Die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe schreitet auf Betreiben des BVerfG immer weiter voran – bald könnte beide nur noch der Name von einander trennen. Eine Kompetenzüberschreitung, meint Christian Hillgruber.
Am 26. Juni 2015 entschied der Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika im Fall Obergefell versus Hodges, dass gleichgeschlechtliche Partner nach der amerikanischen Bundesverfassung ein Grundrecht auf Heirat haben, das ihnen aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes des 14. Verfassungszusatzes nicht durch einzelstaatliches Recht, und sei es selbst Verfassungsrecht, vorenthalten werden dürfe. Der Supreme Court erklärte deshalb einzelstaatliches Recht, das gleichgeschlechtliche Paare von der bürgerlichen Ehe ausschloss, für ungültig.
Es ist nachvollziehbar, dass diese Entscheidung von Homosexuellen, die eine Ehe schließen wollen, weltweit als bahnbrechend gefeiert worden ist; ihre Forderung nach voller Gleichbehandlung mit Heterosexuellen schließt die Namensgleichheit ihrer Partnerschaft ein; sie wollen nicht länger ein besonderes Institut der "Homosexuellen-Ehe" (civil union), in Deutschland "eingetragene Lebenspartnerschaft" genannt, akzeptieren; sie wollen die Ehe (civil marriage) und keine andere Verbindung eingehen, die Ehe, die bis dato in vielen Ländern und Bundesstaaten der USA Heterosexuellen vorbehalten ist bzw. (in den USA) war.
Gleichgeschlechtliche Ehe sicher nicht "deeply rooted in this nation's history and tradition"
Aber können sie darauf einen validen verfassungsrechtlichen Anspruch erheben? Die amerikanische Bundesverfassung kennt kein explizites Recht auf Eheschließung, und dass der 1868 angenommene 14. Verfassungszusatz es zu den unentziehbaren Freiheitsrechten gerechnet haben soll, gleichgeschlechtliche "Ehen" zu schließen, wird man kaum annehmen können. Früher hatte der Gerichtshof denn auch mit Recht die Ansicht vertreten, dass der Begriff der Freiheit unter der Due Process Clause nur als den Schutz solcher Rechte erfassend verstanden werden sollte, die "deeply rooted in this Nation’s history and tradition” seien, was für das behauptete Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe definitiv nicht gelten kann.
Was der Supreme Court daher mit seiner mit der knappen Mehrheit von 5 gegen 4 Stimmen getroffenen Entscheidung vom 26. Juni tatsächlich getan hat, ist nichts anderes gewesen, als die föderale Kompetenzverteilung in den USA, nach der Ehe- und Familienrecht Sache der Einzelstaaten ist, mit Hilfe des bundesverfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes zu überspielen.
Der Supreme Court betreibt Gesetzgebung, nicht Rechtsprechung
Das ist nicht mehr Rechtsprechung, sondern (verfassungsändernde) Gesetzgebung. Genau diesen Vorwurf hat denn auch Chief Justice Roberts in seinem abweichenden Votum erhoben: "But this Court is not a legislature. Whether same-sex marriage is a good idea should be of no concern to us. Under the Constitution, judges have power to say what the law is, not what it should be."
Die Erstreckung des Instituts der bürgerlichen Ehe auf gleichgeschlechtliche Partner sei eine politische, keine rechtliche Frage: "Although the policy arguments for extending marriage to same-sex couples may be compelling, the legal arguments for requiring such an extension are not. The fundamental right to marry does not include a right to make a State change its definition of marriage. And a State’s decision to maintain the meaning of marriage that has persisted in every culture throughout human history can hardly be called irrational."
Die Verfassungslage in Deutschland ist zwar im Ausgangspunkt, aber nicht im Ergebnis anders.
BVerfG: Ehe bleibt Mann und Frau vorbehalten…
Nach dem Grundgesetz fällt das Eherecht in die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das gesamte bürgerliche Recht. Das Grundgesetz aber stellt – anders als die amerikanische Bundesverfassung – die Ehe als bürgerlich-rechtliches Institut unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 6 Abs. 1 GG). Zu den durch einfaches Gesetz nicht veränderbaren Strukturelementen des grundgesetzlichen Ehebegriffs gehört dabei die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner. Das hat das BVerfG immer wieder bekräftigt, zuletzt 2013: "Die Ehe ist ein allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut". Daher scheidet eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner nach geltendem Verfassungsrecht aus.
Dies schließt, wie das BVerfG schon 2002 entschieden hat, nicht aus, dass für gleichgeschlechtliche Partner ein eigenes Rechtsinstitut geschaffen wird, wie dies mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft geschehen ist. Diese findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage aber nicht in Art. 6 Abs. 1 GG, sondern in dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
… und wird effektiv doch für alle ermöglicht
Eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur einfachrechtlichen Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe kann es bei dieser Verfassungslage nicht geben. Anders das BVerfG: Obwohl es zunächst betonte, die eingetragene Lebenspartnerschaft sei ein aliud zur Ehe, hat es sodann in einer Reihe aufeinander folgender Entscheidungen beide Lebensgemeinschaften dessen ungeachtet als im Wesentlichen rechtlich gleich qualifiziert und noch fortbestehende Unterschiede mit Blick auf diese vermeintlich wesentliche Gleichheit für mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar erklärt.
Damit werden die Dinge verfassungsrechtlich auf den Kopf gestellt: Ist die eingetragene Lebenspartnerschaft etwas anderes als die Ehe, dann ist nicht ihre rechtliche Ungleichbehandlung, sondern vielmehr die Gleichbehandlung rechtfertigungsbedürftig.
2/2: Kurswechsel im Adoptionsrecht absehbar
Doch bleibt die gegenläufige Rechtsprechung des BVerfG für die Staatsorgane, Behörden und Gerichte bindend, und so steht zu erwarten, dass auch die letzten Unterschiede, etwa im Adoptionsrecht, alsbald fallen werden, obwohl gerade hier nach wie vor Anlass und Berechtigung zur Differenzierung bestünde, lässt sich doch nicht bestreiten, dass nur die Ehe, aber nicht die eingetragene Lebenspartnerschaft eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft darstellt, die Ausgangspunkt und Ursprung einer eigenen Generationenfolge sein kann. Aber auch hier dient dem BVerfG der Gleichheitssatz als Vehikel zu Gleichstellung dessen, was weder tatsächlich gleich ist noch rechtlich zwingend gleich zu behandeln ist.
Damit soll nicht bestritten werden, dass Kinder auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften behütet aufwachsen können. Der Gesetzgeber kann daher, ohne das Kindeswohl zu verletzen, Adoptionen durch einen oder beide Lebenspartner ermöglichen; er muss es aber eben nicht, denn es gibt kein Grundrecht auf Adoption. Er kann vielmehr die Adoptionsberechtigung auf Ehepartner beschränken, um zu gewährleisten, dass Kinder nach Möglichkeit in einer (tatsächlichen wie rechtlichen) Gemeinschaft mit Vater und Mutter groß werden, weil es so für sie nach seiner maßgeblichen Einschätzung am besten ist.
Als Unterschied bleibt nur der Name
Das BVerfG wird sich von solchen Einwänden nicht beeindrucken lassen, sondern seinen eingeschlagenen Weg bis zur vollständigen Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft fortsetzen.
Und dann? Dann bleibt als Unterschied nur noch der Name: Ehe. Nur noch die Bezeichnung steht dann für die Andersartigkeit, die allein in dem Umstand liegt, dass sich in der Ehe nur Mann und Frau, nicht zwei gleichgeschlechtliche Partner binden können. Aber darf man, ohne zu diskriminieren, zwei hinsichtlich des rechtlichen Regelungsgehaltes identische Institute überhaupt noch unterschiedlich bezeichnen?
Wenn das BVerfG diese Frage – mit einer gewissen innerer Folgerichtigkeit – verneinen würde, brächte es damit allerdings den Ausgangspunkt seiner ganzen Rechtsprechung, nämlich die Eigenart der Ehe als einer Lebenspartnerschaft allein von Mann und Frau zu Fall. Was einzurichten zulässig war, weil es keine Ehe ist (die eingetragene Lebenspartnerschaft), soll, ja muss nun selbst Ehe sein, weil alle Unterschiede (aus vorgeblichen Gründen der gebotenen Gleichbehandlung) entfallen sind, bis auf den einen (Verschieden- bzw. Gleichgeschlechtlichkeit), der aber keinen Unterschied, nicht einmal des Namens, machen darf.
Das BVerfG gestaltet die Verfassung um
Damit wird überdeutlich, was hier in Wirklichkeit stattgefunden hat und noch stattfindet: nicht Rechtsprechung nämlich, sondern Rechtsetzung in Umgestaltung der geltenden Verfassung. Ein neues, anderes Verständnis des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs ist nichts anderes als eine Verfassungsänderung, die den gesetzgebenden Körperschaften vorbehalten ist und einer qualifizierten Mehrheit bedarf, wie sich aus Art. 79 Abs. 1 u. 2 GG ergibt.
Auf diesen einzig legalen wie legitimen Weg der Verfassungsänderung ist das Anliegen der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu verweisen. Wenn stattdessen die politische Frage nach der Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen von einem Verfassungsgericht positiv beantwortet wird, obwohl der Verfassung diese Antwort nicht zu entnehmen ist, so verletzt dies, wie Richter Scalia in Rechtsverwahrung gegen die Entscheidung des Supreme Court zu Recht geltend gemacht hat, nicht weniger als das demokratische Prinzip: "a principle even more fundamental than no taxation without representation, no social transformation without representation".
Der Autor Prof. Dr. Christian Hillgruber ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn.
Prof. Dr. Christian Hillgruber, Gleichgeschlechtliche Partnerschaften vor den Gerichten: Wird das BVerfG dem Supreme Court folgen? . In: Legal Tribune Online, 18.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16272/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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