Das OVG hat im Eilrechtsschutzverfahren letztinstanzlich entschieden, dass der Tunesier zurückgeholt werden muss. Die Abschiebung hält es für "offensichtlich rechtswidrig" – und findet deutliche Worte zu den Vorgängen am 12. und 13. Juli.
Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat entschieden, dass die Stadt Bochum den abgeschobenen Islamisten Sami A. nach Deutschland zurückholen muss (Beschl. v. 15.08.2018, Az 17 B 1029/18). Das Gericht in Münster teilte dazu am Mittwoch mit: "Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die Stadt Bochum zu Recht verpflichtet, den von ihr abgeschobenen tunesischen Staatsangehörigen Sami A. unverzüglich auf ihre Kosten in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuholen." Und weiter: Die Abschiebung sei "offensichtlich rechtswidrig gewesen".
Der von den deutschen Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestufte Sami A. war am 13. Juli 2018 nach Tunesien abgeschoben worden. Dabei hatte das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen eine Abschiebung einen Tag zuvor untersagt. Die Richter hatten Sorge, dass Sami A. in Tunesien gefoltert werden könnte. Dieser Beschluss wurde dem zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aber erst am 13. Juli zugestellt, als Sami A. bereits im Flugzeug nach Tunesien saß.
OVG Münster: Eingetretene Situation war vermeidbar
Das OVG führte dazu nun aus, dass die Entscheidung dem Bamf um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor Vollstreckung der Abschiebung durch Übergabe von A. an die tunesischen Behörden bekannt gegeben worden sei, auch die Stadt Bochum habe spätestens um 8.44 Uhr von ihr Kenntnis genommen. Die Münsteraner Richter vermochten auch keine Anzeichen dafür zu erkennen, dass die Abschiebung nicht mehr hätte abgebrochen werden können.
Das OVG findet deutliche Worte zu den Abläufen am 12. und 13 Juli: Anzumerken sei etwa, dass die nunmehr eingetretene Situation vermieden worden wäre, wenn in dem asylrechtlichen Eilrechtsschutzverfahren der Bitte des VG um Mitteilung des Abschiebungstermins entsprochen worden wäre. Dies sei nicht geschehen. Stattdessen sei das VG über die Eilbedürftigkeit seiner Entscheidung im Unklaren gelassen worden, indem ihm zwar die Flugstornierung für den 12. Juli 2018, 22.15 Uhr, nicht aber die Flugbuchung für den Folgetag, 6.30 Uhr, mitgeteilt worden sei.
Das VG Gelsenkirchen warf den zuständigen Behörden wegen der schnellen Abschiebung rechtswidriges Verhalten vor und ordnete an, der Staat müsse den Tunesier unverzüglich zurückholen. Dagegen wehrte sich die Stadt Bochum nun vor dem OVG und scheiterte.
Einreisesperre kein Hindernis für Rückholung
Wie schnell Sami A. nach Deutschland zurückkehren könnte, ist allerdings unklar. Zuletzt hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Tunesien betont, gegen den aus Deutschland abgeschobenen Gefährder werde ermittelt, er müsse in Tunesien bleiben.
Auch aus Sicht des OVG stehen einer Rückholung "dauerhafte Hinderungsgründe nicht entgegen". Ein an die evident rechtswidrige Abschiebung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot könne ihm nicht entgegengehalten werden. Dass eine Einreisesperre juristisch kein Hindernis darstellen dürfte, hatte sich bereits zu Beginn der Woche abgezeichnet.
Weiter bestehe, so das OVG, jedenfalls die Möglichkeit, eine Betretungserlaubnis zu erteilen. Die gegenwärtige Passlosigkeit von Sami A. und eine mögliche Ausreisesperre stellten keine dauerhaften Hindernisse dar. Sie stünden vielmehr im Zusammenhang mit den noch laufenden Ermittlungen der tunesischen Behörden gegen A., deren Ergebnis abzuwarten bleibe. Im Übrigen sei nicht dargetan, dass diplomatische Bemühungen um die Ermöglichung einer Ausreise von vornherein aussichtslos seien. Auf solche hatte zuletzt das VG Gelsenkirchen gedrängt und ein Zwangsgeld gegen die Stadt Bochum in Höhe von 10.000 Euro festgesetzt.
Kommune will keine weiteren rechtlichen Schritte einleiten
In dem Eilverfahren ist das OVG die letzte Instanz. Die Stadt Bochum sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass Sami A. von sich aus nach Deutschland zurückreisen müsse und erklärte ihr geplantes weiteres Vorgehen.
Das zuständige Ausländeramt der Ruhrgebietsstadt soll demnach an die Anwältin des 42-Jährigen zuerst eine sogenannte Betretungserlaubnis weiterleiten. Im nächsten Schritt muss das Auswärtige Amt nach Auskunft eines Stadtsprechers Sami A. ein Visum für die Einreise ausstellen. "Wir als Stadt geben der Anwältin von Sami A. jetzt eine Kostenzusage für den Rückflug", sagte Sprecher Thomas Sprenger nach dem Urteil. Mehr könne die Stadt dann nicht tun.
Weitere rechtliche Schritte will die Kommune nicht einleiten.* Da der Stadt Bochum die schriftliche Begründung der Entscheidung aus Münster am Mittwoch noch nicht vorlag, wollte sich der Sprecher zu weiteren Details nicht äußern. "Klar ist aber, wir setzen um, was das OVG entschieden hat", sagte Sprecher Thomas Sprenger.
Das OVG Münster greift bei der Aufklärung in dem Rechtsstreit zu ungewöhnlichen Mitteln. Auf seiner Website hat es einen ausführlichen Fragen-und-Antworten-Katalog zu seiner Entscheidung veröffentlicht.
*hier war zunächst fälschlicherweise davon die Rede, die Stadt würde womöglich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen. Aktualisiert am 16.08.2018, 9.48 Uhr.
mit Material von dpa
OVG NRW bestätigt VG Gelsenkirchen: . In: Legal Tribune Online, 15.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30357 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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