Eine Airline muss auch dann für Ansprüche wegen Flugverspätung zahlen, wenn sie Flugzeug und Crew von einem anderen Luftfahrtunternehmen gemietet hat. Für Philipp Fabricius ist diese verbraucherfreundliche Entscheidung des BGH die einzig richtige.
Obwohl Fluggesellschaften in einem hart umkämpften Markt miteinander konkurrieren, ist es üblich, dass sie untereinander ihre Flugzeuge vermieten, manchmal ohne (sog. Dry-Lease-Vereinbarung), manchmal auch mit Bordbesatzung (sog. Wet-Lease).
Was dieser Vorgang für den Fluggast im Falle einer Flugstörung bedeutet, hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Wer ist sein Anspruchsgegner, wenn es zu einer Störung kommt? Bis nach Karlsruhe mussten Passagiere gehen, die sich nach Ansicht der Instanzgerichte an die falsche Fluggesellschaft gewandt hatten, nämlich an diejenige, bei der sie gebucht hatten.
Der BGH gab ihnen nun Recht. Seiner Entscheidung war bereits mit großem Interesse entgegengesehen worden, nachdem es zu einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof in einem gleichgelagerten Vorabentscheidungsverfahren (EuGH Rs. C-116/12 – Langenbächer ./. Condor) nicht gekommen war, weil die Berufung zurückgenommen wurde.
Der X. Zivilsenat des BGH entschied am Mittwoch, dass der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung gegenüber dem Luftfahrtunternehmen geltend zu machen ist, bei dem der Fluggast den Flug gebucht hat, also nicht gegenüber dem Luftfahrtunternehmen, dessen Flugzeug und Besatzung aufgrund einer Wet-Lease-Vereinbarung eingesetzt wurden, geltend zu machen ist (BGH, Urt. v. 12.09.2017, Az. X ZR 102/16, Az. X ZR 106/16).
Vorinstanzen: Für Verspätungen haftet der Vermieter von Flieger und Crew
Die Vorinstanzen hatten das noch anders beurteilt. Das Amtsgericht wie in der Folge auch das Landgericht sahen als ausführendes Luftfahrtunternehmen, nicht die beklagte Airline Royal Air Maroc, bei der die beiden Gäste ihren Flug von Düsseldorf nach Nador gebucht hatten.
Sie teilten vielmehr dessen Rechtsauffassung, dass stattdessen die spanische Airline Swiftair zur Zahlung der geltend gemachten Entschädigung nach der Fluggastrechte-VO verpflichtet sei, die die Fluggäste wegen einer mehr als siebenstündigen Verspätung auf der Strecke von Düsseldorf nach Nador in Marokko geltend machten. Das "ausführende Luftfahrtunternehmen", das nach entsprechender Anwendung von Art. 5 Abs. 1 c Fluggastrechte-VO Ausgleichsleistungen schulde, sei nämlich die spanische Airline Swiftair. Schließlich habe die Royal Air Maroc von dieser im Rahmen einer Wet-Lease-Vereinbarung Flugzeug und Crew gemietet.
Definitorisch handelt es sich nach Art. 2b Fluggastrechte-VO immer dann um ein "ausführendes Luftfahrtunternehmen", wenn dieses im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Gleiches gilt für Fluggesellschaften, die z.B. für eine Airline, zu der der betreffende Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, in diesem Umfang tätig werden.
Ihrer Annahme, dass nicht die mietende, sondern die Flieger und Crew vermietende Fluggesellschaft haftbar zu machen sei, stand nach Ansicht der Instanzgerichte auch nicht entgegen, dass sowohl die Buchungsbestätigung als auch das elektronische Flugticket die mietende Fluggesellschaft als ausführende Airline auswiesen. Ohne eine Aufklärung des Fluggastes über den Wechsel der Fluggesellschaft würde, so das AG und das LG Düsseldorf, das mietende Luftfahrtunternehmen zwar gegen seine Verpflichtung über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens nach Art. 11 Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 vom 14.12.2005 aufzuklären, verstoßen. Deshalb könne der Fluggast aber allenfalls die Kosten ersetzt verlangen, die ihm entstanden seien, weil er sich an die falsche Airline gewandt habe. Ein weitergehender Anspruch gegenüber dem mietenden Luftfahrunternehmen scheide jedoch mangels einer entsprechenden nationalen Regelung zur Ahndung eines solchen Verstoßes aus.
2/2: Richtlinienkonforme Auslegung: Verantwortlich ist, wer als verantwortlich auftritt
Der BGH stellte dagegen nun klar, dass es bei der Beantwortung der Frage nach dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nicht darauf ankommen könne, ob eine Maschine mit Personal von einer anderen Airline gemietet worden sei. Dies folge bereits aus dem Erwägungsgrund 7 der Fluggast-VO selbst. Danach sollen die Verpflichtungen nach der Verordnung im Interesse einer wirksamen Anwendung dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt - und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem (mit oder ohne Besatzung) gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.
Diese Argumentation verdient volle Zustimmung. Ausweislich des Wortlauts des Erwägungsgrund 7 der Fluggast-VO wollte der Verordnungsgeber den Fluggast vor Einwendungen der Airlines aufgrund interner und für den Gast damit nicht ersichtlicher Vereinbarungen schützen. Unabhängig davon, wer den Flug wie tatsächlich durchführt, sollen die mit der Fluggastrechte-VO geschaffenen Verpflichtungen ausschließlich demjenigen Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug für den Fluggast in erkennbarer Weise durchführt.
Der Verordnungsgeber hat damit deutlich zwischen der Durchführung des Fluges nach außen gegenüber dem Flugpassagier und der rein internen Abwicklung des Flugs differenziert und somit die Einwendungsmöglichkeiten der Airlines in klarer Weise beschränkt. Erkennbar sollte verhindert werden, dass sich das Luftfahrtunternehmen gegenüber dem Fluggast darauf berufen darf, dass es den Flug aufgrund der Anmietung eines Flugzeugs mit Bordpersonal von einer weiteren Airline gar nicht durchgeführt habe. Diese Beweggründe belegt auch die entsprechende Benennung der Wet-Lease-Vereinbarungen, die sich in der englischen sowie der französischen Fassung der Fluggastrechte-VO findet.
Rechtssicherheit für Passagiere
Des Weiteren sei, so der BGH, das vermietende Luftfahrtunternehmen möglicherweise rein praktisch auch gar nicht dazu in der Lage, vor Ort die nach der Fluggast-VO vorgesehenen Unterstützungs- und Ausgleichsleistungen gegenüber dem Fluggast zu erbringen und damit den Verpflichtungen eines ausführenden Luftfahrunternehmens nachzukommen. Im Sinne der Anwendbarkeit der Fluggastrechte-VO müsse daher die gebuchte Airline verpflichtet bleiben.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 in Erwägungsgrund 13 Wet-Lease-Vereinbarungen als Beispiel dafür anführt, dass die von dem Flugpassagier gebuchte Airline den Flug nicht selbst durchführe. Die Unterrichtungspflicht über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens nach Art. 11 Abs. 1 diene hauptsächlich der Information über potenzielle Sicherheitsrisiken und damit anderen Belangen als die Fluggastrechte-VO, argumentieren die Karlsruher Richter.
Mit der Entscheidung hat der BGH im Sinne des Verordnungsgebers die bislang kontrovers diskutierte Frage der Entschädigungspflicht bei Wet-Lease-Verträgen zugunsten des Fluggastes entschieden. Dieser kann sich nun allein an diejenige Airline halten, die für ihn auch erkennbar den Flug durchgeführt hat, in aller Regel also die Fluggesellschaft, bei der er seinen Flug gebucht hat. Aus juristischer Sicht darf man aber auch den Urteilsgründen, welche wohl innerhalb der nächsten Wochen veröffentlicht werden, gespannt entgegensehen.
Der Autor Philipp Fabricius ist Rechtsanwalt der Anwaltsboutique haas und partner mit Sitz in Bochum, Düsseldorf und Zürich. Er berät u.a. ein Fluggastentschädigungsportal bei der Durchsetzung von Fluggastrechten.
Philipp Fabricius, BGH zu Fluggastrechten: Airline muss auch für Verspätung mit gemietetem Flugzeug zahlen . In: Legal Tribune Online, 13.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24503/ (abgerufen am: 31.05.2023 )
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