Die britische Regierung hat in einem White Paper ihre Vorstellung vom geplanten Brexit schriftlich erläutert. Ulrich Soltész erklärt, warum dieses Dokument für Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals keine guten Nachrichten enthält.
Über ein halbes Jahr haben die Unternehmen und Bürger in Großbritannien und der EU gespannt auf eine klare Ansage der britischen Regierung zur Ausgestaltung des Brexit gewartet. Und die Stakeholder betroffener Unternehmen wollten vor allem wissen, wie sich Theresa May und ihre drei Brexiteere das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien vorstellen. Mit dem jetzt präsentierten Papier ist man in punkto Planungssicherheit einen kleinen Schritt vorangekommen: So deutet alles auf einen "harten" Brexit hin, also einen ganz klare Trennung von UK und EU in (fast) allen Bereichen.
Das Papier geizt nicht mit Superlativen. Es strotzt vor - teilweise schon etwas überstrapazierten - Schlagworten, wie etwa "make it a success", "a stronger, fairer, more Global Britain", "a more open, outward-looking UK" und natürlich "our best days are still to come". Hinzu treten unbescheidene Selbstbeschreibungen und Visionen wie "great, global nation", "one of the world’s largest and strongest economies" und "the most effective hard and soft power". Dies alles natürlich verbunden mit dem Hinweis, dass wir den Brexit letztlich für unsere Kinder und Enkel machen.
Solche bewusst nationalistische Töne sind natürlich Geschmackssache. Bedauerlich ist jedoch, dass in diesem lauten Konzert fast untergeht, dass es hierin um wichtige rechtliche Fra-gen geht und die betroffenen Player - auch die britischen - auf Antworten und Lösungen war-ten. Insoweit hilft das Papier den Unternehmen und Bürgern nur bedingt weiter.
Die Aufhebung des Unionsrechts – oder auch nicht
Zunächst will man nach dem Brexit mit dem "Great Repeal Bill" klarstellen, dass das gesamte Unionsrecht nicht mehr in Großbritannien gilt. Das hätte natürlich erst einmal ein "Rechtsvakuum" zur Folge, denn viele Rechtsbereiche sind sehr stark durch EU-Vorschriften geprägt.
Um einen rechtlosen Zustand zu vermeiden, soll daher das gesamte EU-Recht zum Status Quo eingefroren und zunächst (wieder) für anwendbar erklärt werden. In der Zeit nach dem Brexit will man dann schrittweise entscheiden, was man davon behält und was nicht. Dies ist eine recht pragmatische Lösung, die wahrscheinlich für einen längeren Zeitraum dazu führen wird, dass vieles beim Alten bleibt.
Was vom Gemeinsamen Markt übrig bleiben soll
In der Folge zieht sich das Leitmotiv des harten Brexit durch das gesamte Dokument. Zum Thema Binnenmarkt hat man wohl die Vorstellung beziehungsweise die Illusion aufgegeben, dass Unternehmen auch künftig voll von den Freizügigkeitsregeln profitieren könnten. Es findet sich nur noch ein allgemeiner Hinweis auf die Absicht, ein Freihandelsabkommen für einen "möglichst freien und reibungslosen Handel mit Waren und Dienstleistungen" zu schließen.
Dies ist wenig ambitioniert – aber vielleicht auch realistischer als das bisher von den Befürwortern des Brexits gewünschte Rosinenpicken. Betroffenen Unternehmen muss klar sein, dass die Möglichkeiten eines solchen Abkommens weit hinter der bereits bestehenden wirtschaftlichen Integration zurückbleiben werden.
Von den Europäischen Grundfreiheiten des Binnenmarkts, also dem freien Warenverkehr, der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, der Personenfreizügigkeit und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, sind diese Zielvorstellungen weit entfernt. Anders als von manchen Leave-Anhängern angekündigt, will man auch keine gemeinsame Zollunion mehr. Hintergrund ist, dass man nur dann auch eigene Handelsabkommen mit Drittländern abschließen kann. Würde Großbritannien in der Zollunion bleiben, so wäre der Abschluss solcher Ab-kommen (USA, Australien, China, etc.) rechtlich nicht möglich. Das wird den Handel zwischen EU und Großbritannien alles andere als leichter machen.
2/2: Was das Papier nicht erwähnt
Besonders aufschlussreich ist, welche Themen das Papier nicht erwähnt. Vor allem das Cassis-de-Dijon-Prinzip der gegenseitigen Anerkennung findet sich in dem Papier nicht wieder. Danach können Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, auch ohne erneute Prüfung in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden. Das ist letztlich nicht überraschend, denn dieser Grundsatz beruht auf einer weitgehenden Rechtsharmonisierung, die man in London gerade nicht mehr halten will.
Aus dem gleichen Grund stehen auch die Aussichten für den Erhalt des sogenannten Passporting für Finanzinstitute nicht gut. Hiernach können Finanzdienstleister, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, ihre Produkte frei in allen anderen Mitgliedstaaten vertreiben. Auch dies beruht auf der Überlegung, dass alle Institute in der EU den gleichen Vorschriften, insbesondere den Regeln über die Bankenunion, unterliegen. Da die britische Seite Letzteres nicht mehr akzeptieren will, ist es nur konsequent, dass man die Erwartungen der Banken und Versicherer nun dämpft: angestrebt ist kein voller Marktzugang mehr, sondern nur eine gegenseitige Kooperation – was auch immer das heißen mag.
Weitere sensible Punkte, wie zum Beispiel die gesamte Wettbewerbspolitik (Kartellrecht, Fusionskontrolle und Beihilferecht) werden einfach ausgeklammert. Dies wird den Unternehmen kaum gefallen, denn ohne den gewährten Brüsseler "one stop shop" müssen sich Unternehmen mit parallelen Zuständigkeiten in Großbritannien und der EU herumschlagen, was zu zusätzlichen Kosten führt.
Auch der Status von Arbeitnehmern im Verhältnis der EU zu Großbritannien bleibt völlig offen. Lediglich Studenten aus der EU werden gewisse, beschränkte Zugeständnisse bis 2018 gemacht - was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, weil Großbritannien dann noch zur EU gehört. Diese stiefmütterliche Behandlung lässt den Schluss zu, dass dieses Thema keine Priorität genießt – ein schlechtes Signal für alle Unternehmen, die auf ausländische Arbeitnehmer angewiesen sind.
Keine Gerichtsbarkeit des EuGH
Ganz prominent findet sich natürlich die Forderung nach der Beendigung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im White Paper wieder. Die Luxemburger Richter sollen keine Jurisdiktion mehr über Großbritannien ausüben. Zwar räumen die Verfasser ein, dass man irgendeine Art des Streitbeilegungsmechanismus braucht, um Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung des geplanten Freihandelsabkommens zu entscheiden. Solch eine Stelle soll aber nur sehr beschränkte Befugnisse haben; vor allem aber sollen deren Entscheidungen nicht unmittelbar anwendbar sein.
Traumtänzer zurück auf dem Boden der Realität
Damit hat die britische Seite in den letzten Monaten die Erwartungen an ein Abkommen mit der EU deutlich heruntergeschraubt hat. Man erinnere sich: Der britische Außenminister hatte noch vor wenigen Monaten den weiteren vollen Marktzugang zum EU-Binnenmarkt nach dem Brexit als Selbstverständlichkeit bezeichnet. Offenbar hat man verstanden, dass dies unrealistisch ist, insbesondere im Rahmen eines harten Brexits. Es ist nicht möglich, die Freiheiten und Vorteile des EU-Binnenmarktes zu erhalten und gleichzeitig alles abzuschütteln, was nicht in das Konzept passt.
Insoweit betreibt die britische Regierung mittlerweile ein besseres und ehrlicheres "expectation management". Sie lässt erstmals schwarz auf weiß erahnen, wie hart der Brexit wirklich wird. Viele Stimmen sagen deshalb, dass der ursprünglich geplante "bestmögliche Deal für Großbritannien" bei einer solchen radikalen Abkoppelung Wunschdenken oder gar Traumtänzerei ist. Die Unternehmen müssen sich jedenfalls darauf einstellen.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht.
Dr. Ulrich Soltész, White Paper zum Brexit: Das Ende der Traumtänzerei . In: Legal Tribune Online, 03.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21984/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag