Koalitionspläne zur Vorratsdatenspeicherung: K.o.-Sieg für Friedrich

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Seit vergangenem Mittwoch ist es beschlossene Sache: Wenn die Große Koalition kommt, kommt auch die Vorratsdatenspeicherung. In ihren Plänen geht die Regierung in spe sogar über das europarechtlich erforderliche Maß hinaus – bleibt jedoch hinter den vom BVerfG gezogenen Grenzen zurück. Was im Einzelnen geplant ist und warum das Vorhaben womöglich doch noch scheitern könnte, erläutert Sören Rößner.
"Deutschlands Zukunft gestalten" – unter diesem vielsagenden Motto soll das Regierungshandeln in den nächsten vier Jahren stehen. Dabei ist das Thema Vorratsdatenspeicherung, die die werdende Große Koalition einführen will, eher ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Mit Urteil vom 2. März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung wegen ihrer konkreten Ausgestaltung für nichtig erklärt, gleichzeitig jedoch klargestellt, dass es eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung im Grundsatz für verfassungsgemäß halte.
Seitdem hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die derzeit nur noch geschäftsführend als solche fungiert, bis zum Schluss erfolgreich alle Versuche der Union, zuletzt maßgeblich in Person von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), zur erneuten Umsetzung der EU-Richtlinie abgewehrt. Dies wurde sicher auch dadurch begünstigt, dass entsprechende Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die letzte Legislaturperiode fehlten.
Speicherung zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr
Dieser Kampf scheint mit dem Ausscheiden der FDP aus Parlament und Regierung nun jedoch verloren. Doch was sieht der Entwurf des Koalitionsvertrages konkret vor? Union und SPD wollen "die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen", um die Verhängung von Zwangsgeldern durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu vermeiden.
Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die alte Regelung hatte demgegenüber eine sehr viel weitergehende Nutzung erlaubt – nämlich zur Strafverfolgung ohne jede Beschränkung, zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit sowie zur Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben.
Daneben ist vorgesehen, dass die Telekommunikationsunternehmen die Speicherung der deutschen Verbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, auf Servern in Deutschland vornehmen müssen, was offenbar den vom BVerfG geforderten, besonders hohen Standard hinsichtlich der Datensicherheit gewährleisten soll. Schließlich will man auf EU-Ebene auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken.
Nachrichtendienstliche Verwendung der Daten?
Zwar gehen die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Pläne damit – wie schon die 2010 in Karlsruhe aufgehobenen Vorschriften – erneut über die Verpflichtungen der EU-Richtlinie hinaus, die eine Speicherung lediglich zur Verfolgung von schweren Straftaten verlangt. Gleichzeitig bleibt das Vorhaben jedoch deutlich hinter dem verfassungsrechtlich Möglichen zurück. Denn nach den Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung dürfen Abruf und Nutzung der Daten auch bei konkreten Gefahren für die Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.
Bemerkenswert ist, dass eine Verwendung der Daten zur Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste im Entwurf des Koalitionsvertrages keine Erwähnung findet, obwohl das BVerfG in diesem Zusammenhang auch eine solche Nutzung für verfassungsgemäß gehalten hatte. Dies dürfte der aktuellen Diskussion um das Wirken insbesondere der amerikanischen und britischen Dienste geschuldet sein. Ob hieraus jedoch bereits der Verzicht auf einen entsprechenden Zugriff abzuleiten ist, erscheint mit Blick auf die Haltung gerade der Union äußerst fraglich. Unerwähnt bleibt schließlich auch die von den Karlsruher Richtern unter deutlich geringeren Voraussetzungen für zulässig erachtete mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung der Inhaber von IP-Adressen.
2/2: Letzte Hoffnung EuGH
All diese Einschränkungen werden die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung jedoch kaum besänftigen können. Denn aus deren Sicht ist bereits die Speicherung der Daten an sich grundsätzlich abzulehnen. Und eine solche ist nunmehr vereinbart worden. Insofern haben sich die Netzpolitiker, die auch in den Reihen der Koalitionsparteien zu finden sind, mit ihrer Skepsis nicht durchsetzen können.
Deren letzte Hoffnung ruht daher auf einem derzeit vor dem EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung entschieden wird. Konkret geht es dabei um die Vereinbarkeit mit Artt. 7 und 8 der Grundrechtecharta der EU, die die Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Kommunikation und den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten. Sollten die Luxemburger Richter die EU-Richtlinie für ungültig erklären, entfiele die unionsrechtliche Pflicht zu ihrer Umsetzung, mit der Deutschland schon seit dem Karlsruher Votum in Verzug ist.
Wettlauf mit der Zeit
Ob der EuGH der künftigen Bundesregierung hier zuvorkommen wird, hängt davon ab, wie rasch die Große Koalition ihre Pläne in die Tat umsetzen wird. Aus unionsrechtlicher Sicht jedenfalls haben die Befürworter einer schnellen Umsetzung die besseren Argumente, da Deutschland eigentlich unverzüglich handeln müsste, also ohne den Luxemburger Richterspruch abzuwarten. Dies könnte allerdings dann, wenn Luxemburg die Vorratsdatenspeicherung nach deren Implementierung in Deutschland tatsächlich kippen sollte, zu einer komplexen Situation führen.
Denn nach der im juristischen Schrifttum nicht unumstrittenen Rechtsprechung des BVerfG wäre in einem solchen Falle das deutsche Umsetzungsgesetz nicht automatisch ebenfalls unbeachtlich, sondern an den deutschen Grundrechten zu messen. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit einer Vorratsdatenspeicherung hatte Karlsruhe in seiner Entscheidung aber gerade bestätigt. Unklar wäre, ob man dort im Lichte einer divergierenden EuGH-Entscheidung zu einem anderen Ergebnis käme. Und ob die Große Koalition hieraus Konsequenzen ziehen und eine einmal eingeführte Vorratsdatenspeicherung wieder abschaffen würde, erscheint ebenso ungewiss.
Damit es gar nicht erst zu einer solchen Lage und der damit verbundenen Unsicherheit kommt, wäre es wünschenswert, wenn der EuGH sich nicht allzu viel Zeit ließe. Dies nicht zuletzt auch aus Sicht der Telekommunikationsunternehmen, die mit der aufwendigen, weil hohen verfassungsrechtlichen Vorgaben bezüglich der Datensicherheit unterliegenden Speicherung belastet sind.
Besondere Eile wäre geboten, falls der Generalanwalt am EuGH in seinen für den 12. Dezember angekündigten Schlussanträgen die Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit den europäischen Grundrechten halten sollte. Da dies ein Fingerzeig wäre, wohin die Reise geht, bestünden in einem solchen Falle gute Chancen, dass aus dem scheinbaren K.o. der Frau Leutheusser-Schnarrenberger noch ein später Triumph wird.
Der Autor Sören Rößner, LL.M. ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Kanzlei MMR Müller Müller Rößner, Berlin, die unter anderem auf das Telekommunikationsrecht, das Medienrecht und das Urheberrecht spezialisiert ist. Zudem fungiert er als Justiziar des Fachverbandes für Rundfunk- und BreitbandKommunikation (FRK).