Mit Antonin Scalia ist der dienstälteste Verfassungsrichter verstorben. Präsident Obama darf einen Nachfolger nominieren, den der Senat bestätigen muss. Diese Konstellation wird die Präsidentschaftswahl beeinflussen, sagt Robert Peres.
Antonin Scalia war seit seiner Nominierung durch Präsident Reagan im Jahre 1986 einer der einflussreichsten, aber auch umstrittensten Juristen der Vereinigten Staaten und mit seiner sehr konservativen politischen Einstellung ein Feindbild der amerikanischen Liberalen. Sein Tod hat am Wochenende in den USA eine öffentliche Debatte darüber ausgelöst, ob Obama überhaupt noch einen Nachfolger vorschlagen soll. In seltener Einigkeit forderten die republikanischen Präsidentschaftsbewerber, dass Obama die Nominierung dem nächsten Präsidenten überlassen sollte. Falls er dies nicht tue, riet Präsidentschaftskandidat Donald Trump dem Senat, die Neubesetzung so lange wie möglich zu blockieren. Offenbar möchte er selbst derjenige sein, der einen neuen Richter am so wichtigen Supreme Court bestimmt.
Auch Mitch McConnell, der republikanische Vorsitzende der Senatsmehrheit, drohte mit Blockade und sagte die Nominierung könne warten, während sein demokratischer Gegenspieler Harry Reid den vakanten Sitz "sofort" gefüllt sehen möchte. Die enorme politische Bedeutung des Vorgangs erklärt sich aus der gegenwärtigen Zusammensetzung des Supreme Courts, die nun bei einem unentschiedenen "vier zu vier" steht, wenn man Justice Anthony Kennedy dem konservativen Lager zuordnet: Vier liberale Richter stehen vier konservativen gegenüber. In vielen wichtigen Entscheidungen der letzten Jahre hatte es ganz knappe Fünf-zu-vier-Entscheidungen zugunsten republikanischer Positionen gegeben, zum Beispiel die zu den "Citizens United".
Kampf um die Ausrichtung des obersten US-Gerichts
Präsident Barack Obama hat eilig beteuert, dass er selbstverständlich von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch zu machen gedenke, denn er sei ja noch bis Januar 2017 im Amt. Das erwarten auch die Demokraten von ihm, die eine Chance wittern, dem Supreme Court wieder eine liberalere Ausrichtung zu geben. Aufgrund der lebenslangen Amtszeit eines Richters am Verfassungsgericht ist die Entscheidung über diese Position von elementarer Wichtigkeit. Sowohl Hillary Clinton als auch ihr Mitbewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Bernie Sanders, haben den Senatsführer McConnell scharf für seine Blockadeankündigung kritisiert: "Meine republikanischen Senatskollegen glauben offenbar, dass die Verfassung es einem demokratischen Präsidenten nicht erlaube, einen Nachfolger für Justice Scalia zu nominieren. Ich stimme damit überhaupt nicht überein", sagte Sanders, selbst Mitglied des Senats, auf einer Wahlkampfveranstaltung.
Trotz des fortgeschrittenen Alters von Scalia hatte in Washington niemand damit gerechnet, ihn kurzfristig ersetzen zu müssen. Er hatte auch nie Rücktrittsgedanken geäußert, anders als Ruth Bader Ginsburg, die im März 82 Jahre alt wird. Daher könnten Monate vergehen, bis Obama einen geeigneten liberalen Kandidaten findet, der bereit wäre, sich der Bestätigungsprozedur des von Republikanern dominierten Senats auszusetzen. Aufgrund der explosiven politischen Situation vor den Wahlen im November könnten die Senatsanhörungen zu einem noch absurderen Schaulaufen der Macht ausufern als in der Vergangenheit.
2/2: Supreme Court bleibt entscheidungsfähig
Gegenwärtig befinden sich noch viele Verfahren vor dem Verfassungsgericht, die trotz eines fehlenden Richters entschieden werden können. Falls dabei keine Mehrheit zustande käme, etwa bei einem Unentschieden, würde die Entscheidung des unterrangigen Bundesgerichts bestehen bleiben. Das Supreme Court kann also nur dann Case Law setzen, wenn es eine Mehrheitsentscheidung trifft. Entscheidungen, die als politisch sensibel gesehen werden, könnten von der Gerichtsleitung solange verschoben werden, bis das Gericht wieder vollständig ist. Hier ist der Ausgang allerdings völlig offen.
Um einen eigenen Kandidaten noch in seiner Amtszeit durchzubringen, könnte Obama einen von den Republikanern akzeptierten Juristen nominieren. Selbst das wäre kein Selbstläufer, denn deren Senatsmehrheit von 54 Senatoren ist nicht so deutlich, dass nicht einige Abtrünnige die Bestätigung torpedieren könnten. Dieses Vorgehen würde auch den Widerstand der demokratischen Partei heraufbeschwören und Obamas "Legacy", also sein politisches Vermächtnis, beschädigen. Obamas Neigung, die Republikaner durch Entgegenkommen zu beschwichtigen, hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen, je näher das Ende seiner Amtszeit rückt.
Kompromiss: ein liberaler, renommierter Berufsrichter
Die amerikanische Verfassung gibt dem Präsidenten in sehr engen Grenzen auch das Recht, bei einem überlangen Bestätigungsverfahren einen Kandidaten über eine sogenannte "Recess Nomination" zu bestimmen. Dazu müsste der Senat offiziell in den Ferien sein und der Präsident die absolute Notwendigkeit einer Umgehung erklären. Dieses Verfahren hat es mal gegeben, ist aber derzeit sehr unwahrscheinlich. Der Senat kann über verfahrenstechnische Spielereien seine Ferien so verkürzen, dass Obama ausgebremst würde. Überdies wäre die Amtszeit eines Übergangsrichters auf die verbleibende Amtszeit des Senats begrenzt, womit niemandem geholfen wäre.
Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Obama einen wirklich liberalen Kandidaten nominiert und diese oder dieser aus dem Kreise von renommierten Berufsrichtern stammt. Dazu gehören etwa Patricia Millett, Richterin am United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, sowie Paul Watford vom 9. Bezirksgericht. Millets Vorgänger am Berufungsgericht war übrigens der heutige Chief Justice John Roberts. Diese Kandidaten müssten sich allerdings auch der Unterstützung der demokratischen Bewerber Clinton und Sanders sicher sein, denn der Anhörungsprozess im Senat würde sich aufgrund der explosiven Situation bis ins nächste Jahr hinziehen. Hinzu kommt, dass im November auch ein Drittel der Senatoren neu gewählt werden und sich hier Mehrheitsverschiebungen in die eine oder andere Richtung ergeben könnten.
Und so ganz klar ist ja auch nicht, ob Ende Januar ein Demokrat oder ein Republikaner im Weißen Haus sitzt. Würde Donald Trump seine Drohung wahrmachen, der nächste US-Präsident zu sein, müsste man wieder ganz von vorne anfangen.
Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt in Wiesbaden und Kanzleiberater. Er arbeitete viele Jahre für große US-Sozietäten in Deutschland und den USA.
Robert Peres, Supreme-Court-Richter Antonin Scalia verstorben: Explosionsgefahr am obersten US-Gericht . In: Legal Tribune Online, 15.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18460/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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