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Neue Ermächtigung für Corona-Maßnahmen im IfSG: Nach Kritik von Juristen bes­sert die GroKo nach

von Hasso Suliak

16.11.2020

Titelseite Infektionsschutzgesetz

(c) nmann77/stock.adobe.com

Nach der Kritik von Verfassungsrechtlern an der neuen Corona-Ermächtigung im IfSG hat die GroKo jetzt nachgebessert. Unter anderem müssen Schutzmaßnahmen in den Verordnungen der Länder künftig befristet und begründet werden.

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Die Kritik, die Staats- und Verfassungsrechtler vergangenen Mittwoch an der geplanten neuen Ermächtigungsgrundlage für die Corona-Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) geäußert hatten, war heftig. Nun zeigt sie offenbar Wirkung:

Wie Rechtspolitiker von SPD und Union gegenüber LTO bestätigten, soll der im "Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" geplante neue § 28a IfSG ("Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2.") im Vergleich zur Vorversion doch noch abgeändert werden. § 28a IfSG präzisiert künftig in 17 Ziffern alle möglichen in Betracht kommenden Grundrechtseinschränkungen. Die Maßnahmen sollen auf diese Weise nicht mehr wie bisher auf Grundlage einer unbestimmten Generalklausel getroffen und damit gerichtsfester werden.

Untersagt werden darf laut der neuen Vorschrift eine ganze Menge: Sport- und Kulturveranstaltungen, Übernachtungen, Alkoholkonsum, Gastronomiebetrieb oder Gottesdienste. Ausgangsbeschränkungen dürfen für den öffentlichen wie den privaten Raum angeordnet werden, darüber hinaus Abstandsgebote und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.

Juristen hatten in ihren Stellungnahmen zum ursprünglichen Gesetzentwurf der GroKo diverse verfassungsrechtliche Bedenken aufgeworfen und zudem auf eine Reihe handwerklicher Fehler hingewiesen. Wie der rechtspolitische Sprecher der Union, Dr. Jan-Marco Luczak LTO mitteilte, habe man sich jetzt auf eine neue Version verständigt, der den Spielraum für die Länderexekutive bei der Umsetzung der Corona-Maßnahmen deutlich einschränkt. So müssen die Länder fortan die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen befristen und begründen.

Maßnahmen dürfen nicht zur "sozialen Isolation" führen

In Abs. 5 der Vorschrift heißt es künftig: "Rechtsverordnungen, die nach § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 und § 28a Absatz 1 erlassen werden, sind mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen." Auf eine feste Dauer einigte sich die GroKo nicht. Luczak zufolge sollten aber die Maßnahmen "grundsätzlich" vier Wochen nicht überschreiten. Wenn es in Ausnahmefällen doch länger erforderlich ist, hätten die Länder eine Rechtfertigungslast und müssten entsprechend begründen, wieso eine längere Geltung zur Eindämmung des Infektionsgeschehens notwendig ist, so Luczcak.

Nach der Juristenschelte in der Anhörung zeigte sich der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Johannes Fechner, nun mit dem Ergebnis gegenüber LTO zufrieden. Es sei eine "grundrechtsschonende Ausgestaltung" des § 28a gelungen. Dazu zähle auch, dass im Gesetz nunmehr ausdrücklich erwähnt werde, dass die Länder bei den jeweiligen Maßnahmen gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen berücksichtigen müssten. Zudem sei sichergestellt, dass eine "soziale Isolation" bestimmter Gruppen ausgeschlossen sei. Hierzu heißt es nun ausdrücklich im Gesetz: "Schutzmaßnahmen dürfen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen; ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben."

Dass die Befugnisse der Landesregierungen nunmehr auf diese Weise eingeschränkt werden, gehe auf zentrale Forderungen der SPD zurück, sagte Fechner. Allerdings: "Weitergehende Vorschläge der Sachverständigen wie etwa einen Parlamentsvorbehalt konnten wir nicht gegen die Union durchsetzen."

Union: "Der Parlamentsbeteiligung genüge getan"

Demgegenüber stellte Unions-Rechtspolitiker Luczak gegenüber LTO klar, dass mit den nun erfolgten Korrekturen im § 28a IfSG auch der parlamentarischen Beteiligung des Bundestages hinreichend genüge getan sei: "Letztlich geht es um Verordnungen der Länder. Durch die Vorgabe eines konkreten, Tatbestand und Rechtsfolge umschreibenden Regelungsprogramms für die Länder haben wir die Eingriffe nicht nur grundrechtsschonend ausgestaltet, sondern tragen auch dem verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsprinzip Rechnung."

Gestrichen wurde im Übrigen der bisher enthaltene Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zunächst hatte es explizit geheißen, dass die Maßnahmen nur angeordnet werden dürften, wenn sie auch verhältnismäßig sind. "Dies ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit und daher überflüssig", so Luczak. In der nun beschlossenen Version werde dem Übermaßverbot durch die konkrete Ausgestaltung der Vorschrift hinreichend Rechnung getragen. Der Unionspolitiker wies darauf hin, dass man sensible Bereich wie die Zulässigkeit von Demonstrationen, Gottesdienste oder auch den Besuch von Senioren- und Pflegeheimen sowie Krankhäusern nun ganz besonders grundrechtsschonend geregelt und daher auch viele Ängste der Menschen hoffentlich zerstreut habe.

Linke: "Schärfste Maßnahmen seit Bestehen des Grundgesetzes werden durchgepeitscht"

Bereits am Mittwoch soll das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz im Bundestag beschlossen werden. Auf ungeteilte Zustimmung der Opposition wird es wohl nicht stoßen:

"Wir erleben die schärfsten, grundrechtsintensivsten Maßnahmen seit Bestehen des Grundgesetzes und die Koalitionsfraktionen betreiben trotzdem weiter politisch Schindluder", erklärte der verfassungspolitische Sprecher der Linken, Niema Movassat gegenüber LTO in einer ersten Reaktion. Der Parlamentarier regte sich auch über das Tempo auf, in dem die Koalition die Gesetzesänderung beschließen wird: "Statt die Rolle des Parlamentes und der Opposition ernst zu nehmen, legen sie montagmorgens dem Ausschuss dutzende Änderungen an ihrem eigenen Gesetz als Tischvorlage vor. Das ist ein Stil, der die Legitimität von parlamentarischen Verfahren gefährdet und geeignet ist, noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu verspielen."

Acht Monate seit Pandemieausbruch habe die Koalition Zeit gehabt, um die gesetzlichen Grundlagen für die Maßnahmen auf ein gesetzliches Fundament zu legen, so Movassat. "Am Ende will sie das parlamentarische Verfahren dafür innerhalb von einer Woche durchpeitschen."

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Neue Ermächtigung für Corona-Maßnahmen im IfSG: Nach Kritik von Juristen bessert die GroKo nach . In: Legal Tribune Online, 16.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43440/ (abgerufen am: 08.12.2023 )

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