Im Schatten von TTIP findet ein weiteres Wirtschaftsabkommen mit großer Tragweite vergleichsweise wenig Beachtung. Worum es bei TiSA geht, und welche Sorgen man sich (nicht) zu machen braucht, erklären Christian Hamann und Alina Nowosjolowa.
Seit 2012 verhandelt ein Kreis von 23 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) ein Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). Mit dabei sind u.a. die USA und die EU. Die beteiligten Regierungen betrachten sich selbst als eine Art "Vorhut" und streben an, TiSA langfristig in den WTO-Rahmen zu überführen.
Ziel von TiSA ist es, den Dienstleistungsverkehr zu liberalisieren und Handelshemmnisse abzubauen. In einem Vertragsstaat ansässige Anbieter sollen ihre Dienstleistungen in den anderen Vertragsstaaten zu denselben Bedingungen anbieten dürfen wie die dort heimischen Dienstleister. Der Kreis der von TiSA erfassten Dienstleistungen ist denkbar weit. Betroffen sind so unterschiedliche Bereiche wie Rechts- und Steuerberatung, Architektenleistungen und Finanz- und Telekommunikationsdienste. Die Verhandlungen über TiSA gestalten sich offenbar schwierig. Auch nach inzwischen 16 Verhandlungsrunden ist ein Ergebnis nicht in Sicht. Gleichwohl regt sich Widerstand gegen das Vorhaben. Seit der Veröffentlichung eines Vereinbarungsentwurfs durch WikiLeaks im Jahr 2014 rufen insbesondere Globalisierungsgegner zum Protest auf. Ihre Kritik entzündet sich vor allem an drei Punkten:
- Das Verfahren. Die Regierungen betreiben nach Ansicht der Kritiker Geheimdiplomatie und versuchen bewusst, die Öffentlichkeit über Inhalte und Auswirkungen von TiSA im Ungewissen zu lassen.
- Deregulierung und Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge: Wasser- und Gesundheitsversorgung, Bildungswesen, Sozialversicherung sowie andere soziale Dienstleistungen könnten in die Hände profitorientierter privater Dienstleister gelegt und von diesen mangels staatlicher Überwachung zu überteuerten Preisen und in minderwertiger Qualität angeboten werden.
- Aufgabe der europäischen Datenschutzstandards: EU-Bürger wären Datenzugriffen von Unternehmen aus den USA und anderen Staaten schutzlos ausgeliefert, da Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten als Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr außer Kraft gesetzt werden könnten.
Geheimverhandlungen seit jeher üblich
Der Unmut über die fehlende Transparenz der TiSA-Verhandlungen ist auf den ersten Blick leicht nachzuvollziehen. Die Verhandlungen finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Protokolle und "offizielle" Entwürfe des Abkommens werden unter Verschluss gehalten. In Zeiten, in denen in Deutschland und Europa Transparenz und (weitgehend) ungehinderter Zugang zu staatlichen Informationen fest in der Rechtsordnung verankert sind, scheint dies wie ein Rückfall in vordemokratische Zeiten und bietet einen idealen Nährboden für Verschwörungstheorien.
Das Bild relativiert sich allerdings, wenn man bedenkt, dass die Regeln der internationalen Diplomatie schon immer andere waren als die der innerstaatlichen Willensbildung in demokratischen Staaten. Verhandlungen über Handelsverträge und andere bedeutende internationale Abkommen finden seit jeher "geheim" statt. Das macht auch durchaus Sinn, denn permanenter öffentlicher Druck würde den Handlungsspielraum der Regierungen einschränken und die ohnehin oft schwierigen Verhandlungen zusätzlich erschweren.
Die Demokratie in Europa ist durch diese diplomatische Praxis bislang nicht ernsthaft gefährdet worden und es steht nicht zu erwarten, dass TiSA daran etwas ändern wird. Sollte es zu einem Verhandlungsergebnis kommen, bedarf dieses vor seinem Inkraftreten der Zustimmung der europäischen Institutionen und ggf. auch der Mitgliedstaaten. Spätestens dann besteht auch hinreichend Gelegenheit zu öffentlicher Diskussion. Im Übrigen hat die Europäische Kommission auf die Kritik an der mangelnden Transparenz des bisherigen Verfahrens reagiert und veröffentlicht bereits jetzt regelmäßig eigene Positionspapiere und weitere Informationen zum Stand der TiSA-Verhandlungen auf ihrer Webseite.
2/2: Privatisierung der Daseinsvorsorge?
TiSA zielt darauf ab, den Markt für Dienstleistungen grundlegend zu liberalisieren und für Anbieter aus allen Vertragsstaaten zu gleichen Bedingungen zu öffnen. Eine einmal vollzogene Marktöffnung soll grundsätzlich unumkehrbar sein. Das wird durch sogenannte "Standstill- und Ratchet-Klauseln" im TiSA-Abkommen gewährleistet. Bedeutet das, wie Skeptiker befürchten, dass für die Versorgung der Bevölkerung zentrale Leistungen der Daseinsvorsorge in naher Zukunft von internationalen Konzernen übernommen werden, die sich lediglich dem Wohl ihrer Aktionäre verpflichtet fühlen? Müssen Staat und Gesellschaft bald ohnmächtig zusehen, wenn die Qualität z.B. der Trinkwasserversorgung in den Kommunen sich drastisch verschlechtert, während die Preise in den Himmel schießen?
Wohl kaum. In den TiSA-Verhandlungen kann jede Vertragspartei individuell entscheiden, welche Dienstleistungen in welchem Umfang liberalisiert werden sollen. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge von ihren Verpflichtungen unter dem TiSA-Abkommen ausnehmen zu wollen. Auch sollen die Standstill- und Ratchet-Klauseln nur beschränkt Anwendung finden. Eine vollzogene Marktöffnung im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen könnte also wohl auch wieder zurückgenommen werden, wenn Fehlentwicklungen erkennbar werden.
Datenschutz: Keine Abschaffung durch die Hintertür
Wie steht es schließlich um den Datenschutz, dem in Europa bekanntlich eine ganz andere Bedeutung beigemessen wird als in vielen anderen Teilen der Welt? Die bisher bekannt gewordenen TiSA-Entwürfe scheinen schlimmste Befürchtungen zu bestätigen. So heißt es in einem viel zitierten Anhang des Abkommens zu Finanzdienstleistungen, es seien Maßnahmen untersagt, die eine Übermittlung oder Verarbeitung von Finanzdaten behindern. Teils wird deshalb befürchtet, dass im Finanzsektor die europäischen Datenschutzregeln zukünftig nicht mehr gelten und sensible Daten europäischer Bürger unreguliert in die USA und andere "unsichere" Drittstaaten fließen werden.
Doch auch diese Passage muss man im Kontext lesen. Denn das Abkommen stellt an anderer Stelle ausdrücklich klar, dass Vorschriften der Vertragsstaaten zum Schutz von personenbezogenen Daten "unberührt" bleiben sollen. Speziell für den Bereich der Finanzdienstleistungen betont der Entwurf, die Vertragsparteien seien nicht daran gehindert, personenbezogene Daten zu schützen. Das europäische Datenschutzrecht wird also nach menschlichem Ermessen auch in Zukunft auf grenzüberschreitende Datenflüsse Anwendung finden. Eine Abschaffung des Datenschutzes durch die Hintertür steht nicht zu befürchten.
Dr. Christian Hamann ist Counsel, Alina Nowosjolowa ist Associate bei Gleiss Lutz.
Alina Nowosjolowa und Dr. Christian Hamann , Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen: Keine Angst vor TiSA . In: Legal Tribune Online, 15.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18787/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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