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52954

Abschiebung aus Asylbewerberunterkunft: Muss man suchen, um zu durch­su­chen?

von Tanja Podolski

19.10.2023

Geflüchtete mit Einkaufstüten in der LEA Ellwangen

Geflüchtete gehen über das Gelände der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen. Hier lebte auch der Beschwerdeführer Alassa Mfouapon. Foto: Stefan Puchner / picture alliance / dpa 

Zum Zweck der Abschiebung holt die Polizei Ausreisepflichtige nachts aus ihren Betten. Das ist ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Braucht es dafür einen Durchsuchungsbeschluss? Das soll nun das BVerfG klären.

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Die Polizei kam um 4 Uhr nachts, um Alassa Mfouapon zu holen. Einen Durchsuchungsbeschluss hatten die Beamten nicht. Den brauchten sie auch nicht, entschied bereits im Juni das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 15.06.2023, Az. 1 C 10.22). Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und ProAsyl sehen das anders. Sie erheben daher am heutigen Donnerstag gemeinsam mit Mfouapon Verfassungsbeschwerde.

Mfouapon ist ein so genannter Dublin-Fall. Der Mann aus Kamerun war über Italien nach Deutschland eingereist, um hier einen Asylantrag zu stellen. Zuständig für seinen Asylantrag ist aber – wegen seiner ersten Einreise dort – Italien. Dorthin sollte der Mann daher überstellt werden. Eine solche Überstellung als besondere Form der Abschiebung wird den Betroffenen nicht angekündigt. Sie haben keine Möglichkeit, diese Reise eigenständig anzutreten und freiwillig zu gehen. Das ist im Verfahren nicht vorgesehen. "Die ausreisepflichtige Person hat es im Rahmen des Dublin-Verfahrens also nicht selbst in der Hand, die Anwendung von Zwangsmitteln abzuwenden, indem sie ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht freiwillig nachkommt", so die GFF in der Beschwerdebegründung. Wann ein Mensch vom aufnehmenden Land in Empfang genommen wird, bestimmt dieses selbst. Im Fall von Mfouapon erklärte Italien, die Überstellung dürfe montags bis freitags mit einer Ankunftszeit zwischen 8 Uhr und 14 Uhr auf dem Luftweg erfolgen.

Um ihn pünktlich zum Flieger zu bringen, kamen die Beamten daher nachts, gingen in das Zimmer in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen und konnten mit einem Blick sehen: Hier ist er nicht. Sie trafen den Kameruner bei den Sanitäranlagen an, ließen ihn noch seine persönlichen Sachen packen, dann brachten sie ihn zum Flughafen. Der Mann reiste daraufhin aus.

Ob das alles so rechtens war, ließ Mfouapon in der Folge überprüfen.

BVerwG: Betreten allein ist kein Durchsuchen 

Um überhaupt einen Grundrechtsverstoß anzunehmen, muss das Zimmer in einer Asylbewerberunterkunft zunächst überhaupt eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Grundgesetz (GG) sein. Das ist inzwischen wohl die ganz herrschende Meinung – und dies bestätigte im Juni auch das BVerwG in Mfoupons Fall. Damit unterstehen auch Menschen dort dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung.  

Dieses Grundrecht kann aber für alle Menschen eingeschränkt werden, z.B. um das Auffinden von Beweismitteln im Ermittlungsverfahren oder Festnahmen zu ermöglichen. Für derartige Durchsuchungen braucht die Polizei einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Gilt das auch das Betreten eines LEA-Zimmers zum Zweck der Überstellung? 

Nein, entschied das BVerwG im Juni zulasten von Mfouapon. Wenn die Wohnung zum Zweck einer Abschiebung betreten wird, liege keine Durchsuchung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 GG. Eine Durchsuchung, definierte das Gericht im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 09.06.2020, Az. 2 BvE 2/19), sei das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas Verborgenes aufzuspüren. Etwas, das der Inhaber der Wohnung nicht von sich aus offenlegen oder herausgeben will. Das Betreten eines Zimmers allein reiche für ein Durchsuchen also noch nicht aus; vielmehr müssen die Beamten auch nach jemandem oder etwas suchen.  

Eine solche Suchhandlung hatte dem BVerwG in Mfouapons Fall gefehlt, schließlich hätten die Beamten nach Betreten des Zimmers sofort gesehen, dass er nicht da war.  

GFF: Kleine Zimmer genießen den gleichen Grundrechtsschutz

Die GFF hält diese Sichtweise für falsch. Maßgeblich dürfe nicht die Übersichtlichkeit des Raumes sein, sondern der mit dem Betreten verfolgte Zweck: Gehe es beim Betreten darum, eine Person zu ergreifen oder Gegenstände aufzufinden und diese der Wohnung zu entreißen, liege eine Durchsuchung vor. "Andernfalls ergeben sich für die Beamt:innen insbesondere vor Ort erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten: Ist der Raum neben oder hinter der Tür noch von 'einem Blick' umfasst? Wie verhält es sich mit dem Blick unter das Bett oder hinter den Schrank? Nicht nur droht der präventive Schutz der richterlichen Vorabkontrolle unterlaufen zu werden, die Konsequenz daraus wäre auch, dass kleine Wohnungen – etwa Zimmer in Studierendenwohnheimen oder Ein-Zimmer-Appartements – einen geringeren Grundrechtsschutz genießen als große Wohnungen", so GFF-Anwältin Sarah Lincoln. 

Für die GFF ist die Verfassungsbeschwerde schon allein deshalb begründet: Eine vom GG geschützte Wohnung wurde ohne richterlichen Beschluss durchsucht – das ist verfassungswidrig.  

Die "Gefahr für das funktionierende Asylsystem"

Da das BVerwG keine Durchsuchung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 GG annahm, blickte es noch auf Abs. 7. Auf dieser Grundlage hielt das Gericht das Betreten des Zimmers für verfassungsgemäß. Daher geht die GFF in ihrer Verfassungsbeschwerde hilfsweise auch auf diese Feststellungen ein.

Nach Art. 13 Abs. 7 GG dürfen Eingriffe und Beschränkungen […] auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung […] vorgenommen werden. Nach dem Urteil des BVerwG liegt eine dringende Gefahr im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG vor, "wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiven zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen wird". 

Aus Sicht des BVerwG hätte eine gescheiterte Überstellung zu "einer schwerwiegenden Beeinträchtigung mehrerer Rechtsgüter geführt": Die Abschiebung hätte womöglich nicht erfolgen können, der Asylantrag von Mfouapon hätte in Italien nicht zügig bearbeitet werden können und das Ziel, Sekundärmigration zu verhindern, wäre konterkariert worden. 

All das seien Ziele der gemeinsamen europäischen Asylpolitik. Gegenüber dem daraus folgenden öffentlichen Interesse an der Überstellung musste das persönliche Schutzinteresse von Mfouapon nach dem BVerwG zurücktreten.  

Ist der nächtliche Zugriff erforderlich?

Für die GFF passt diese Argumentation nicht: "Es gab hier keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich der Abschiebung entzieht. Im Dublin-Rückführungsverfahren ist die Abschiebung der angeordnete Ausreiseweg und eine freiwillige Ausreise gar nicht vorgesehen. Dennoch eine dringende Gefahr anzunehmen, halten wir für abwegig. Vor allem aber war es für die Abschiebung überhaupt nicht erforderlich, nachts in sein Schlafzimmer einzudringen. Die Polizei hätte zumindest klopfen und den Beschwerdeführer auffordern müssen, herauszukommen". 

Für die GFF kann das unangekündigte nächtliche Betreten des Zimmers der LEA deshalb nicht gerechtfertigt sein. Mit der Verfassungsbeschwerde möchte sie erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht diese Schutzstandards klarstellt und Rechtssicherheit schafft. 

Rechtssicherheit hat der Beschwerdeführer Mfouapon auch persönlich nicht. Er meint: “Es darf keine Ausnahme für uns Flüchtlinge geben. Die Unverletzlichkeit der Wohnung muss für alle gelten, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Status”. Der Kameruner lebt inzwischen mit einer Aufenthaltsgestattung in Gelsenkirchen, das ist der Status während des laufenden Asylverfahrens. Er hat eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton beendet und arbeitet in dem Bereich.   

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Abschiebung aus Asylbewerberunterkunft: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52954 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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