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Staatsrechtler hält Ökostrom-Umlage für verfassungswidrig: "Das EEG ist ein Selbst­be­di­e­nungs­laden"

Interview mit Prof. Dr. Gerrit Manssen

11.10.2012

Peter Altmaier

Bundesumweltminister Peter Altmaier in Berlin (11.10.2012), Foto: Thomas Imo / photothek.net

Am Donnerstag präsentierte Bundesumweltminister Altmaier, wie er bei einer umfassenden Reform des EEG vorgehen will. Dabei pries er das Gesetz als eine "Erfolgsgeschichte". Warum er diese Meinung nicht unbedingt teilt, erklärt Gerrit Manssen im LTO-Interview. Der Staatsrechtler kam Anfang des Jahres in einem Gutachten für die Textilbranche zu dem Ergebnis, dass die Öko-Umlage verfassungswidrig ist.

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Kohlepfennig-Entscheidung und Ausnahmen für Golfplätze

LTO: Was ist die EEG- oder Ökostrom-Umlage überhaupt?

Manssen: Das ist ein Aufschlag auf jede Kilowattstunde Strom, den der Verbraucher zahlen muss. Damit wird das Defizit gedeckt, das die Netzbetreiber wirtschaftlich dadurch erleiden, dass sie Ökostrom teuer ankaufen müssen und ihn an der Strombörse in Leipzig aber nicht zum selben hohen Preis weiterverkaufen können.

Stromverbraucher sind dabei selbstverständlich nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen. Grundsätzlich muss jeder, der Strom verbraucht, die Umlage zahlen.

LTO: Sie haben im Auftrag des Gesamtverbands Textil + Mode ein Gutachten verfasst, in dem Sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Öko-Umlage verfassungswidrig ist. Was führt Sie zu diesem Schluss?

Manssen: Es gibt eine ältere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum so genannten Kohlepfennig. Damals erhob der Gesetzgeber einen Aufschlag auf den Strompreis, um damit die Steinkohlebergwerke zu subventionieren. Die Verfassungsrichter stellten fest, dass es nicht Aufgabe des Stromverbrauchers ist, den Einsatz deutscher Steinkohle zu sichern. Der Gesetzgeber müsse eine solche Subventionierung vielmehr über Steuern finanzieren (Beschl. v. 11.10.1994, Az. 2 BvR 633/86).

Im Prinzip gilt heute das Gleiche für die erneuerbaren Energien. Die EEG-Umlage ist eine hoheitliche Abgabe, die genauso verfassungswidrig ist wie früher der Kohlepfennig.

"Umlage wurde still und heimlich eingeführt"

LTO: Seit wann gibt es diese Umlage?

Manssen: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat eine lange Geschichte. Die EEG-Umlage in der jetzigen Form gibt es seit dem 01.01.2010.

LTO: Das ist nun über zweieinhalb Jahre her. Wieso hat sich bisher noch niemand dagegen gewehrt?

Prof. Dr. Gerrit ManssenManssen: Das liegt wohl daran, dass die Umlage still und heimlich eingeführt wurde. Zunächst wurde die Umlage durch eine Verordnung aufgrund einer Experimentierklausel im alten EEG eingeführt. Erst 2011 regelte der Gesetzgeber die Umlage dann im EEG selbst. Diese Novellierung des EEG hat die Textilbranche dann zum Anlass für eine verfassungsrechtliche Überprüfung genommen. Das Ergebnis ist eindeutig.

LTO: In Ihrem Gutachten kommen Sie zu dem Ergebnis, die Umlage ist eine unzulässige Sonderabgabe und damit finanzverfassungsrechtlich fragwürdig. Das Budgetrecht des Parlaments werde ausgehöhlt. Können Sie das erläutern?

Manssen: Deutschland ist ein Steuerstaat. Das bedeutet, öffentliche Aufgaben müssen grundsätzlich durch Steuern finanziert werden. Es ist nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen zulässig, neben der Steuer eine andere Abgabe zu erheben. Das hängt mit der Verteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern zusammen, aber auch mit der Gesetzgebungskompetenz und der Gesamtverantwortung des Parlaments, also des Haushaltsgesetzgebers, für die steuerlichen Belastungen, die den Bürgern auferlegt werden.

"Ausnahmen kann der Gesetzgeber nie trennscharf formulieren"

LTO: Grundrechte und den Gleichheitsgrundsatz sehen Sie dagegen nicht verletzt?

Manssen: Es ging bei diesen grundrechtlichen Überlegungen darum, ob die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen verfassungswidrig sind. Denn diese Ausnahmen führen dazu, dass die EEG-Umlage für nicht-privilegierte Unternehmen immer teurer wird. Der Gesetzgeber hat da aber einen weiten Gestaltungsspielraum. Er kann sehr wohl aus Gründen der Wirtschaftsförderung sagen, dass er bestimmte Unternehmen von der Umlage freistellt oder diese für sie reduziert. Dagegen ist grundrechtlich nichts zu sagen. Aber das Instrument ist das falsche. Eine nicht-steuerliche Abgabe ist eben nicht möglich.

LTO: Das heißt, das Problem ist allein finanzverfassungsrechtlicher Natur?

Manssen: Ja.

LTO: Diese Ausnahmeregelungen werden aktuell besonders kritisiert. Nicht nur Aluminiumhütten, sondern auch Golfplätze profitieren von der Förderung. Überschreitet der Gesetzgeber damit nicht seinen Gestaltungsspielraum?

Manssen: Natürlich führen solche Privilegien immer dazu, dass man darüber streiten kann, ob tatsächlich alle Unternehmen, die die Voraussetzungen erfüllen, berechtigterweise von der Ausnahme profitieren. Das ist bei einer abstrakt-generellen Regelung, wie einem Gesetz, unvermeidlich. Man kriegt das nie trennscharf hin.

LTO: Ist die Privilegierung des Golfplatzes also eher ein Problem der konkreten Anwendung des Gesetzes? Ist auf dieser Ebene irgendetwas schief gelaufen?

Manssen: Nein. Das ist einfach die Konsequenz daraus, dass Sie nicht jeden konkreten Einzelfall im Gesetz regeln können. Es kommt vielmehr abstrakt auf den Stromverbrauch und darauf an, wie hoch der Stromverbrauch an der Gesamtwertschöpfung ist. Und wenn der Golfplatz diese Voraussetzungen erfüllt, dann profitiert er eben von der Ausnahme, wenn der Gesetzgeber ihn nicht ausdrücklich ausnimmt.

Klagen der Textilunternehmen und Vorschlag für ein verfassungskonformes EEG

Seite 2/2: "Klagen der Textilunternehmen erledigen sich durch Altmaiers Vorschläge nicht"

LTO: Einige Textilunternehmen verklagen nun auf der Grundlage Ihres Gutachtes, die Energieversorger auf Rückzahlung der EEG-Umlage. Eine erste mündliche Verhandlung ist für Mitte November vor dem Landgericht Bochum terminiert. Könnten sich die Klagen durch die aktuellen Reformvorschläge Altmaiers erledigen?

Manssen: Die anhängigen Gerichtsverfahren erledigen sich natürlich nicht. Die Vorschläge Altmaiers zielen ja auf eine zukünftige Änderung der Gesetzeslage. Die Frage, ob die Umlage 2010, 2011 und 2012 zu Recht erhoben wurde, bleibt davon unberührt.

Außerdem beabsichtigt der Minister nicht das System grundlegend zu ändern, soweit ich seine Vorschläge kenne. Wenn ich richtig informiert bin, will der Minister die EEG-Umlage nicht abschaffen, sondern nur novellieren, also zum Beispiel der Höhe nach begrenzen. Das ändert aber nichts am Grundproblem. So kann man sicherlich versuchen, die Steigerung des Strompreises abzufedern, aber das finanzverfassungsrechtliche Problem wird dadurch nicht gelöst.

LTO: Was schlagen Sie den vor? Wie könnte der Gesetzgeber das Problem lösen?

Manssen: Es gibt mittlerweile verschiedene Denkansätze. Der klassische Weg wäre, die Anlagenbetreiber zu subventionieren, damit sie ihren Strom zu Marktpreisen verkaufen können. Eine andere Möglichkeit wäre, Quotenmodelle einzuführen. Die Netzbetreiber und die Stromversorger müssten danach verpflichtet werden, einen bestimmten Anteil von Ökostrom zu kaufen.

LTO: Und wie sollten etwa solche Subventionen finanziert werden?

Manssen: Da bleibt wohl nichts anderes übrig, als das über Steuern zu finanzieren. Wie es eben in einem Steuerstaat von der Verfassung vorgesehen ist. Und natürlich hätte der Gesetzgeber dabei auch die Möglichkeit, die Steuern zu erhöhen. Als der Kohlepfennig für verfassungswidrig erklärt wurde, hat der Gesetzgeber die Stromsteuer entsprechend angehoben. Für den Stromverbraucher hat es im Endergebnis also gar keinen großen Unterschied gemacht. Aber das ist eben finanzverfassungsrechtlich der saubere Weg.

LTO: Das heißt, im Prinzip würde sich nichts ändern? Es wäre nur anders geregelt?

Manssen: Es würde sich schon etwas ändern. Das EEG ist nämlich ein Selbstbedienungsladen. Wenn der Haushaltsgesetzgeber aber eine Subvention verteilt, dann setzt er vorher genau fest, in welcher Höhe er das tut. Beim EEG hängt die Summe der verteilten Gelder dagegen davon ab, wie viele Anlagen ans Netz gehen. Und das wird nicht gesteuert. Den starken Anstieg der EEG-Umlage könnte man daher auch durch bessere Steuerungsinstrumente regulieren.

Klage der Textilunternehmen könnte vor EuGH landen

LTO: Welche Argumente halten Ihnen die Befürworter der EEG-Umlage entgegen?

Manssen: Die politischen Argumente sind bekannt. Es geht um die Energiewende, den Atomausstieg, den Klimaschutz. Die rechtlichen sind dagegen sehr sparsam. Bisher gibt es keine wirklich substanzielle Verteidigung der EEG-Umlage. Das einzige, was man einwenden könnte, ist, dass die Umlage nicht in einen staatlichen Fonds oder Haushalt fließt, sondern quasi über die Stromversorger und die Netzbetreiber abgewickelt wird. Das ist auch der Unterschied zur Kohlestromförderung.

Der Staat bekommt das Geld also selber nicht zu sehen. Man könnte deshalb darüber diskutieren, ob die Umlage wirklich eine öffentliche Abgabe ist. Aber das ist eigentlich kein entscheidender Punkt. Natürlich hat der Gesetzgeber immer das Recht einen Privaten heranzuziehen, um eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Das ändert an dem grundsätzlichen Charakter der Umlage als öffentliche Abgabe nichts.

LTO: Gibt es bereits Entscheidungen des BVerfG zum EEG?

Manssen: Es gibt alte Entscheidungen von vor etwa 15 Jahren, aber zu einer anderen Rechtsfrage. Damals legten Gerichte Karlsruhe die Frage vor, ob der Gesetzgeber den Ökostrom überhaupt durch eine Abnahmegarantie fördern dürfe. Es ging also nur darum, ob man die örtlichen Stromversorger dazu verpflichten kann, Ökostrom zu bestimmten Preisen anzukaufen.
Das ist eine Preis- und Abnahmeregelung, die der Gesetzgeber treffen kann. Keine öffentliche Abgabe. Deshalb gab es damals keine verfassungsrechtlichen Bedenken und das BVerfG hat die entsprechenden Vorlagen gar nicht erst zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 09.01.1996, Az. 2 BvL 12/95).

LTO: Ist die Umlage auch europarechtlich ein Problem?

Manssen: Ja, wobei es da Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gibt, die davon ausgeht, dass die Umlage keine unzulässige Beihilfe ist, weil praktisch nicht der Staat, sondern private Haushalte die Förderung der Ökoenergie finanzieren. Aber ich denke, da ist europarechtlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und auch die Ausnahmen für die energieintensiven Unternehmen werden europarechtlich nochmal hinterfragt werden müssen. Das sind eigentlich eindeutig Beihilfen.

LTO: Das heißt, die Verfahren der Textilunternehmen könnten nicht nur in Karlsruhe, sondern auch vor dem EuGH landen?

Manssen: Das ist nicht auszuschließen.

LTO: Herr Professor Manssen, ich bedanke mich für das Gespräch.

Prof. Dr. Gerrit Manssen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwaltungsrecht an der Universität Regensburg.

Die Fragen stellte Dr. Claudia Kornmeier.

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Prof. Dr. Gerrit Manssen, Staatsrechtler hält Ökostrom-Umlage für verfassungswidrig: "Das EEG ist ein Selbstbedienungsladen" . In: Legal Tribune Online, 11.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7292/ (abgerufen am: 29.03.2023 )

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