Das OVG NRW hat im Streit um die Mindestkörpergröße als Einstellungskriterium für Polizisten entschieden. Es fordert ein Gesetz, das die unterschiedlichen Mindestkörpergrößen für Männer und Frauen bestimmt. Zu Recht, meint Sarah Nußbaum.
Wer in Nordrhein-Westfalen (NRW) Polizist werden wollte, musste bisher eine bestimmte Körpergröße erreichen. Für männliche Bewerber galt dabei eine Mindestkörpergröße von 168 Zentimetern. Das ist rechtswidrig, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster mit Beschluss vom Donnerstag (Beschl. v. 21.09.2017, Az. 6 A 916/16).
Geklagt hatte ein Mann aus Essen, der mit 166 Zentimetern zunächst von der Polizei als zu klein abgelehnt wurde. Erfolgreich klagte er vor dem Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen (Az. 1 K 3788/14), doch das Land wollte die Entscheidung nicht hinnehmen und ging in die zweite Instanz. Am Donnerstag konnte das Land auch dort nicht überzeugen. Die Richter fordern für die unterschiedlichen Anforderungen, die an die Körpergröße von Männern und Frauen im Auswahlverfahren gestellt wird, eine gesetzliche Grundlage.
Vor den Verwaltungsgerichten in Düsseldorf (Az. 2 K 7427/17), Aachen (Az. 1 l 6/17), Köln (Az. 19 L 2690/16) und anderen nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten wurden zuletzt die Klagen zugunsten der "zu kleinen" Bewerber entschieden. Nach der Bestätigung durch das OVG Münster werden wir in Zukunft in NRW wohl auch "kleine" Polizisten in Uniform sehen.
Wann ist man groß genug für die Polizei?
Der für rechtswidrig erklärte Erlass des Innenministeriums NRW forderte für den Polizeidienst von Frauen eine Mindestkörpergröße von 163 Zentimetern. Für männliche Bewerber lag diese Grenze höher, sie mussten mindestens 168 Zentimeter groß sein.
Das Verfahren, das diesen Werten zugrunde lag, wurde schon in der ersten Instanz als unsubstantiiert und veraltet kritisiert. Für die zweite Instanz legte das Land nach und gründete eine Arbeitsgruppe, die sich mit aktuellen statistischen Daten über die Körpergröße in der deutschen Bevölkerung auseinandergesetzt und die Mindestgrößenregelungen im Verhältnis zu den aktuellen praktischen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes untersuchte.
Das Ergebnis: Ab einer Körpergröße von 163 Zentimeter kann in NRW sicher von einer Polizeitdiensttauglichkeit ausgegangen werden.
Eignung ist Ländersache
Die Entscheidung darüber, ob jemand als Beamter in den öffentlchen Dienst eingestellt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherren. Hier ist es also dem Land NRW überlassen, in welcher Weise es den Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem öffentlichen Amt aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nach Eignung, Befähigung und Leistung verwirklicht.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium hatte mit Erlass vom 09.03.2006 die Eignung betreffende Einstellungsvoraussetzung der Körpergröße für Frauen auf 163 Zentimeter und für Männer auf 168 Zentimeter festgelegt und diesen Erlass 2013 und 2016 bestätigt.
Grundsätzlich ist die Forderung einer Mindestkörpergröße aus Sicht der Gerichte nachvollziehbar. Sie soll eine störungsfreie Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben gewährleisten. Das VG Gelsenkirchen wies in der ersten Instanz auch darauf hin, dass es ausgeschlossenen Bewerbern freistehe, sich anderen beruflichen Tätigkeiten zuzuwenden.
Im operativen Einsatz der Polizei geht es um die Abwehr von Gefahren. Hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben der Bevölkerung sollen geschützt werden. Dabei kann es zu größenbedingten Problemen kommen. Das Land trug in der ersten Instanz vor, Einsatzhelme, ABC-Schutzmasken und Schutzwesten seien nicht für "keine" Polizisten konzipiert. Auch die Pedale des Polizeiwagens Volkswagen T4 könnten nicht immer sicher bedient werden und schließlich sei es erfoderlich, bei der "Festnahmetechnik 360" über die Führung des Kopfes den Gegner in eine instabilie Position zu bringen. Der Kläger behauptete, diese Pobleme mit seiner körperlichen Fitness ausgleichen zu können.
Sicher könnte das Land auch die Schutzausrüstung auf die Köpergröße der Beamten einstellen. Die Forderung einer Mindestkörpergröße bleibt aber dennoch ein Akt wertender Erkenntnis des Dienstherrn. So könnte man meinen, gegen einen Erlass, der für Männer und für Frauen eine Mindestkörpergröße von 163 Zentimetern festlegt, könne somit nichts eingewendet werden. Doch auch das sah das OVG anders.
2/2: Gleichbehandlung ist Sache des Gesetzgebers
Für die Entscheidung in der zweiten Instanz hatte das Land die Ergebisse der Arbeitsgruppe vorgelegt und behauptete nun selbst, dass ab einer Mindestkörpergröße von 163 cm von einer Eignung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst auszugehen sei. Dennoch sollte der männliche Kläger mit 166 cm weiterhin nicht aufgenommen werden.
Das Argument: Aus Gründen der Gleichstellung von Männern und Frauen wird von Männern eine fünf Zentimeter höhere Mindestgröße verlangt. Statistisch sind Männer größer als Frauen. Es könnten also mehr Männer zur Polizei zugelassen werden. Diesen natürlichen "Vorteil" der Männer will das Land nach eigenen Angaben durch die bei der Mindestkörpergröße mehr geforderten fünf Zentimeter ausgleichen.
Ein weiterer Schritt des Landes Nordrhein-Westfalen also, um Frauen zu fördern. Allerdings nicht erfolgreich: Das OVG stellt in seiner Entscheidung darauf ab, dass es sich bei der von den Männern geforderten Mindestkörpergröße nicht mehr um ein Eignungsmerkmal handeln und das Land diese Anforderung an die Männer damit nicht in einem Erlass regeln könne.
Dabei ist der Zweck der Regelung entscheidend. Wie das Land selbst behauptete, geht es bei den fünf Zentimetern Unterschied ausschließlich um Gründe der Gleichstellung. So kam das OVG Münster nicht umhin, in der Mindestkörpergröße für Männer eine eignungsferne Anforderung zu sehen.
Das Ziel der Regelung sei, den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. GG mit dem Recht auf Gleichberechtigung aus Art. 3 GG in Einklang zu bringen. Die Herstellung praktischer Konkordanz könne aber nicht durch einen Erlass des Innenministeriums erfolgen. Die Richter verlangten deshalb vom Land eine parlamentarische Entscheidung. Um den "Vorteilsausgleich" zu regeln, braucht es also ein Gesetz.
Dynamik der Entscheidung
Die Entscheidung des OVG Münster macht damit klar, dass alle Entscheidungen, nach denen sowohl Bewerberinnen als auch Bewerber wegen des Nichterreichens der Mindestkörpergröße als ungeeignet für den Polizeivollzugsdienst befunden werden, rechtswidrig sind.
Bisher haben die meisten Verwaltungsgerichte kein Gesetz gefordert. Das Land scheiterte schon an dem Vortrag zur Geeignetheit ab einer bestimmten Körpergröße. Erst nachdem mit dem Ergebnis der Arbeitsgruppe die Eignung ab 163 Zentimeter substantiiert vorgetragen werden konnte, trat die Gleichberechtigung in den Fokus der Entscheidungen. Druch den Beschluss des OVG Münster bleiben die Klagen der abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber wohl vorerst weiterhin erfolgreich.
Nun musste das Land also nicht nur eine Arbeitsgruppe einrichten, sondern künftig auch ein Gesetz entwickeln. Kommende Bewerber werden zunächst nicht an der Mindestgröße scheitern und die Ausblidung beginnen können.
In Deutschland haben die Bundesländer unterschiedliche Anforderungen an die Körpergröße von angehenden Polizistinnen und Polizisten. Meist liegt die Grenze bei 160 Zentimetern. Aber auch diese Grenze gilt NRW nun nicht mehr: Ebenso wie bei der Bundespolizei ist der Zugang nun unanhängig von der Körpergröße möglich. Künftig werden wir wohl nicht nur am Düsseldorfer Flughafen, auf dem die Bundespolizei eingesetzt ist, auf "kleine" Polizistinnen und Polizisten treffen, sondern auch im Stadtgebiet der Landeshauptstadt.
Bis die Landesregierung ihren Gedanken an den "Vorteilsausgleich" in ein Gesetz gegossen hat, wird noch einige Zeit vergehen. Eine Chance, zu zeigen, dass die Polizei in NRW auch ohne die Forderung einer Mindestkörpergröße ihre Augaben erfüllen kann.
Die Autorin Sarah Nußbaum ist Rechtsanwältin in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Die Kanzlei ist auf das öffentliche Dienstrecht, insbesondere Beamten- und Disziplinarrecht spezialisiert.
OVG zur Mindestkörpergröße für Polizisten in NRW: Ein "zu klein" gibt es vorerst nicht . In: Legal Tribune Online, 22.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24659/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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