschmittel nachbestellt und bezahlt.
Hinter "Smart Property" steckt die Idee, dass physische Gegenständen digital eindeutig markiert werden und daher als digitales Gut gehandelt werden können. Eigentum und Besitz an Gegenständen könnten dann digital in eindeutig nachvollziehbarer Weise übertragen werden.
2/2: Digitale Rechtsübertragung denkbar
Hieraus ergeben sich viele, bislang kaum denkbare Einsatzmöglichkeiten: Man könnte ein Auto verkaufen und Eigentum daran übertragen, ohne dass eine Übergabe des Autos, Fahrzeugscheins oder Schlüssels erforderlich wären. Die Rechtsübertragung würde komplett digital ablaufen.
Auch die digitale Vermietung eines Hauses wäre denkbar: Alle Schlösser an dem Haus sind mit dem Internet verbunden. Wenn die Zahlung der Miete erfolgt, werden automatisch die Türen für das Haus entriegelt. Als Schlüssel dient eine App auf dem Smartphone. Diese Beispiele zeigen, dass Vermittlungsdienste wie Makler oder Airbnb überflüssig werden könnten.
Smart Contracts generieren kein eigenes Recht…
Werden durch Smart Contracts auch Anwälte und oder gar das Rechtsystem überflüssig, da Menschen für die Vertragsabwicklung nicht mehr erforderlich sind? Davon ist derzeit nicht auszugehen. Smart Contracts sind Teil des Rechtssystem und stehen nicht etwa über oder neben ihm. Die Übertragung von Rechten richtet sich daher ausschließlich nach dem geschriebenen Recht. Eine Übertragung von Smart Property an einem Grundstück führt ohne Beachtung der Formvorschriften beispielsweise nicht zu einer Übertragung von Eigentum.
Smart Contracts sind daher aus rechtlicher Sicht derzeit nichts anderes als Programme, die eine automatische Vertragsausführung ermöglichen. Sie generieren kein eigenes Recht. Die Nutzung dieser Technologien kann aber eine faktische Wirkung entfalten und dadurch zu einer sukzessiven Anerkennung durch Gesetzgeber führen. In Vermont gibt es beispielsweise konkrete Bestrebungen, Smart Contracts auf Grundlage des Blockchain-Prinzips in das Rechtssystem einzubetten.
…könnten aber das Gerichtssystem ablösen
Smart Contracts werden in jedem Fall einen erheblichen faktischen Einfluss darauf haben, wie das Rechtssystem und Juristen arbeiten. Und sie werden eine neue Form der Streitschlichtung hervorrufen. Experten gehen davon aus, dass das traditionelle Gerichtssystem von digitalen Formen der Konfliktlösung mehr und mehr abgelöst werden wird. Smart Contracts brauchen keine Gerichte oder Anwälte, um im Streitfall den Vertragsinhalt durchzusetzen. Die Möglichkeit der automatischen Rechtsdurchsetzung dürfte die Rechtsdurchsetzung insgesamt erschwinglicher machen. Es bleibt abzuwarten, ob derartige Möglichkeiten vom deutschen Gesetzgeber anerkannt und gefördert werden.
Vom Rechtsanwender zum Rechtsprogrammierer
Durch Smart Contracts werden neue Arbeitsfelder für Juristen entstehen. Anwälte werden beispielsweise digitale Vertragsformulare erstellen, die von Anwendern für verschiedenste Zwecke genutzt werden. Juristen werden somit vom Rechtsanwender zum Rechtsprogrammierer. Da Smart Contracts aus weltweit einheitlichem Code bestehen, verschwinden Sprachbarrieren und Jurisdiktionsgrenzen. Der Wettbewerb um die besten Smart Contracts wird international ausgetragen werden. In einem transparenten Markt werden sich die besten Smart Contracts, ähnlich wie beispielsweise Smartphone-Apps, durchsetzen. Durch die Verschmelzung von Code und Vertrag erhalten aber auch Rechtsgebiete wie das Datenschutzrecht und Cybersecurity immer wichtigere Rollen.
Die Entwicklung und Vermarktung von Smart Contracts steckt derzeit noch in den Kinderschuhen. Es wird spannend zu beobachten sein, wohin die Reise geht. Vieles wird letztendlich von der Akzeptanz der Nutzer abhängen: Smart Contracts werden erst dann wirklich erfolgreich sein, wenn die Handhabung so einfach wird wie mit klassischen Verträgen. Einige Unternehmen, wie beispielsweise BitHalo, Ethereum, Hedgy, MoneyCircles, SmartContract und Stampery, haben sich bereits frühzeitig in diesem Markt positioniert. Sie bieten Smart Contracts mit relativer einfacher, intuitiver Handhabung an. Auch Microsoft ist über seine Plattform Azure und einer Partnerschaft mit Consensys in das Smart Contracts-Geschäft eingestiegen. Andere Firmen stehen in den Startlöchern. Es ist zu erwarten, dass sich der Smart Contracts-Markt aufgrund des enormen Marktpotentials und der Alltagsrelevanz rasant entwickeln wird. Ein guter Grund, sich bereits jetzt mit Smart Contracts näher zu beschäftigen.
Der Autor Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Anwalt und Legal Tech Experte, betreibt den Blog www.legal-tech-blog.de
Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Smart Contracts - Smart Lawyers: Übernehmen Computer im Vertragsrecht? . In: Legal Tribune Online, 01.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17714/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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