Im Juli 2012 gab es einen medialen Skandal: Ein Bäcker, der seine Brötchen an die Tafeln für Obdachlose verschenkte, statt sie in den Müll zu werfen, sollte dafür über 5.000 Euro Steuern nachzahlen. Eine rechtlich völlig korrekte Forderung - die Deutschlands Finanzbehörden dennoch seitdem nicht mehr stellen. Sie tun Gutes und sprechen nicht darüber.
Spiegel.de titelte "Fiskus greift sich Lebensmittel-Spender" und fürchtete, den Obdachlosen-Tafeln würden bald die Brötchen ausgehen, nachdem ein mildtätiger Bäcker über 5.000 Euro für die gespendeten Backwaren nachzahlen sollte.
Das Finanzamt berief sich auf den Gesetzeswortlaut des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und auf das europäische Recht. Der Kleinunternehmer habe schwarz gespendet, so die zuständige Behörde. Sachspenden an gemeinnützige Organisationen unterlägen der Umsatzsteuer. Bemessungsgrundlage seien die Herstellungskosten der Brötchen, die das Finanzamt mit der Hälfte des Verkaufspreises angesetzt habe.
Der Bäcker, die Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Medien verstanden die Welt nicht mehr. Kann das Gesetz einem Kleinunternehmer faktisch verbieten, seine Brötchen zu verschenken? Die Antwort ist: es kann. Aber die Menschen - und dazu zählen, daran sei zu Weihnachten ebenfalls erinnert, auch Juristen in Finanzministerien– können es besser. Ganz im Sinne der weihnachtlichen Botschaft von Liebe, Frieden und Mitmenschlichkeit.
Ob verkauft oder verschenkt: Umsatzsteuer muss man zahlen
Der Bäcker musste damals gemäß § 3 I b S. 1 Nr. 3 UStG die Umsatzsteuer für die verschenkten Brötchen nachzahlen. Das Gesetz regelt, dass der Unternehmer die Mehrwertsteuer, die er durch den Verkauf seiner Waren von den Kunden erhält, an das Finanzamt abgeben muss.
Das Gesetz stellt aber "jede andere unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands" einer Lieferung gegen Entgelt gleich – solange "der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben". "Egal, ob man Ware verschenkt oder mit Mehrwertsteuer verkauft, man muss zahlen", bringt es Dennis Klein, Professor für Steuerrecht an der Leibniz-Fachhochschule Hannover, auf den Punkt.
Er erklärt das am Beispiel des Bäckers so: "Wenn dieser Mehl kauft, bekommt er von der Mühle die Bruttorechnung inklusive der Umsatzsteuer, die er an den Händler erst einmal zahlen muss. Diese Vorsteuer kann er sich direkt vom Finanzamt wieder holen." Am Ende sollen die sieben Prozent Mehrwertsteuer für das fertige Brötchen nämlich die Verbraucher zahlen.
Steuern fürs Schenken: Und der deutsche Gesetzgeber kann nichts tun
Wenn der Bäcker nun aber gar nichts einnimmt, weil er die Brötchen verschenkt oder sie selber isst, kann er eigentlich auch nichts an den Staat weitergeben. Der würde aber, weil der Bäcker schon den Vorsteuerabzug genossen hat, nun am Ende auf der Umsatzsteuer für das Mehl sitzen bleiben. Deswegen lässt sich das Finanzamt in solchen Fällen die Steuer vom Bäcker bezahlen. "Das ergibt Sinn, wenn der Bäcker die Brötchen selbst gegessen hat", erklärt Klein. "Dann war er ja der Verbraucher und muss denklogisch auch die entsprechende Steuer abführen."
Das System verliert seinen Sinn, wenn der Bäcker noch dafür zahlen muss, dass er seine alten Brötchen an die Tafeln spendet, also wohltätig im Sinne der Gemeinschaft handelt. Schon im Jahr 2012 erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums das Gesetz für unsinnig und meinte, es müsste geändert werden. Das Problem seien aber die europäischen Vorgaben.
Tatsächlich gibt die Europäische Union (EU) mittlerweile in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie fast das gesamte Umsatzsteuerrecht vor, obgleich Steuern eigentlich eine nationale Angelegenheit sind. Ein konsistentes System mit detaillierten Vorgaben solle den Handel zwischen den Mitgliedstaaten vereinfachen, begründet Steuerrechtler Klein die weitgehende Harmonisierung. "Dem deutschen Gesetzgeber bleiben daher tatsächlich keine Spielräume, um das Gesetz zu ändern."
2/2: Die Finanzämter drückten ein Auge zu
Deutsche Lebensmittelspender verschenkten daraufhin ihre Ware nicht länger, sondern verkauften die gesamte Lieferung für einen Euro. Dieser Betrag bildete dann die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer und war mit sieben Cent pro Lieferung zu verkraften. Diese Lösung haben die Finanzämter zwar offensichtlich nicht beanstandet.
Rechtsprofessor Klein zweifelt aber an der Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise: "Der symbolische Euro ist eine klare Umgehung der geltenden Rechtslage. Schließlich ist der Wert der Lebensmittel in Wahrheit viel höher." Und nur auf diesen wirklichen Wert komme es, wie sonst im Steuerrecht, auch auch in solchen Fällen nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise an.
Die Finanzministerien des Bundes und der Länder sahen das vielleicht ähnlich. Und so ließen sie sich eine (fast) wasserdichte Lösung einfallen, um ganz inoffiziell und im Sinne des weihnachtlichen Geistes Spenden für Arme zu fördern. Sie verständigten sich intern auf eine neue Auslegung und verkündeten diesen Beschluss: "Es wird aus Billigkeitsgründen nicht beanstandet, wenn bei der unentgeltlichen Abgabe von Lebensmitteln (…) aus mildtätigen Zwecken (…) von einer Umsatzbesteuerung abgesehen wird." Das gilt jedenfalls dann, wenn der Spender keine Spendenbescheinigung bekommt. Eine ähnliche Vorgabe findet sich auch auf Seite 12 des Leitfadens für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Dass der Spender keine Bescheinigung für seine Wohltat erhalten darf, ist logisch, findet Steuerrechtler Klein. Denn eine solche könnte er sonst bei der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer geltend machen und am Ende doppelt sparen.
Die Finanzministerien: Tu Gutes und rede nicht darüber
Die neue Auslegung, die dem Gesetz eigentlich nicht so ganz entspreche, erklärt Klein so: "Die Ministerien bemessen den Wert der Brötchen nicht mehr mit den Herstellungskosten, sondern beziffern diese mit Null. Schließlich würden die Backwaren ansonsten weggeworfen."
Und sieben Prozent von Null ist immer noch Null. Der Steuerexperte kann diesen Trick gut nachvollziehen, hält ihn aber auch nicht für ganz dogmatisch sauber. Schließlich erspare sich der Bäcker ja die Kosten für die Entsorgung der Brötchen. Und die können durchaus beachtlich sein, schließlich lassen die Kommunen sich die Abholung von Müll gut bezahlen.
Das Finanzministerium Sachsen hat zu der neuen Gesetzesauslegung am 18. September 2012 auch eine Verfügung verschickt (LSF Sachsen S 7109-10/2-213). Darin steht: "Es ist nicht beabsichtigt, hierzu ein BMF-Schreiben zu veröffentlichen. Das BMF wird jedoch den Bundesverband Deutsche Tafeln sowie andere betroffene Verbände informieren. Ich bitte um Erledigung der bisher zurückgestellten Fälle im vorgenannten Sinne. Ein Bericht ist nicht mehr notwendig." Vergleichbare Dienstanweisungen gingen an alle deutschen Finanzämter. Ganz ohne Öffentlichkeit. Gutes zu tun und nicht darüber zu reden, erspart hier womöglich Ärger mit der EU-Kommission. Dem Geist der Weihnacht entspricht es in jedem Fall.
Anne-Christine Herr, Der Geist der Weihnacht - bei Essensspenden: Wie deutsche Finanzämter auf Steuern verzichten . In: Legal Tribune Online, 23.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14207/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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