BaumgartenBrandt unter Beschuss: Immer auf die Abmahn-Anwälte

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Sie mit Dreck zu bewerfen, ist in der Netzgemeinde geschätzt: Die wegen vielfacher Filesharing-Abmahnungen berüchtigte Berliner Kanzlei BaumgartenBrandt sei für hunderte Klagen gar nicht bevollmächtigt gewesen, meldete chip.de. Und berief sich auf den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Lichtblick Films. Dass der die Kanzlei selbst beauftragt haben soll, las man nicht.
"Neue Abmahnwelle bei Filesharing: Anwälte zocken ohne Vollmacht ab" titelte chip.de am vergangenen Dienstag. Das Magazin rund um die Welt von Technik und Computer referenzierte direkt auf den großen RedTube-Skandal des durch Porno-Streaming-Abmahnungen bekannt gewordenen Ex-Anwalts Thomas Urmann, als es schrieb, nun folge Baumgarten Brandt als "neue Abmahnkanzlei, die unter Betrugsverdacht steht".
Tausenden von Abgemahnten wird zumindest der Name des Unternehmens etwas sagen: Die Lichtblick Films GmbH, ehemals Los Banditos Films GmbH, mahnte seit Jahren wegen der behaupteten Verletzung von Urheberrechten durch Veröffentlichung von urheberrechtlich geschützten Filmwerken ab. Ihre Vertreter waren, nach eigenen Angaben bereits seit dem Jahr 2009, die Rechtsanwälte BaumgartenBrandt mit Sitz in Berlin. Ebenfalls nach eigenen Angaben haben die Berliner Advokaten seit Mitte 2013 in rund 1.400 Verfahren "verjährungsunterbrechende Maßnahmen" eingeleitet – also die Filesharer vor Gericht gezogen.
Chip.de moniert nun unter Berufung auf Karsten Gulden, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Mainz, dass für Beklagte, welche Verfahren gegen die Lichtblicke GmbH gewonnen haben, die Gefahr bestehe, trotz des Siegs auf ihren Kosten sitzen zu bleiben. Denn über das Vermögen der GmbH wurde, so viel steht fest, am 1. August 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Hunderte von Klageverfahren aber liefen weiter – und würden, so das Magazin unter Berufung auf Angaben des Insolvenzverwalters, von der BaumgartenBrandt ohne Vollmacht weiter betrieben.
Wie der Verdacht in die Welt kam
Tatsächlich ist offenbar in hunderten von Verfahren an unterschiedlichen Amtsgerichten bundesweit etwas ganz kräftig schief gelaufen. Das liege an den klagenden Anwälten, behauptet der zuständige Insolvenzverwalter Frank Raff aus Stuttgart.
In einem Schreiben an das Amtsgericht Tettnang vom 18. Februar 2015, das LTO vorliegt und mit entsprechendem Wortlaut an dutzende andere Amtsgerichte verschickt worden sein soll, erklärt der Fachanwalt für Insolvenzrecht, er habe bis zum 13. Februar keine Kenntnis von bisher anhängigen Gerichtsverfahren bei dem jeweiligen Gericht gehabt. "Die Rechtsanwälte BaumgartenBrandt haben von mir kein Mandat erhalten, für die Insolvenzschuldnerin aufzutreten. Anderslautende Mitteilungen dieser Rechtsanwälte sind schlicht unwahr".
Vermutlich war es die Verbindung mit der Bitte an das Gericht, über eventuelle Ansprüche und bereits ergangene Titel zu informieren, damit "die Gelder nicht an die Berliner Anwälte fließen", die chip.de dazu veranlasste, von einem Betrugsverdacht zu sprechen. Dabei ist es die Aufgabe des Insolvenzverwalters, sämtliche der Schuldnerin zustehenden Gelder zur Masse zu ziehen.
"Insolvenzverwalter wollte von eigenen Verfehlungen ablenken"
Etwas anders klingt das alles, wenn man, was chip.de offenbar nicht für erforderlich hielt, bei den beschuldigten Anwälten BaumgartenBrandt nachfragt. Diese haben am gestrigen Donnerstag das Amtsgericht Stuttgart als Insolvenzgericht gebeten, das Verhalten des Insolvenzverwalters zu sanktionieren. Dieser habe "offensichtlich in der Öffentlichkeit im Internet und uns gegenüber erweislich unwahre Tatsachen behauptet sowie uns als rechtswidrig handelnde Rechtsanwälte dargestellt, offenbar mit dem Ziel, uns zu diskreditieren und von seinen Verfehlungen – insbesondere der Verletzung seiner Pflichten als Insolvenzverwalter – abzulenken".
Die Anwälte behaupten, dass es sehr wohl einen Auftrag des Insolvenzverwalters gegeben habe. Im November 2014 habe sich telefonisch und per Mail Norbert Grimmeißen bei ihnen als Beauftragter des Insolvenzverwalters Frank Raff legitimiert und sie erstmalig über die Insolvenz ihrer Mandanten informiert.
Nachdem es den Anwälten trotz mehrfacher Versuche dann erst am 22. Dezember gelungen sei, ihn telefonisch zu erreichen, habe Grimmeißen, der laut seiner Webseite in Stuttgart Serviceleistungen rund um die Abwicklung von Insolvenzverfahren anbietet, sich erneut als umfassend bevollmächtigt und mit der Abwicklung im Allgemeinen und der Klärung offener Forderungen im Besonderen beauftragt vorgestellt.
Vollmacht oder keine Vollmacht?
Sie sollten "weiter machen wie bisher", bis der Insolvenzverwalter sich mit ihnen in Verbindung setze. Vor allem sollten sie Schaden von der Insolvenzmasse abwenden, eine Übersicht über die laufenden Verfahren habe Zeit. "Er notiert sich dafür eine Wiedervorlage zum März 2015", heißt es in dem Schreiben von BaumgartenBrandt an das AG Stuttgart.
"Für uns gab es keine Zweifel daran, dass wir bis auf Weiteres von dem Insolvenzverwalter beauftragt waren", erklärte Philipp Brandt von BaumgartenBrandt gegenüber LTO. Das sei auch noch bis zum 5. Februar, als der sich erstmalig persönlich meldete und eine Liste der laufenden Verfahren anforderte, unstreitig gewesen. Erst einige Tage später habe er plötzlich behauptet, die Anwälte seien nicht beauftragt.
Der angebliche Bevollmächtigte Norbert Grimmeißen war zu einer Stellungnahme am Freitag nicht bereit. Und auch Insolvenzverwalter Raff sagte dazu trotz mehrfach mitgeteilter Möglichkeit zur Stellungnahme gegenüber LTO nicht nur nichts – er erklärte sogar, dass er sich nicht an das gebunden fühle, was sein Kanzleikollege zuvor gegenüber LTO erklärt hatte.
2/2: Zumindest Anscheinsvollmacht
Als am 1. August 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, erlosch das Mandatsverhältnis der insolventen Gesellschaft zu ihren Anwälten, §§ 115, 116 Insolvenzordnung (InsO). BaumgartenBrandt Rechtsanwälte waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr dazu befugt, irgendwelche Handlungen im Namen der Lichtblick Films GmbH vorzunehmen, denn mit dem Mandatsverhältnis erlosch auch ihre Vollmacht, § 117 InsO.
Anders hätte es sich natürlich verhalten, wenn der Insolvenzverwalter sie, wie von ihnen behauptet und vom Insolvenzverwalter Raff ignoriert bis bestritten, mit der Fortsetzung der laufenden Verfahren beauftragt hätte. Der Anwalt braucht einen neuen Vertrag, um laufende Klagen weiter zu betreiben – und zwar einen mit dem Insolvenzverwalter.
Jedenfalls können die Berliner Anwälte sich aber seiner Meinung nach, sofern Norbert Grimmeißen sich ihnen gegenüber tatsächlich als bevollmächtigt ausgegeben haben sollte, auf die Grundsätze der Anscheinsvollmacht berufen: Wenn man nicht massive Verdachtsmomente dafür hat, dass der sich als beauftragt ausgebende Bevollmächtigte im Innenverhältnis keine entspreche Vollmacht hat, muss man das auch nicht nachprüfen, so der BGH.
Vorsorglich berufen BaumgartenBrandt sich zudem vorsorglich darauf, dass sie die Verfahren jedenfalls im Rahmen ihrer "Notgeschäftsführung gem. §§ 116 S. 1, 115 Abs. 2, 117 Abs. 2 InsO" insoweit hätten weiter betreiben dürfen, als sie Schaden von der Masse abwenden sollten. Vor allem Prozesshandlungen hätten sie vorgenommen, um ggf. die Verjährung weiter zu hemmen – in Anbetracht des damals vor der Tür stehenden Jahresendes ist das nicht ganz unplausibel. Der Auftrag gilt insoweit als fortbestehend, das regelt § 115 Abs. 2 InsO. Insolvenzverwalter Raff scheint das wenig zu interessieren. Er sieht "für eine solche Argumentation keinerlei Ansatz".
Urteile: wirksam, aber anfechtbar
Unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Mandatsverhältnisses war die GmbH war seit August nicht mehr prozessführungsbefugt. Die Entscheidung, ob rechtshängige Klageverfahren, welche die Insolvenzmasse betreffen, weiter geführt werden oder nicht, obliegt nämlich dem Insolvenzverwalter.
Bis dieser eine endgültige Entscheidung getroffen hat, wird ein Prozess nach § 240 Zivilprozessordnung (ZPO) durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei automatisch unterbrochen. Sämtliche Prozesshandlungen der Parteien seit dem 1. August waren schlicht wirkungslos. Erst der Insolvenzverwalter wird nun entscheiden, wie es weiter geht. Bereits ergangene Entscheidungen, sind nach der Rechtsprechung des BGH wirksam, aber jede Partei des unterbrochenen Rechtsstreits könne sie anfechten, vor allem aber der Insolvenzverwalter.
Auch die angeblichen Urheberrechtverletzter könnten das versuchen, wenn sie verloren haben. Haben sie gewonnen, können sie ihre Kosten nur zur Insolvenzmasse anmelden, beklagt Karsten Gulden. Das allerdings liegt in der Natur des Insolvenzverfahrens.
Die meisten Verfahren sind längst unterbrochen
Eigentlich ging, wenn man BaumbartenBrandt glaubt, alles seinen recht normalen Gang. Die Wirkung des § 240 ZPO tritt nämlich unabhängig davon ein, wann Gericht oder Parteien davon wussten, dass es ein Insolvenzverfahren gibt. Laut Kanzleipartner Philipp Brandt haben er und seine Kollegen versucht, in jedem laufenden Verfahren direkt nach Kenntnis von der Insolvenz im November Bescheid zu geben. Mit Ausnahme einiger weniger haben die Amtsgerichte die Verfahren nach § 240 ZPO unterbrochen. In diesen Fällen haben er und seine Kollegen nichts mehr unternommen.
Einige Gerichte hätten den Hinweis erteilt, dass sie nicht davon ausgingen, dass die Vorschrift einschlägig sei. Vielmehr hielten sie die Klagen schon für unzulässig, weil das Insolvenzverfahren vor Rechtshängigkeit eröffnet worden sei, so Brandt. Hintergrund ist, dass die Berliner Anwälte die Klagen nie erstmalig bei den Gerichten eingereicht, sondern immer nur Ansprüche begründet haben, die zuvor bereits durch Mahnbescheid anhängig waren.
Dass er diese Verfahren trotz eigener Zweifel an dieser Rechtsauffassung der Gerichte überhaupt fortgesetzt hat, verteidigt Urheberrechtler Brandt: Wenn der Prozess, mit dessen Wahrnehmung er weiterhin vom Insolvenzverwalter beauftragt gewesen sei, weiter laufe, sei er verpflichtet, Schaden von der Insolvenzmasse abzuwenden, also die alle sechs Monate drohende Verjährung weiterhin durch prozessuale Schritte zu hemmen und keine teuren Versäumnisurteile zu kassieren.
Überbewertet: die Sach- und Rechtslage
Wer hat nun was wann nicht gesagt, wer wen wann womit beauftragt, wer einen Fehler gemacht? Mindestens einer sagt in der Angelegenheit rund um die Insolvenz der Lichtblick GmbH nicht die Wahrheit. Die Schlüsselfiguren, die ehemaligen und aktuellen, haben offenbar weder mit ihren Anwälten noch mit dem Insolvenzverwalter kooperiert.
Am Ende bleibt eine öffentlich diskreditierte Kanzlei - von deren anwaltlichen Aktivitäten man halten mag, was man möchte. Mit Gulden hat ein Anwalt, der häufig Abgemahnte vertritt, ein Medium für sich instrumentalisiert, das offenbar nur allzu gern eine Kanzlei als betrügerisch darstellen wollte, die vielfach Urheberrechtsverletzer oder solche verfolgt, die sie dafür hält. Gelegenheit zur Stellungnahme hat die Kanzlei nicht erhalten, bevor sie an den Pranger gestellt wurde. Ohne Rückfrage war das Magazin bereit, einem Insolvenzverwalter zu glauben, der es womöglich schlicht selbst versäumt hat, sich in hunderte von Klagen rechtzeitig einzubringen.
Dabei hätte schon die Eingabe in eine Internet-Suchmaschine ergeben, dass die Schuldnerin als Auftraggeberin von massenhaften Abmahnungen bekannt war. Ihre Anwälte, die das jahrelang für sie umsetzten, als Betrüger darzustellen, ist schon fast eine Garantie für die jubelnde Zustimmung der Netzgemeinde. Wen interessiert da die Sach- oder gar die Rechtslage?