Schreibkraft, Tippse – für Assistenten gibt es viele, wenig schmeichelhafte Namen. Marc Schlichtmann, seit vielen Jahren Assistent in einer Großkanzlei, spricht mit LTO über gegenseitige Wertschätzung und Hierarchien in Kanzleien.
LTO: Wie sah der Berufsalltag am Anfang Ihrer Karriere aus?
Marc Schlichtmann: Als ich 2001 zum ersten Mal in einer Großkanzlei gearbeitet habe, sind die Anwälte bei einer Transaktion in einen Datenraum gefahren, haben flüsternd etwas abdiktiert und kamen mit etlichen Kassetten wieder, die die Assistentinnen dann abgetippt haben. Heute gibt es elektronische Datenräume, das ist kein Vergleich. Oder nehmen wir den Bandsalat, weil eine Kassette zu oft verwendet wurde. Heute werden alle Diktate elektronisch an die Sekretariate überliefert. Auch Steno gehört seit vielen Jahren der Vergangenheit an.
LTO: Inwiefern hat sich das Berufsbild seit Ihrem Berufseinstieg verändert?
Schlichtmann: Die Anforderungen sind definitiv komplexer geworden. Man muss mehr können als damals in den Neunzigern. Wichtig sind Fremdsprachenkenntnisse. Außerdem muss man stressresistenter, belastbarer und flexibler als früher sein. Die Arbeit insgesamt ist schnelllebiger geworden. Das ist sicher in jedem Bereich so, aber bei international agierenden Unternehmen von einer gewissen Größe ist die Taktung nochmal etwas höher.
Außerdem muss man sich kontinuierlich mit neuen Computerprogrammen auseinandersetzen und mit Veränderungen umgehen lernen. Das Berufsbild wandelt sich ständig und wer sich nicht weiterentwickeln will, wird irgendwann den Anschluss verpassen.
"Mit gegenseitiger Wertschätzung würde vieles besser funktionieren"
LTO: Gibt es typische Missverständnisse zwischen Assistenz und Chef oder Chefin?
Schlichtmann: Weit verbreitet ist leider die Annahme, dass Assistenz heute ja eigentlich jeder kann. Fragen wie 'Braucht man dafür überhaupt eine Ausbildung?' sind keine Seltenheit. Das zeigt, wie wenig respektiert dieser Beruf noch immer ist. Respekt ist auch genau das Stichwort. Vieles würde besser funktionieren, wenn man sich gegenseitig wertschätzt.
Das Management-Tandem kann nur vorwärts kommen, wenn beide treten. Das bedeutet: Wenn nur einer arbeitet, dann funktioniert das nicht – wie in einer Beziehung. Auch ein Chef oder eine Chefin darf nicht bremsen, es braucht vereinte Kräfte auf beiden Seiten.
LTO: Was ist die Besonderheit an der Arbeit in einer Kanzlei?
Schlichtmann: Die Strukturen von Kanzleien sind im Gegensatz zu Unternehmen viel hierarchischer. In Unternehmen gibt es Fachabteilungen mit Abteilungsleitern und zwei oder drei Geschäftsführern. In einer Kanzlei gibt es sozusagen so viele Geschäftsführer wie es Partner gibt, also von ganz wenigen bis immens vielen wie in den Großkanzleien. Und alle Partner haben ihre Dezernate und Anwälte, die ihnen zuarbeiten.
Die Hierarchie richtet sich vor allem nach der Länge der Zugehörigkeit: Je länger man als Anwalt dabei ist, desto weiter klettert man die Leiter nach oben. Für die Assistenzen, die nicht von Anfang an für einen Partner arbeiten, bedeutet das, dass es auch auf diese Weise möglich ist, sich mit ihren Vorgesetzten weiterzuentwickeln. In Unternehmen gibt es aufgrund der unterschiedlichen Fachabteilungen mehr Möglichkeiten für Assistenzen, quer zu wechseln. Man hat also mehr Spielräume, den eigenen Werdegang zu gestalten.
Überstunden ja, Ausbeutung nein
LTO: Muss man als Assistenz genauso viel arbeiten, wie als Anwalt?
Schlichtmann: Nein! Obwohl die Auslastung sicherlich auch vom Rechtsbereich und der Position abhängig ist. Im Transaktionsbereich gibt es ja ganz klar Stoßzeiten. Wenn Transaktionen laufen, machen auch die Assistentinnen mal Überstunden, um Verträge zu überarbeiten oder weitere Dokumente vorzubereiten. Ansonsten ist es nicht anders als in jedem anderen Job. Mal bleibt man länger, wenn es halt notwendig ist. Ich fühle mich in keiner Weise ausgebeutet.
LTO: Wie sieht Ihre aktuelle Position aus?
Schlichtmann: Ich bin seit 2010 bei einer internationalen Großkanzlei. Am Anfang habe ich für den Office Managing Partner in Hamburg gearbeitet. Seit 2013 bin ich für den Regional Managing Partner Deutschland und Österreich tätig. Die Arbeit ist eine andere, denn es gibt weniger Mandatsarbeit und wesentlich mehr Management-Aufgaben und Dinge zu koordinieren. Das ist sehr abwechslungsreich und spannend. Seit 2012 habe ich meine Arbeitszeit auf vier Tage die Woche reduziert. Der ‘freie‘ Tag ist reserviert für Vorträge, Workshops, Seminare und Coachings.
2/2: "Jeder Chef will typgerecht behandelt werden"
LTO: Was trainieren Sie in Ihren Seminaren?
Schlichtmann: Ich spreche über Themen wie: Funktioniert das Zusammenspiel zwischen Chef und Assistenz oder im Team? Wie kommuniziert man am besten? Welche Möglichkeiten der Entlastung kann die Assistenz bieten? Und wie schafft man es, einen Handlungsrahmen zu definieren? Welcher Stellschrauben bedarf es, um gemeinsam an einem Strang zu ziehen? Es gibt ja die unterschiedlichsten Charaktere. Jeder Chef möchte anders und vor allem typgerecht behandelt werden.
Außerdem trainiere ich meine Teilnehmer in klassischen Themen wie Protokollführung, Büroorganisation oder Zeit- und Selbstmanagement. Häufig nachgefragt werden auch Themen wie professionelles Telefonverhalten oder wie man seine Korrespondenz zeitgemäß und leserfreundlich gestaltet.
"Ich habe Kanzleien nie als verstaubt empfunden"
LTO: Warum werden ausgerechnet Sie gebucht?
Schlichtmann: Wahrscheinlich, weil ich einer der wenigen Männer in diesem Bereich bin. [lacht] Nein, ich denke, vor allem aufgrund der Praxiserfahrung. Die meisten Trainerinnen haben vor teilweise mehr als 15 Jahren das letzte Mal in einem Sekretariat gesessen. Doch der Teilnehmer merkt ganz schnell, ob jemand aus der Vergangenheit oder aus Büchern berichtet und ob das Wissen ‘frisch‘ ist.
LTO: Wie arbeitet es sich als männliche Assistenz in einer Anwaltskanzlei?
Schlichtmann: Bisher sehr gut. Ich weiß, dass Kanzleien allgemein als verstaubt angesehen werden, aber ich habe das nie so empfunden. Vor allem was die Gender-Aspekte angeht, sind sie relativ fortschrittlich. Im Vergleich zu vielen Industrieunternehmen gibt es bei Großkanzleien eine Reihe weiblicher Führungskräfte und auch weitere männliche Assistenzen. Ich habe nicht das Gefühl, dass hier darauf geachtet wird, welches Geschlecht man hat. Gender Diversity ist ein großes Thema.
"Viele Männer wollen eine Frau als Sekretärin"
LTO: Hat sich die Wahrnehmung einer Assistenz als vor allem weibliche Sekretärin denn allgemein verändert?
Schlichtmann: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass es in den Unternehmen nach wie vor nur wenige Frauen in Führungspositionen gibt. Und viele Männer wollen eine Frau als Sekretärin. Als ich mich vor fünfzehn Jahren auf Stellen beworben habe, waren die meisten Absagen sicher aufgrund der Tatsache, dass ich ein Mann bin. Damals hatten die Führungskräfte ja nur Damen im Vorzimmer. Wenn da eine Bewerbung von einem Mann reinflatterte, verstanden die die Welt nicht mehr.
Mir wurde einmal tatsächlich gesagt: ‘Wir stellen keine Männer auf Assistenzpositionen ein‘. Das war im Jahr 2000, da gab es das Anti-Diskriminierungsgesetz noch nicht. Heute würde solch ein Satz garantiert nicht mehr fallen.
Mein Beruf ist aber nach wie vor eine Frauendomäne. Es gibt Zahlen, die beziffern den Männeranteil auf 1,5 Prozent. Das erscheint mir übertrieben. In über 17 Berufsjahren habe ich höchstens 20 männliche Assistenzen kennen gelernt.
"Wissen ist Macht – gerade im Assistenzbereich"
LTO: Was ist Ihr Rezept für eine erfolgreiche Karriere als Assistenz?
Schlichtmann: Für mich persönlich ist Wissen äußerst relevant. Man kann jemanden nur dann entlasten, wenn man gut informiert ist. Und man kann nur dann sinnvoll priorisieren, wenn man die Unternehmenszusammenhänge versteht. Man sollte wissen: Worum geht es hier eigentlich? Worüber reden die Vorgesetzten? Wie sieht der Markt aus, wer sind die Wettbewerber?
Wer viel weiß, kann mitreden. Und ich möchte fundiert mitreden können, das ist mein eigener Anspruch. Also halte ich mich mit Newslettern und Zeitschriften aus der Branche auf dem Laufenden, bin Mitglied in zwei Sekretariatsverbänden und versuche über den Tellerrand zu schauen. Gerade im Assistenz-Bereich gilt: Wissen ist Macht.
Außerdem ist ein gutes Netzwerk ein großer Erfolgsfaktor. Ich werde regelmäßig gefragt, wen man für dieses oder jenes Thema ansprechen könnte. Das gilt auch für Kontakte außerhalb von Kanzleien. Jeder weiß: Wenn die Assistenz gut vernetzt ist, ist das ein Informationsturbo für den Chef. Und für mich selbst natürlich auch. Ich denke, grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen: Wie weit will ich eigentlich kommen? Wer weit kommen will, der sammelt am besten so viel Wissen und Kontakte wie möglich.
Marc Schlichtmann ist ausgebildeter Fremdsprachensekretär, arbeitet als Trainer und Coach und gibt Inhouse-Seminare und Workshops rund um das Thema Sekretariat. Zudem ist er Assistent in einer Großkanzlei in Hamburg.
Désirée Balthasar, Assistenten in einer Großkanzlei: "Ein Management-Tandem kommt nur vorwärts, wenn beide treten" . In: Legal Tribune Online, 03.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17743/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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