Gegen rechtsbrüchige Unternehmen verhängen US-Behörden hohe Strafen. Abschläge soll es nur geben, wenn die Verantwortlichen ausgeliefert werden. Welche Konflikte das für Konzerne, Manager, Versicherer und aktuell VW bedeutet, erklärt Tobias de Raet.
Dass die Affäre um manipulierte Abgaswerte mit seinem Rücktritt als VW-Vorstandsvorsitzender nicht ausgestanden ist, wird Martin Winterkorn ahnen. Das juristische Nachspiel, das ihm und seinen Managerkollegen in den USA droht, könnte allerdings sämtliche bisherigen Dimensionen sprengen. Das US-Justizministerium hat am 9. September neue Leitlinien zur Haftung von Einzelpersonen bei Gesetzesverletzungen durch Unternehmen veröffentlicht.
BNP Paribas, Royal Bank of Scotland, HSBC, ING Bank, Credit Suisse; die Liste der Unternehmen, die in jüngster Zeit Millionen- oder gar Milliardenstrafen in den USA akzeptiert haben, ist lang. Prominentes deutsches Beispiel ist die Commerzbank, die sich im März dieses Jahres mit mehreren US-Behörden auf die Zahlung einer Milliardenstrafe wegen Verstößen gegen US-Sanktionsbestimmungen und Geldwäschevorschriften geeinigt hat.
Schon in der Vergangenheit mussten deutsche Unternehmen in den USA zahlen: Siemens akzeptierte im Zuge der Korruptionsaffäre im Jahr 2010 eine Strafe von umgerechnet rund 600 Millionen Euro; Daimler zahlte im selben Jahr rund 134 Millionen Euro wegen des Vorwurfs der Bestechung von Regierungsbeamten.
Neue Leitlinien in den USA
Die Sanktionspraxis der US-Behörden hat sich in der Vergangenheit auf Unternehmen konzentriert. Einzelpersonen wurden meist nur mittelbar sanktioniert, indem die US-Behörden als Gegenleistung für einen Vergleich unter anderem forderten, dass das betroffene Unternehmen sich von bestimmten Personen trennt.
Diese Sanktionspraxis wird sich ab sofort erheblich ändern. Das US-Justizministerium hat sechs Leitlinien für Ermittlungen und Sanktionen gegen Einzelpersonen bei Fehlverhalten von Unternehmen formuliert. Für zukünftige und bereits laufende Verfahren gilt:
- Unternehmen können durch Kooperation mit den US-Behörden nur noch dann einen Strafrabatt erhalten, wenn sie den US-Behörden sämtliche relevanten Informationen über die für das Fehlverhalten verantwortlichen Personen zur Verfügung stellen.
- Zivil- und strafrechtliche Ermittlungen der US-Behörden sollen sich von Beginn an nicht nur gegen das Unternehmen, sondern auch gegen Einzelpersonen richten.
- Die zivil- und strafrechtlich zuständigen Ermittlungsbehörden sollen regelmäßig miteinander kommunizieren.
- Vergleiche der US-Behörden mit Unternehmen sollen – wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen – keine Klauseln enthalten, die Einzelpersonen (Mitglieder der Geschäftsleitung oder Mitarbeiter) vor zivil- oder strafrechtlicher Haftung schützen.
- Die US-Behörden sollen keine Vergleiche mit Unternehmen schließen, solange unklar ist, wie im jeweiligen Fall vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Einigung mit den verantwortlichen Einzelpersonen getroffen werden kann.
- Die zivil- und strafrechtlich zuständigen Behörden sollen Einzelpersonen konsequent verfolgen, unabhängig davon, ob diese etwaige Strafen bezahlen können.
Es ist abzusehen, dass die neue Ermittlungs- und Sanktionspraxis deutsche Unternehmen nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich vor große Probleme stellen wird.
Datenschutzprobleme
Bislang konnten Unternehmen auf einen teilweisen Strafrabatt hoffen, wenn sie den US-Behörden freiwillig Informationen über das Fehlverhalten des Unternehmens zur Verfügung gestellt haben, ohne die verantwortlichen Personen im Unternehmen zu benennen. Dies wird zukünftig nicht mehr möglich sein. Werden Ross und Reiter nicht benannt, gibt es keinen Strafrabatt.
Bemerkenswert ist der Vergleich, den US Deputy Attorney Sally Quillian Yates in einer Rede an der New York University (NYU) am Tag nach der Veröffentlichung der neuen Leitlinien gezogen hat: Man dürfe Unternehmen nicht anders als Drogendealer behandeln. Diese erhielten auch nur Strafrabatte, wenn sie vollständig auspacken und sämtliche Hintermänner benennen. Aber ist die Situation wirklich vergleichbar?
Unternehmen unterliegen strengen Datenschutzvorschriften. Die freiwillige Herausgabe von umfangreichen Informationen über Mitarbeiter an US-Behörden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kann datenschutzrechtlich verboten sein. Die US-Behörden sind sich dessen durchaus bewusst. Yates sprach in ihrer Rede ausdrücklich an, dass bei weltweit tätigen Unternehmen in der Vergangenheit häufig strenges ausländisches Datenschutzrecht eine Strafverfolgung von Einzelpersonen erschwert habe.
Die Marschroute ist damit so klar wie bedenklich: Deutsche Unternehmen, die den US-Behörden aufgrund des deutschen Datenschutzrechts Informationen vorenthalten müssen, können künftig nicht mehr auf einen Strafrabatt hoffen.
2/2: Vergleiche von Unternehmen schützen Manager nicht
Neu ist auch, dass Unternehmen durch Vergleiche mit US-Behörden zukünftig nicht mehr zugleich die Vorwürfe gegen ihre Mitarbeiter und/oder Mitglieder der Geschäftsleitung beilegen können. Damit verhindern die US-Behörden, dass Manager eine höhere Strafe für das Unternehmen akzeptieren, um selbst ungeschoren davon zu kommen. Dieses – jedenfalls aus Sicht der Anteilseigner – verständliche Ziel wird Manager und Unternehmen vor zahlreiche Folgeprobleme stellen. Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer sind nämlich in einer janusköpfigen Rolle tätig.
Sie sollen gemäß den ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben eine möglichst niedrige Strafe für das Unternehmen aushandeln. Das mag jedoch erfordern, möglichst viel Verantwortung für das Fehlverhalten auf Einzelpersonen – z.B. sie selbst – abzuschieben. Dieser Interessenkonflikt ist auch rechtlich problematisch und könnte in bestimmten Fällen faktisch sogar dazu führen, dass Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer und Unternehmen sich bei laufenden Ermittlungen trennen müssen.
Greift die D&O-Versicherung?
Gefährlich ist für Manager auch die neue Leitlinie, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit bei der Entscheidung, ob und in welcher Höhe US-Behörden gegen Einzelpersonen Schadensersatzforderungen festsetzen, künftig unbeachtlich sein soll. Bislang haben US-Behörden von Managern nur dann Schadensersatz gefordert, wenn sichergestellt war, dass sie die Forderung auch eintreiben konnten; etwa wenn eine Managerhaftpflichtversicherung eingriff.
Dies wird sich künftig ändern. Die Schadensersatzforderung soll nun auch Prangerwirkung haben. Yates formulierte es in ihrer Rede an der NYU drastisch: Die Schadensersatzsumme werde Teil des Lebenslaufs der Manager und sie während ihrer gesamten Karriere verfolgen.
Brisant wird dieser neue Ansatz im Zusammenspiel mit der bisherigen Vergleichspraxis der US-Behörden. Vergleiche erhalten meist unter anderem – wie ein Urteil – eine Sachverhaltsbeschreibung (Statement of Facts) sowie eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts einschließlich der Feststellung, dass die Beschuldigten vorsätzlich gegen bestimmte US-Gesetze verstoßen haben. Ferner verpflichten sich die Beschuldigten, den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen nicht öffentlich zu widersprechen.
Damit wollen die US-Behörden verhindern, dass die Beschuldigten die gegen sie erhobenen Vorwürfe nach Vergleichsschluss weiterhin bestreiten und behaupten, sie hätten das Schuldanerkenntnis nur unterzeichnet, um durch die Kooperation einen Strafrabatt zu erhalten. Managerhaftpflichtversicherungen greifen jedoch in der Regel nicht bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen. Bei der Verhandlung und Formulierung des Vergleichs ist daher für Manager höchste Vorsicht geboten.
Darf das Unternehmen die Strafe des Managers übernehmen?
Die Fokussierung auf Einzelpersonen erhält für Vorstandsmitglieder von deutschen Aktiengesellschaften durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Juli des vergangenen Jahres besondere Brisanz. Die Übernahme einer gegen ein Vorstandsmitglied verhängten Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Aktiengesellschaft unterliegt danach engen Grenzen.
Der Aufsichtsrat muss prüfen, ob in der Handlung, die Gegenstand des Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist, zugleich eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft liegt. Ist dies der Fall, darf er einer Übernahme der Sanktion durch das Unternehmen nicht zustimmen. Erforderlich ist dann vielmehr ein Beschluss der Hauptversammlung.
Die Luft wird also dünner. Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem hohe Geldstrafen gegen Unternehmen für Schlagzeilen gesorgt haben, wollen die US-Behörden bei Wirtschaftsdelikten nun Managern persönlich an den Kragen. Winterkorn und seinen Kollegen dürften angesichts der Vorliebe von US-Behörden, Exempel zu statuieren, harte Zeiten bevorstehen.
Der Autor Dr. Tobias de Raet ist Rechtsanwalt und Senior Associate bei Hengeler Mueller. Er verbringt derzeit ein einjähriges Secondment bei der US-Kanzlei Davis Polk & Wardwell LLP in New York.
Dr. Tobias de Raet, US-Justizministerium nimmt Manager ins Visier: Der Konzern als Drogenkartell . In: Legal Tribune Online, 15.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17224/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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