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Reaktionen nach BAMF-Entscheidung zu Stillhaltezusagen: "Ein poli­ti­scher Skandal"

von Dr. Markus Sehl

06.09.2018

Akte "Abschiebeverfahren"

© Chris - stock.adobe.com

Vertreter aus Justiz und Anwaltschaft kritisieren die Entscheidung des BAMF, den VG nicht mehr zusagen zu wollen, dass bis zu ihrer Entscheidung keine Abschiebung erfolgt. Effektiver Rechtsschutz sehe anders aus.

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Nachdem aus einem internen Schreiben hervorging, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Asyleilfällen den Verwaltungsgerichten (VG) nicht mehr zusagen will, dass es bis zu deren Entscheidung keine Abschiebungen gibt, üben Vertreter von Justiz und Anwaltschaft Kritik.

Albert Lohmann, Mitglied des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, sprach gegenüber LTO von einem "politischen Skandal". Er sagte weiter: "Das Bundesamt wälzt Kommunikationsprobleme zwischen Behörden auf die Verwaltungsgerichte ab."

Das BAMF hatte laut dem Schreiben seine Entscheidung damit begründet, dass nur die jeweils zuständige Ausländerbehörde über den Zeitpunkt einer geplanten Abschiebung informiert sei. Deshalb sei sie ebenso dafür zuständig, eine Abschiebung auszusetzen. Die Gerichte sollten sich deswegen künftig nur noch direkt mit diesen Behörden austauschen. Das BAMF selbst sei stets auf die Informationen der Ausländerbehörde angewiesen - und damit "von der Vollständigkeit und Aktualität der Angaben der Ausländerbehörde abhängig". Diese "mittelbare Kommunikation" sei riskant" – und die neue Praxis daher "sachgerecht".

Die Vorstellungen des BAMF zur Neuordnung der Kommunikation zwischen ihm, den VG und den Ausländerbehörden überzeugen Richter Lohmann indes nicht. Er ist Vorsitzender Richter am VG Gelsenkirchen, wo allerdings eine andere Kammer über den Fall Sami A. zu entscheiden, der die Debatte erst ins Rollen brachte.

Lohmann: "Prozessbeteiligte Behörde ist immer das BAMF"

"Für uns Verwaltungsgerichte ist als Ansprechpartner allein die prozessbeteiligte Behörde maßgeblich – und das ist in Asyleilfällen das BAMF." Die Ausländerbehörden, mit denen die Verwaltungsgerichte nach dem Willen des BAMF nun ausschließlich kommunizieren sollen, seien an dem Verfahren nicht beteiligt und auch nicht beigeladen. "Es stellt sich von daher schon die Frage, können die Ausländerbehörden überhaupt gegenüber uns rechtsverbindliche Erklärungen abgeben."

Lohmann stützt seine Kritik auch auf die gesetzlichen Grundlagen zu etwaigen Mitteilungen: In § 40 und § 83a Asylgesetz (AsylG) würden zwar Unterrichtungen der Ausländerbehörde ausdrücklich erwähnt. In § 40 AsylG geht es allein um Mitteilungen des BAMF an die Ausländerbehörde. Nur in § 83a AsylG findet sich eine Mitteilungspflicht, die das Verwaltungsgericht betrifft. Es muss nach Abschluss des Verfahrens das Ergebnis der Ausländerbehörde mitteilen. Im Verfahren selbst aber sehe das Gesetz eine solche Kommunikation nicht vor. "Herr des Verfahrens ist und bleibt das BAMF", meint Lohmann.

DAV: BAMF nimmt Risiko rechtswidriger Abschiebungen in Kauf

"Es kann nicht sein, dass das BAMF seine Mitwirkung an dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes für den Rechtsschutzsuchenden wegen seiner Kommunikationsprobleme mit den Ausländerbehörden versagt." Als Konsequenz erwartet Lohmann Mehrarbeit für die Verwaltungsgerichte. "Wir müssen künftig immer sofort einen sogenannten Hängebeschluss erlassen, weil wir in dieser neuen Situation damit rechnen müssen, dass eine Abschiebeandrohung jeden Tag vollzogen werden kann." Diese Hängebeschlüsse würden nun sowohl an das BAMF als auch an die Ausländerbehörde geschickt.

Auch aus der Anwaltschaft kommt Kritik am Vorhaben des BAMF. Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Ulrich Schellenberg, sagte gegenüber LTO: "Der Deutsche Anwaltverein bedauert die Entscheidung des BAMF, künftig im einstweiligen Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten keine Stillhaltezusagen mehr abzugeben. Dadurch wird ein guter und bewährter Konsens mit den Gerichten aufgekündigt." Das BAMF mache damit aber auch deutlich, dass es das Risiko in Kauf nehme, dass trotz laufendem Gerichtsverfahren Abschiebungen erfolgen, deren Rechtswidrigkeit kurz darauf von den Gerichten festgestellt werden könnte.

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Reaktionen nach BAMF-Entscheidung zu Stillhaltezusagen: "Ein politischer Skandal" . In: Legal Tribune Online, 06.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30795/ (abgerufen am: 30.09.2023 )

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