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OLG Hamm gibt Spenderkind Recht: Arzt muss anonymen Samenspender nennen

von Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz

06.02.2013

künstlich befruchtete Eizelle

© digitalbalance - Fotolia.com

Sarah P. wurde per Samenspende gezeugt. Nun hat das OLG Hamm den Reproduktionsmediziner verurteilt, den Namen ihres Erzeugers zu nennen. Tausende anderer Spenderkinder könnten nun das Gleiche fordern. Für ihre Familien eine große Belastung, für Samenspender und Ärzte ein enormes Risiko. Das deutsche Recht ist der modernen Fortpflanzungsmedizin längst nicht mehr gewachsen, meint Herbert Grziwotz.

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Es ist drei Jahre her, dass die heute 21-jährige Sarah P. von ihrer Mutter erfuhr, dass der Mann, den sie als ihren Vater kennt, nicht ihr Erzeuger ist. Wegen seiner Unfruchtbarkeit ist sie mittels einer Samenspende gezeugt worden. Wie ihr geht es in Deutschland ca. 100.000 Kindern, die seit 1970 nach einer heterologen Insemination zur Welt kamen.

Nun verlangt sie von dem Essener Mediziner, in dessen Gemeinschaftspraxis die Samenspende vor 22 Jahren stattfand, die Herausgabe des Spendernamens und Schadensersatz für den Fall der nicht fristgerechten Nennung. Vor dem Landgericht (LG) Essen unterlag die Sauerländerin noch (Urt. v. 07.02.2012, Az. 2 O 260/11). Die Zusicherung der Klinik an den Samenspender, seine Anonymität zu wahren, und sein informationelles Selbstbestimmungsrecht gingen vor, entschieden die Essener Richter.

OLG Hamm: Arzt muss auch nach Informationen recherchieren

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hingegen hat Sarah P. nun Recht gegeben. Die Berufungsrichter entschieden, dass sie einen Anspruch gegen den Mediziner auf Herausgabe des Namens hat. Auch mit seiner Argumentation, dass die Daten ihm nicht mehr vorlägen, war der Arzt nicht erfolgreich. Bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der Senat mitgeteilt, von seinen teilweise widersprüchlichen und im Laufe der Zeit wechselnden Aussagen nicht überzeugt zu sein.

Nun kann Sarah P. ihren Auskunftsanspruch sogar mit staatlicher Hilfe durchsetzen, auch wenn der beklagte Fortpflanzungsmediziner sich weiterhin
darauf beruft, dass die Daten zu dem Fall nicht mehr vorlägen. Der Mediziner muss aber nun auch frühere Mitarbeiter befragen und eine umfassende Recherche nach den Unterlagen veranlassen.

Weigert er sich weiter, den Namen der drei in Betracht kommenden Väter zu nennen, drohen ihm Zwangsgeld und Zwangshaft. Markus Goldbach, der Anwalt von Sarah P., der sich nach der Urteilsverkündung erleichtert zeigte, hat bereits angekündigt, nun die entsprechenden Schritte beim Landgericht Essen einzuleiten.

Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung

In der Sache überraschend ist das Urteil aus Hamm nicht. Nicht nur Sarah P. ging schon vor der Hammer Entscheidung davon aus, dass diese ihr den Auskunftsanspruch zubilligen würde.

Bereits mit Urteil vom 31. Januar 1989 (Az. 1 BvL 17/87) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Anspruch eines Kindes auf gerichtliche Klärung seiner Abstammung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen.

Im Verhältnis zur Mutter (BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997, Az. 1 BvR 409/90) muss allerdings dieses Recht mit deren ebenfalls verfassungsmäßig geschütztem Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre abgewogen werden. Bei diesem Ausgleich muss berücksichtigt werden, dass das Kind die Auskunft über seinen genetischen Vater zur Identitätsfindung benötigt.

Kinder ohne Wurzeln und das deutsche Recht

Auch die aktuellen Wertungen des Gesetzgebers sprechen eine deutliche Sprache. Adoptivkinder können nach Vollendung des 16. Lebensjahres Einsicht in die Urkunden beim Standesamt nehmen, aus denen sich ihre  wirklichen Eltern ergeben (§ 63 Abs. 1 Personenstandsgesetz, PStG), die Unterlagen muss das Standesamt 110 Jahre lang aufbewahren. Ein per Samenspende gezeugtes Kind ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einem adoptierten ähnlich (BGH, Urt. v. 03.05.1995, Az. XII ZR 29/94).

Nicht nur der Vater, sondern auch das Kind kann außerdem nach § 1598a Bürgerliches Gesetzbuch verlangen, dass seine Eltern in eine genetische Abstammungsuntersuchung einwilligen, um seine leibliche Abstammung zu klären - und zwar jederzeit und ohne Befristung. Trotz dieser eindeutigen Bekenntnisse des Gesetzgebers zum Recht des Kindes, über seine eigene Abstammung Bescheid zu wissen, wollen Juristen ihm teilweise einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des Namens seines Spendervaters jedenfalls dann versagen, wenn es einen gesetzlichen Vater hat.

Auf diesen Aspekt der rechtlichen Familie stellen einige Familienrechtler ab. Insofern könnte es sein, dass andere Oberlandesgerichte in Parallelfällen abweichend vom  OLG Hamm entscheiden, das die Revision nicht zugelassen hat. Eine Beschwerde gegen das Urteil aus Westfalen bleibt jedoch möglich.

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    Kinder ohne Wurzeln, Ärzte ohne Infos und das OLG Hamm

  • Seite 2:

    Gefahren für Ärzte, Spender und Familien – wie soll es weitergehen?

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Herbert Grziwotz, OLG Hamm gibt Spenderkind Recht: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8113 (abgerufen am: 24.05.2025 )

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