Läuft bei einem Einsatz die Body-Cam, sprechen Polizeibeamte nicht mehr unbefangen. Wer dann zum Smartphone greift und filmt, macht sich deshalb nicht strafbar, hat das Landgericht Hanau entschieden. Es appelliert an den Gesetzgeber.
Muss man damit rechnen, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn man einen Polizeieinsatz mit dem Smartphone in Bild und Ton aufnimmt? Zu dieser Frage gibt es mittlerweile rund ein Dutzend Gerichtsentscheidungen von Amtsgerichten, Landgerichten, zuletzt sogar von zwei Oberlandesgerichten. Die Rechtslage ist aber noch nicht verlässlich geklärt. Unterm Strich bleibt vor allem eins: Unsicherheit bei den Betroffen und bei der Polizei.
Jede neue Gerichtsentscheidung steuert damit ein neues Puzzlestück bei, unterstützt oder kritisiert die Vorgängerentscheidungen, schreibt sie fort. Wer die Entscheidungen der vergangenen vier Jahre nebeneinander legt, kann beispielhaft beobachten, wie sich Stück für Stück zu einer ungeklärten Rechtsfrage eine neue Rechtsprechung herausbildet.
Das neueste Puzzlestück hat nun das Landgericht (LG) Hanau geliefert. Es traf Aussagen zu einem Aspekt, der bisher noch nicht gerichtlich entschieden wurde, in der Praxis aber eine große Rolle spielt: Wenn bei einem Polizeieinsatz die Bodycam eines Polizeibeamten eingeschaltet ist, dann macht sich nicht strafbar, wer auf der anderen Seite mit seinem Smartphone filmt und den Ton aufnimmt. Die Aufzeichnung mit der Body-Cam sorgt nach Ansicht der 1. Großen Kammer des LG nämlich dafür, dass Äußerungen von Polizeibeamten nicht mehr als "nichtöffentlich" im Sinne der Strafvorschrift § 201 Strafgesetzbuch (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) angesehen werden können. Der zehnseitige Beschluss liegt LTO vor (Beschl. v. 20.04.2023 Az. 1 Qs 23/22).
In dem Moment, in dem die Polizei zum Zweck der Beweissicherung aufzeichnet, dürfen es – und zwar straffrei – auch Betroffene auf der anderen Seite. Das LG statuiert sozusagen ein Prinzip der Waffengleichheit beim (Ton-)Filmen von Einsätzen.
Wann sind Gespräche "nichtöffentlich"?
Gerichtsentscheidungen, die Aufnahmen als strafbar ansehen, sorgen vor dem Hintergrund einer Diskussion über Polizeigewalt immer wieder für Aufmerksamkeit. Filmende argumentieren, sie wollten vor Ort Polizeieinsätze dokumentieren, für den Fall, dass sie aus dem Ruder laufen.
§ 201 StGB schützt dabei die Vertraulichkeit des Wortes – es geht also nur um den Ton, vor allem sollen vertraulich geführte Gespräche auch vertraulich bleiben. Bestraft wird, wer das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Knackpunkt bei den bisherigen Gerichtsentscheidungen ist die Frage: Was heißt "nichtöffentlich"? Vor allem dann, wenn der Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit stattfindet. Rechtswissenschaftler kritisieren, dass die Strafvorschrift von vornherein nicht auf Polizeieinsätze in der Öffentlichkeit passe.
Zusammengefasst wird diese Kritik unter dem Schlagwort "faktische Öffentlichkeit", also einer Situation, in der beliebige weitere Personen von einem öffentlichen Ort aus die Aktion hätten wahrnehmen können. Gespräche, die in einer solchen Umgebung geführt werden, fallen nicht unter die Strafvorschrift. Auch eine ganze Reihe von Gerichten rechnete mit dem Smartphone angefertigte Aufnahmen von Polizeieinsätzen aus dem Anwendungsbereich des § 201 StGB heraus. Das Merkmal "nichtöffentlich" besonders eng auslegen und damit die Strafbarkeit ausklammern, wollten zuletzt das Oberlandesgericht Düsseldorf und das Landgericht Aachen. Den Richterinnen und Richter reicht für eine faktische Öffentlichkeit bereits, wenn die Polizeibeamten anhand der Umstände von Zeit und Ort damit rechnen mussten, dass unbeteiligte Dritte mithören könnten.
Nächtliche Polizeikontrolle endet im gegenseitigen Filmen
Interessanterweise bekam es das LG Hanau nun mit einem Fall zu tun, in dem eine Polizeikontrolle gefilmt wurde, die auch nach dem ganz strengen Maßstab nicht in faktischer Öffentlichkeit stattfand. Gegen 0.40 Uhr hatten Polizeibeamte ein Fahrzeug kontrolliert, das mit drei Männern unterwegs war. Das Fahrzeug hatte ohne Anlass den entgegenkommenden Polizeiwagen angehupt. Bei der anschließenden Kontrolle am Auto entwickelte sich eine Diskussion zwischen den Männern und den Beamten, ob die Maßnahme eigentlich notwendig gewesen sei. Als einer der Beamten mit seiner Taschenlampe in das Fahrzeug leuchtete, leuchtet einer der Männer mit der Lampe seines Smartphones zurück. Die Situation wurde laut Gerichtsbeschluss konfrontativ.
Einer der Polizeibeamten startete seine Body-Cam, nachdem er das dem Mann angekündigt hatte. Woraufhin der ebenfalls mit seinem Smartphone die Situation filmte. Der Beamte forderte den Mann auf, das Filmen zu unterlassen, da er sich strafbar mache und ihm sonst das Mobiltelefon abgenommen würde. Der Mann erklärte, dass sich das angefertigte Video "schon in der Cloud" befinden würde. Ein von den Beamten ans Telefon geholter Bereitschaftsrichter ordnete die Sicherstellung an. Hiergegen wehrte sich der Mann nachträglich. Das Amtsgericht Hanau hatte der Beschwerde des Mannes gegen die Sicherstellung nicht abgeholfen, es sah einen Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit nach § 201 StGB.
Wenn die Body-Cam läuft, sprechen Polizeibeamte nicht mehr unbefangen
Anders entschied nun das LG, das den Fall nutzte, um eine ganze Reihe sortierter und vertiefter Überlegungen rund um das Filmen von Polizeieinsätzen anzustellen.
Zunächst zur Gesprächssituation: Sprechen Polizeibeamte bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle durch geöffnete Türen oder Fenster mit Fahrzeuginsassen, dann hätten laut Gericht selbst zufällig vorbeikommende Passanten keine Chance, davon mehr als nur Gesprächsfetzen mitzubekommen. Es handelt sich nach Auffassung des LG also um eine abgegrenzte Gesprächssituation. Die eingeschaltete Body-Cam hob diese Nichtöffentlichkeit aber dann auf, so das LG weiter.
Die Richterinnen und Richter arbeiten in ihrem Beschluss heraus, dass § 201 StGB ursprünglich – die Norm stammt aus dem Jahr 1967 – eingeführt wurde, um die damals noch neuen und deshalb oft unbemerkten technischen Möglichkeiten der Tonaufnahme einzuhegen und dazu die heimliche Aufnahme vertraulicher Worte im engen Kreis "als wesentliches Merkmal von Freiheitsstandards demokratischer Staaten verhindern wollte". Hintergrund waren damals spektakuläre "Lauschangriffe" auf Politiker und einen deutschen Atomphysiker. Alles Fälle, die vom nicht heimlichen Filmen in der Öffentlichkeit ziemlich weit entfernt sind.
Tatsächlich kommt der § 201 StGB erst so richtig zum Einsatz, nachdem 2015 das Bundesverfassungsgericht abgeräumt hatte, dass Aufnahmen von Polizeieinsätzen über § 22 und § 33 KunstUrhG strafbar sein sollten, auch wenn die Aufnahmen gar nicht veröffentlicht werden sollen, sondern nur zur Dokumentation angefertigt werden. Staatsanwaltschaften hatten dann den § 201 StGB für die Aufnahmefälle entdeckt.
Das LG betont, die Polizeibeamten bei der Kontrolle sprächen im hoheitlichen Kontext und fertigten Aufnahmen an, wozu sie gesetzlich ermächtigt seien. Polizeibeamte würden dann nicht mehr unbefangen sprechen. Vielmehr sei ihr Sprechen gekennzeichnet durch "das Bemühen um höchst konzentrierte, präzise auf die Ausfüllung des rechtlichen Rahmens abgestimmte Kommunikation."
Die Richterinnen und Richter fassen zusammen: "Eine solche Gesprächssituation nimmt nach Auffassung der Kammer gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil."
Strafrechtswissenschaftler: "Prozessuale Waffengleichheit, aber auch dogmatisch unsicher"
"So lässt sich prozessuale Waffengleichheit herstellen, ohne dass die Beweisbarkeit der Darstellung des Beschuldigten ausschließlich an dem Polizeivideo hängt", meint Daniel Zühlke, Strafrechtswissenschaftler an der Uni Frankfurt, der die Entscheidung "rechtsstaatlich begrüßenswert" findet. "Es ermächtigt die betroffene Person, die Beweissituation selbst in der Hand zu halten; auch um gegebenenfalls verwaltungsrechtlich gegen die Maßnahme vorzugehen."
"Dass die Nichtöffentlichkeit auch bei technischer Kenntnisnahme Dritter entfällt, ist neu und der dogmatische Boden ist unsicher", so Zühlke weiter zu LTO. "Ich vermute, dass das Gericht daher von einer mit der faktischen Öffentlichkeit vergleichbaren Situation spricht. Insofern steht die Entscheidung nicht wirklich in direktem Bezug zu, sondern neben den bisherigen Entscheidungen, die sich vor allem mit der faktischen Öffentlichkeit durch weitere anwesende Personen auseinandergesetzt haben."
LG: Der Gesetzgeber muss ran
Das LG schildert zusammenfassend die Spannungen, die die Anwendung von § 201 StGB auf die Fälle von Polizeieinsatzaufnahmen mit sich bringen. Einerseits werde es häufig lediglich vom Zufall abhängen, ob Dritte die Situation mitbekommen und damit den "nichtöffentlichen" Charakter entfallen lassen bzw. er erst hergestellt wird. Das sorgt für Unsicherheit, wann Aufnahmen nun wirklich strafbar sind.
Bürgerinnen und Bürger seien außerdem mittlerweile in ihrem Alltag daran gewöhnt, bedeutsame Ereignisse mit dem Smartphone festzuhalten. Das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, die Polizeiarbeit zu dokumentieren, stehe in Spannung mit dem Interesse der Polizei, ungestört ihre Arbeit machen zu können. Auch könne legitimerweise von Polizeiseite befürchtet werden, dass Aufnahmen ausschnitthaft oder aus dem Kontext gelöst später verwendet werden. Etwas umständlich verpackt hat das LG eine Botschaft: "Die konkret bestimmte Androhung von Strafe für die Aufnahme polizeilicher Maßnahmen oder der Verzicht darauf ist deshalb de lege ferenda unter Bewertung der in der Praxis vorgefundenen Phänomene und der widerstreitenden Interessen Sache des Gesetzgebers."
Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber sollte sich dem annehmen, findet das LG. Denkbar wäre, ausdrücklich abgeschirmte Gesprächssituation etwa statt mit dem Strafrecht als Ordnungswidrigkeit vor Aufnahmen zu schützen, so wie es Rechtswissenschaftler schon vorgeschlagen haben.
Oder ein Fall für den BGH?
Typischerweise kommen diese Fälle, in denen es ums Filmen von Polizeieinsätzen geht, aber schon gar nicht weiter durch die Instanzen als bis zum LG. Denn häufig geht es in diesen Fällen entweder um die Beschlagnahme eines Smartphones, dann gibt es aber nur zwei Instanzen: Das AG entscheidet zuerst; wird dagegen Beschwerde eingelegt, ist das LG dran – und danach ist Schluss. Oder die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft wegen § 201 StGB direkt verfolgt, sind Strafbefehlsverfahren. Zu einem Gerichtsverfahren kommt es dann nur, wenn sich der Betroffene wehrt; erst dann können ein Urteil ergehen und ggf. dagegen Rechtsmittel eingelegt werden. Auch nur so kann das Verfahren zu einem OLG gelangen - oder sogar irgendwann mal ein Fall für den BGH werden. Wenn ein OLG in einer Rechtsfrage von einem anderen OLG abweichen will, kann es nämlich dem BGH vorlegen. Der BGH kann dann für Rechtseinheitlichkeit sorgen, obwohl der Instanzenzug eigentlich beim OLG endet. Dann gäbe es auch endlich Klarheit.
Landgericht Hanau zu aktivierter Body-Cam: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51962 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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