Anfang Dezember wollen die Innenminister von Bund und Ländern über einen neuen Verbotsantrag der NPD entscheiden. Nun geht die Partei in die Offensive und beantragt in Karlsruhe, ihre Verfassungstreue feststellen zu lassen. Sebastian Roßner erklärt im LTO-Interview, warum das weder in Karlsruhe noch in Straßburg klappen wird – obwohl die NPD vielleicht tatsächlich in ihren Rechten verletzt ist.
LTO: Die NPD will ihre Verfassungsmäßigkeit feststellen lassen. Sie sieht ihre Rechte dadurch verletzt, dass auch durch staatliche Stellen ihre Verfassungswidrigkeit behauptet, aber kein Verbotsantrag gestellt wird. Das ist, so weit wir wissen, der erste Antrag dieser Art in Karlsruhe. Gibt es eine Feststellungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – oder ein sonstiges Verfahren, das für ein solches Begehren vorgesehen wäre?
Roßner: Eine Feststellungsklage ist vor dem Verfassungsgericht nicht vorgesehen. Dabei gilt das Enumerationsprinzip: Es gibt nur diejenigen Klagearten, die gesetzlich geregelt sind.
Eine Ausnahme könnte man allenfalls erwägen, wenn dadurch eine nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücke entsteht. Dann könnte man überlegen, über den Weg des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ein Verfahren praeter legem zu konstruieren.
LTO: Auf dieses Gebot des effektiven Rechtsschutzes will die NPD ihre Klage nach eigenen Angaben stützen. Sie stellt sich vor, dass das BVerfG prüfen soll, ob die Möglichkeit von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, eine Partei verbieten zu lassen, mit Blick auf das europäische Recht erweiternd ausgelegt werden müsste.
Roßner: Es geht dabei gar nicht um einen Rückgriff auf europäisches Recht. Es gibt eine solche gravierende Rechtsschutzlücke nicht. Der Rechtsstatus der NPD ist, von den prozessualen Fragen einmal ganz abgesehen, durch irgendwelche Äußerungen über ihre Verfassungsfeindlichkeit nicht tangiert. Damit wird die NPD nicht durchkommen.
"Keine Umdeutung in ein Organstreitverfahren möglich"
LTO: Und andere Klagemöglichkeiten gibt es nicht? Immerhin beruft die Partei sich ja darauf, in ihren Rechten dadurch verletzt zu sein, dass sie als verfassungswidrig bezeichnet, aber dennoch kein Verbotsantrag gestellt werde. Gibt es keine Möglichkeit, gegen die Bezeichnung als verfassungsfeindlich durch eine staatliche Stelle vorzugehen?
Roßner: Denkbar wäre theoretisch, über ein Organstreitverfahren eine bestimmte Äußerung als verfassungswidrig einordnen zu lassen. Die Parteien sind organstreitfähig. Wenn also ein Verfassungsorgan des Grundgesetzes die Partei in ihrem Rechtsstatus verletzte, könnte die Partei versuchen, auf diesem Wege vorzugehen.
Das würde aber nur punktuell wirken, sich also nur auf eine konkrete Äußerung beziehen. Außerdem müsste die NPD darlegen, dass die Aussage sie in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Argumentieren könnte man damit, dass eine Partei, die als verfassungsfeindlich bezeichnet wird, gegenüber den anderen Parteien in ihrer Chancengleichheit benachteiligt wird. Geschieht das durch ein Verfassungsorgan, könnte dieses seine verfassungsmäßigen Pflichten gegenüber der Partei verletzt haben.
Dabei sind die Verfassungsgerichte aber sehr zurückhaltend. Sie begründen das damit, dass das Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung seien, die als solche zulässig sind. Wenn der Partei dadurch faktische Nachteile entstehen sollten, sei sie dagegen nicht durch Art. 21 GG geschützt, der eben nur vor rechtlichen Folgen schütze. Ob das zutreffend ist, daran habe ich allerdings auch ein bisschen Zweifel. Immerhin ist im Bereich der Grundrechte der faktische Eingriff anerkannt.
LTO: Den Angaben der NPD zur Einleitung des Verfahrens in Karlsruhe kann man aber wohl entnehmen, dass die Partei kein Organstreitverfahren eingeleitet, sondern offenbar tatsächlich einen Feststellungsantrag gestellt hat, von dem sie selbst weiß, dass das BVerfGG einen solchen nicht vorsieht. Könnte das BVerfG den Antrag umdeuten?
Roßner: Das ginge wohl über die Grenzen der Umdeutung hinaus. Beim Organstreitverfahren muss der Kläger einen konkreten Akt benennen, gegen den er sich wehrt. Das dürfte wohl hier kaum geschehen sein – was sollte das BVerfG da nun hinein deuten? Es dürfte an einem konkreten Organstreitgegenstand fehlen.
2/2 "Das BVerfG hält solche Äußerungen der Regierung für grundsätzlich zulässig"
LTO: Gegen die generelle Darstellung als verfassungsfeindlich kann die NPD also tatsächlich nichts tun? Gibt es denn, wenn einerseits ein Parteiverbot – seinerseits ebenfalls nur beim BVerfG – beantragt werden kann, die Partei aber andererseits keine Möglichkeit hat, feststellen zu lassen, dass es keinen Grund gibt, sie zu verbieten, nicht tatsächlich die von der NPD monierte Rechtsschutzlücke?
Roßner: Die Partei ist durchaus nicht rechtlos gestellt, hat aber auch bestimmte Dinge hinzunehmen. Das BVerfG hat sich auch schon mit dieser Frage beschäftigt. Zum Beispiel hat die NPD in den siebziger Jahren versucht, sich mit dem Organstreitverfahren gegen die Bezeichnung als verfassungsfeindlich durch den Bundesinnenminister zu wehren.
LTO: Es gibt also durchaus schon Rechtsprechung zu der Frage, ob die Partei als verfassungswidrig bezeichnet werden darf?
Roßner: Das BVerfG hat in der Tat damals festgestellt, dass solche Äußerungen der Regierung zulässig sind, solange sich nicht der Schluss aufdränge, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen oder ähnliches.
"Man kann schon darüber nachdenken, ob die Bezeichnung als verfassungswidrig rechtserheblich ist"
LTO: Aber dennoch ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass die offizielle Bezeichnung der Partei als verfassungswidrig durchaus eine Beeinträchtigung für die NPD darstellen kann.
Roßner: Das ist in der Tat die interessanteste Frage dabei. Eine solche Behauptung setzt die Partei natürlich schon herab – und das Ganze mit Amt und Siegel versehen. Man kann darüber nachdenken, ob das nichtrechtserheblich ist und Eingriffscharakter trägt. Dann müsste ein Gesetz diesen Eingriff erlauben – und zwar mit guten Gründen im Einzelfall. Aber wie gesagt: Die Gerichte sehen das bisher nicht so.
LTO: Die Partei hat bereits angekündigt, wenn sie in Karlsruhe keinen Erfolg hat, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu ziehen. Wagen Sie eine Prognose, wie ein solches Verfahren ausgehen könnte – auch vor dem Hintergrund, dass Sie ein Verbot der NPD für nicht Straßburg-fest halten?
Roßner: Ich bin mir relativ sicher, dass die NPD auch in Europa mit ihrem Anliegen scheitern wird. Ihr Rechtsstatus als solcher ist ungeschmälert; es ist kaum vorstellbar, dass der EGMR derart in innerdeutsche Angelegenheiten eingreifen würde. Es gibt weder ein Verfahren, innerhalb dessen die Partei ihr Anliegen geltend machen könnte, noch vor allem ein so starkes Interesse an der Feststellung, dass ein außergesetzliches Verfahren eröffnet werden müsste – da wird Straßburg nicht einschreiten.
LTO: Alles nur heiße Luft von den Rechten also?
Roßner: Die NPD möchte Druck machen, das ist eher ein politisches Manöver als ein rechtliches – wenn auch mit durchaus interessanten Rechtsfragen.
LTO: Herr Dr. Roßner, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Sebastian Roßner, NPD will Verfassungstreue vom BVerfG feststellen lassen: "Damit wird die Partei nicht durchkommen" . In: Legal Tribune Online, 13.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7535/ (abgerufen am: 07.06.2023 )
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