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BGH verhandelt zu Schadensersatz für Lebenserhaltung: Der Preis des Lebens oder Leben um jeden Preis?

von Maximilian Amos

11.03.2019

Sterbenskranker Patient (Symbolbild)

© Photographee.eu - stock.adobe.com

Am Dienstag geht es vor dem BGH um nicht weniger als den Preis des Lebens - eines ungewollten Lebens. Der Sohn eines ehemaligen Patienten verklagt dessen Arzt, weil er seinen Vater zu lange am Leben erhalten habe.

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Am Ende des Lebens stellen sich häufig Fragen, die einem Menschen sonst kaum in den Sinn kommen. Ist das Leben ein Wert an sich oder nur so viel wert wie das, was es einem noch beschert? Und ist irgendwann ein Punkt erreicht, an dem es falsch wird, einen Patienten noch am Leben zu erhalten?

Diese Fragen sind nicht medizinischer Art.  Sie sind ethischer, religiöser und auch rechtlicher Natur. Und ihre Relevanz wächst mit den medizinischen Möglichkeiten, das Leben von Menschen zu verlängern.

Am Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof die Frage, ob das Leben auch ein Schaden sein kann (BGH, VI ZR 13/18). Auf den ersten Blick mag das absurd wirken: das Leben als ersatzfähiger Posten und das sogar in negativer Hinsicht. Doch genau das fordert der Sohn eines 2011 verstorbenen Mannes, der, tödlich erkrankt und schwer dement, von seinem behandelnden Hausarzt am Leben erhalten wurde. Dieser soll nun Schadensersatz zahlen, weil sein Vater weiterleben musste, so das Begehren des Sohnes.

Er wirft dem Arzt vor, er hätte spätestens im Jahr 2010, als der Zustand seines Vaters vollends aussichtslos geworden war, die lebensverlängernden Maßnahmen beenden, seinen Vater also sterben lassen müssen. Mit einer PEG-Sonde hatte der Mediziner stattdessen den austherapierten Mann noch mehr als ein Jahr lang am Leben gehalten. Bei der Sonde handelt es sich um einen Kunststoffschlauch, durch den eine Verbindung zwischen Bauchwand und Magen hergestellt wird, durch die ein Patient künstlich ernährt werden kann.

Weil er so das Leiden seines Vaters unnötig verlängert habe, fordert der klagende Sohn von dem Mediziner posthum ein Schmerzensgeld sowie den Ersatz der Behandlungskosten seit 2010, insgesamt rund 150.000 Euro.

"Wrongful life" als juristischer Schadensposten

Nachdem das Landgericht (LG) München I seine Klage noch abgewiesen hatte, sprach das Oberlandesgericht (OLG) in der bayerischen Landeshauptstadt ihm ein Schmerzensgeld i. H. v. 40.000 Euro zu. Hiergegen legten beide Seiten Revision ein: Der Sohn des Verstorbenen, weil er auch die materiellen Ersatzansprüche einfordert; der Mediziner, weil er die Ansprüche schon dem Grunde nach zurückgewiesen sehen möchte.

Worum es vor dem BGH nicht vordergründig gehen wird und was die Gerichte bislang einhellig entschieden haben ist: Die Lebenserhaltung des Mannes war ab dem fraglichen Zeitpunkt im Jahr 2010 nicht mehr medizinisch indiziert. In einem solchen Fall – und natürlich ganz grundsätzlich – ist es am Betroffenen, zu entscheiden, ob er noch weiterleben möchte. Allerdings war der Mann zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr entscheidungsfähig, eine Patientenverfügung lag ebenfalls nicht vor. Daher hätte der Arzt zusammen mit dem Betreuer und dem Sohn klären müssen, was im Interesse seines Patienten wäre – so schreibt es § 1901b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor. Gegen diese Pflicht, so stellten es beide Instanzen fest, hat der Mediziner verstoßen.

Umstritten ist dagegen, ob ein erlittenes Leben – sogenanntes "wrongful life" – einen ersatzfähigen Schadensposten darstellt. Viele Medizinethiker tun sich damit schwer und argumentieren, dies liefe auf eine Bewertung von Leben als unwert hinaus. Das OLG wie auch das LG bejahten aber einen Schaden. Aufgrund der schweren Leiden des Patienten und der Aussichtslosigkeit seiner Situation sei die Lebenserhaltung als Schaden im Rechtssinne zu betrachten, führten die Berufungsrichter aus. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn man einerseits die lebenserhaltende künstliche Ernährung als fortdauernden einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten ansähe, andererseits aber daraus keinen Schaden ableiten wolle.

Müssen Ärzte sich für Lebenserhaltung rechtfertigen?

Die andere – und wohl relevantere – Frage dieses Falles ist die nach der Beweislast. Denn lässt sich überhaupt sagen, wie Sohn und Betreuer entschieden hätten, wären sie gefragt worden? In einer so existenziellen Situation, befand das LG, könne nicht mit einem allgemeinen Vermutungssatz gearbeitet werden dahingehend, dass sie der Lebenserhaltung widersprochen hätten. Allerdings hat  der Sohn noch zu Lebzeiten seines Vaters eine Anwaltskanzlei mandatiert, um Krankenunterlagen zu besorgen, die bestätigen sollten, dass die Lebensverlängerung nur noch Leiden verursachte.

Das OLG hingegen ordnete die Beweislast in der Berufung dem Mediziner zu. Demnach würde gelten: Führt dieser entgegen der medizinischen Indikation eine lebenserhaltende Maßnahme fort, so muss er darlegen und beweisen können, dass dies auch im Sinne des Patienten ist. Kann er das nicht, so macht er sich schadensersatzpflichtig.

Sollte der BGH dieser Ansicht folgen, würde das für Ärzte möglicherweise eine Rechtfertigungspflicht für die Lebenserhaltung auslösen. Dass es eine absolute Pflicht zur Lebenserhaltung nicht gibt, ist seit Längerem klar (BGH, Urt. v. 13.09.1994, Az. 1 StR 357/94). Doch nach Ansicht des OLG würde „in dubio pro vita“ nicht mehr gelten. Und es könnte für Ärzte sogar handfeste Folgen haben, wenn sie sich dennoch weiterhin daran orientieren.

Ab 9 Uhr wird der u.a. für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat am Dienstag in Karlsruhe verhandeln. Ob noch am selben Tag eine Entscheidung fällt, ist nicht klar.

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BGH verhandelt zu Schadensersatz für Lebenserhaltung: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34311 (abgerufen am: 15.06.2025 )

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