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Elektronische Fußfessel für Extremisten: Jus­tiz­mi­nis­te­rium legt Gesetz­ent­wurf vor

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller

06.01.2017

Polizeiauto am Straßenrand

© Heiko Küverling - Fotolia.com

Kurz nach dem Terroranschlag in Berlin will das BMJV "verurteilte Extremisten" leichter per elektronische Fußfessel überwachen können. Schon bald könnte das auch präventiv bei sog. Gefährdern eingesetzt werden, meint Henning Ernst Müller. 

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Staatsschutzdelikte als Anlass für Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht

Schon im Sommer 2016 haben sich die Unions-Innenminister auf einen Forderungskatalog geeinigt, in dem die elektronische Fußfessel für "Gefährder und verurteilte Extremisten" enthalten war.

Nun – kurz nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt – hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) "verurteilter Extremisten" erleichtern soll.

In dem am Mittwoch publizierten Referentenentwurf ist vorgesehen, § 66 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB), in dem die Anlassdelikte für eine Sicherungsverwahrung bestimmt werden, um drei  Vergehenstatbestände zu erweitern. Künftig sollen also die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 1 bis 3 StGB, die Terrorismusfinanzierung nach § 89c Abs. 1 bis 3 StGB und das  Unterstützen einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 5 S. 1 1. Alt. StGB zur Anordnung der Sicherungsverwahrung berechtigen.  

Staatsschutzdelikte als Anlass  für Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht

Der Katalog für die Sicherungsverwahrung erhält seine Bedeutung dadurch, dass er nach § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 2 StGB gleichermaßen für die EAÜ im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 Nr. 12 gilt. Ein Verstoß gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht ist wiederum selbständig strafbar nach § 145a StGB.

Die erweiterte Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung wird – um dem Rückwirkungsverbot zu genügen – erst für künftige Straftaten gelten. Die EAÜ in der Führungsaufsicht soll aber nach dem Gesetzentwurf auch für bereits begangene Taten bzw. vollstreckte Strafen angeordnet werden können.

Trotzdem wird diese Erweiterung nur sehr geringe praktische Auswirkungen haben: Wegen der genannten Vergehenstatbestände sind bislang überhaupt nur sehr wenige Straftäter verurteilt worden. Zudem setzt die Maßregelanordnung eine Mindestverurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe voraus (§ 68b Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB), was bei den genannten bloßen Vergehen, die jeweils eine Mindeststrafe von sechs Monaten aufweisen, die Zahl der zusätzlich in Betracht kommenden Verurteilten noch einmal erheblich reduzieren dürfte.

Bald wohl auch präventiv möglich - aber wie sinnvoll?

2/2: Elektronische Fußfesseln bei Führungsaufsicht: kaum genutztes Instrument

Die EAÜ bei Führungsaufsicht ist seit 2011 bundesgesetzlich geregelt. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen bei Straftätern angeordnet werden, die wegen Begehung von Verbrechen oder einiger benannter Vergehen verurteilt wurden.

Praktiziert wird sie aber relativ selten. Eine erst im vergangenen Jahr vorgelegte, vom BMJV in Auftrag gegebene, kriminologische  Untersuchung von Bräuchle und Kinzig zählt bundesweit seit 2011 nur 76 Fälle.

Die meisten davon (54) wurden in Bayern angeordnet. In den anderen Bundesländern gibt es nur wenige oder überhaupt keine führungsaufsichtlich elektronisch Überwachten. Die Anordnung erfolgte ausschließlich bei Gewalt- bzw. Sexualstraftätern. Die Fußfessel ist – lt. Befragung der Betroffenen wie auch der zuständigen Bewährungshelfer und Polizeibeamten – zwar technisch inzwischen ausgereift, kann aber die Wiedereingliederung behindern.  Die nötigen Polizeikontrollen (Alarme meist wegen leerer Akkus) können aufwändig sein. Insbesondere die Bewährungshelfer sind insgesamt eher skeptisch. Eine Ausweitung wurde von den Kriminologen  nicht empfohlen.

Bald auch präventive Fußfessel für "Gefährder"?  

Allerdings kann damit gerechnet werden, dass, wie in der Übereinkunft der Unions-Innenminister ja bereits formuliert, eine EAÜ bei terroristischen "Gefährdern" auch im Ausländer- und Polizeirecht eingeführt werden soll. Während einer präventiven Inhaftierung, wie sie Michael Kubiciel auf LTO zur Diskussion stellt, rechtsstaatliche Bedenken entgegenstehen, erscheinen solche  hinsichtlich einer EAÜ weniger erheblich.

Seit Anfang 2016 ist nach § 56 AufenthaltsG bei ausreisepflichtigen Ausländern ohnehin schon die Anordnung empfindlicher Meldeauflagen möglich, die auch strafrechtlich bewehrt sind (§ 95 AufenthaltsG). Dass man Meldeauflagen beim späteren Attentäter Amri versäumt hat, wird aktuell zu Recht kritisiert, da ihm die Mobilität seine Tatvorbereitung möglicherweise erleichtert hat.

Allerdings darf man sich von einer elektronischen Überwachung keine präventiven Wunderdinge erwarten: Nach der Untersuchung von Bräuchle/Kinzig kam es bei einigen der elektronisch Überwachten dennoch zu Rückfallstraftaten, immerhin 20 Prozent wurden im Untersuchungszeitraum erneut zu Freiheitsstrafen verurteilt. Einen zur Tatbegehung entschlossenen Extremisten wird auch eine EAÜ nicht von einem Anschlag abhalten. Einer der beiden islamistisch motivierten Mörder eines Priesters im französischen  Rouen im August 2016 trug eine Fußfessel.

Der Autor Prof. Dr. Henning Ernst Müller ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg.

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Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Elektronische Fußfessel für Extremisten: Justizministerium legt Gesetzentwurf vor . In: Legal Tribune Online, 06.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21680/ (abgerufen am: 02.12.2023 )

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