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ZDF-Justizdrama "Sie sagt. Er sagt.": Ach, Schi­rach!

Rezension von Dr. Lorenz Leitmeier

26.02.2024

"Sie Sagt. Er Sagt." von Ferdinand von Schirach

Ferdinand von Schirach möchte mit seinen Stücken Staatstragendes vermitteln. Leider fehlt dieses Mal die Abstimmung, findet unser Rezensent. Foto: zdf / Julia Terjung

Vergewaltigung oder nicht? In Ferdinand von Schirachs neuer Verfilmung "Sie sagt. Er sagt." geht es um ein ernstes Thema. Hätte man es mit dem Juristischen doch bloß ebenso ernst gemeint, wünscht sich Richter und Rezensent Lorenz Leitmeier.

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Noch so jung, dieses 2024, und doch ist das Fernsehereignis des Jahres schon gelaufen, am Montagabend im ZDF: Das Justizdrama "Sie sagt. Er sagt", inszeniert von Top-Regisseur Matti Geschonnek, gespielt von grandiosen Darstellern, geschrieben von – selbstverständlich – Ferdinand von Schirach. Die Handlung ist überschaubar komplex: Die bekannte TV-Moderatorin Katharina Schlüter (Ina Weisse) beschuldigt den Industriellen Christian Thiede (Godehard Giese), mit dem sie eine jahrelange Affäre hatte, dass er sie nach zunächst einvernehmlichem Geschlechtsverkehr in seiner Wohnung vergewaltigt habe – maximales öffentliches Interesse ist garantiert.

Zu Beginn teilt von Schirach aus dem Off grammatikalisch und juristisch holprig, dafür umso bedeutungsschwerer mit: "Unser Strafgesetzbuch kennt den Begriff des Bösen nicht. Er [Es?] beschreibt, was Vergehen und Verbrechen sind, ein Sachverhalt wird aufgelöst in Tat[-bestand?], Rechtswidrigkeit und Schuld." Mit ihrem Urteil entschieden Richter über das Schicksal von Angeklagtem und Opfer, aber immer auch, wer sie selbst seien, so die Stimme aus dem Off. Der Ton für die insgesamt 105 Minuten ist damit gesetzt: Die gesellschaftliche Bedeutung bewegt sich wie üblich in maximalen Höhen, die juristische Präzision eher am anderen Ende der nach unten hin offenen Passt-schon-Skala.

Die Belastungszeugin, die vielleicht Vergewaltigte, steht im Stau? Kein Problem, das Gericht vernimmt einfach zuerst die Sachverständige (Proschat Madani) – Beweismittel sind doch austauschbar? Die Rechtsmedizinerin erzählt außerdem, Frau Schlüter habe bei der Untersuchung ruhig und zugewandt gewirkt. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht (Johanna Gastdorf) fragt interessiert, ob dieses Verhalten üblich sei nach einer Vergewaltigung, und fängt den Konter, es gebe kein "übliches" Verhalten, jede Frau reagiere anders. Den Begriff "Dickpics" kennt Frau Richterin leider auch nicht, die Sachverständige erklärt geduldig. Hm. Ungünstig, wenn man offenbar neu am Gericht ist und gleich den Vorsitz einer Großen Strafkammer bekommt. Aber gut, irgendwie muss die Erklärung ja zum Zuschauer kommen.

Leider erinnern solche Sequenzen an Bücher, bei denen die Information für den Leser lebensnah in die Dialoge der Protagonisten gelegt wird ("Papa, Du erziehst uns nach der Trennung von Mama ja jetzt alleine, also mich und meine Schwester Tanja.").

Jetzt redet der Anwalt

In einer unfreiwillig symbolhaften Szene kurz nach Vernehmungsbeginn holt die Verteidigerin (Henriette Confurius) ihren StPO-Kommentar heraus, schmökert kurz hinein und legt ihn dann weg – für diesen Prozess steht wohl nichts Relevantes drin. Was soll’s, der Bergdoktor kommt ja auch ohne Pschyrembel klar. Drei Minuten später kommt der Anwalt (Matthias Brandt) der Nebenklägerin, führt sich offensiv-unsympathisch ein mit der Bemerkung, er habe ja sicher nichts verpasst, und übernimmt die Verhandlungsführung: Rederecht hat er nach Belieben, Fragen der Richterin an Zeugen übersetzt er so, wie sie gemeint seien, also suggestiv in seinem Sinne. Mit der Verteidigerin beginnt er verbale Scharmützel, wenn es prozesstaktisch angezeigt ist, einer Zeugin knallt er seine fettige Croissant-Tüte auf deren Akte, Plädoyers hält er spontan. Da will die Verteidigerin nicht zurückstehen, auch sie trägt ihre Impulsmonologe zwischendurch vor. Der Oberstaatsanwalt beobachtet aus der Distanz, Fragen hat er nie. In die Wortgefechte der anderen Juristen mischt er sich nicht ein – warum auch, Präsenz-Monster Brandt entscheidet ja ohnehin eigenmächtig, welche Fragen der Verteidigung zulässig sind und ob sich das Gericht neutral verhält.

Inhaltlich geht es – wie üblich bei Gerichtsprozessen – erst recht bei nur zwei Beteiligten um die entscheidende Frage: Kann man der Zeugin glauben, ist ihre Aussage nachvollziehbar und widerspruchsfrei, stützen die Umstände (Was geschah danach? Welches Kleid trug sie?) ihre Version? Oder gibt es, was natürlich die Verteidigerin herausarbeitet, so viele Widersprüche und Zweifel, dass der Angeklagte freizusprechen ist?

In einer fantastisch ironischen Passage referiert die Verteidigerin über den Zweifelsgrundsatz und seine Bedeutung für den Rechtsstaat, wendet ihn dann aber falsch an: Ob die Zeugin das rote Kleid trug oder nicht, wisse man nicht sicher, deshalb gelte in dubio das, was für den Angeklagten günstig sei. Dabei darf der Zweifelssatz doch gar nicht isoliert auf einzelne Indizien angewendet werden, sondern nur nach abgeschlossener Beweiswürdigung?! Egal, warum den Zuschauer mit Details belasten? Reicht das griffige Schlagwort nicht?Oder versucht die Verteidigerin etwa, das Gericht hereinzulegen?

Im Ergebnis egal, über Strafrecht erfährt der Zuschauer ohnehin viel weniger als über Macht und Taktik im Gerichtssaal: Die junge Verteidigerin war früher Referendarin des ausgebufften Anwalts auf der Gegenseite, die Machtbeziehung von Mann und Frau ist also wenig subtil auch auf einer zweiten Ebene Motiv des Kammerspiels.

Lasst den Angeklagten labern

Den Schlussvortrag des Oberstaatsanwalts erspart uns die Regie, man erfährt nur, dass er drei Jahre Freiheitsstrafe beantragt (Geraune im Publikum). Das wahre Plädoyer hält natürlich der Staranwalt der Nebenklage, er hat eine brillante Schaufensterrede für das Publikum vorbereitet. Gerade eben noch der Verteidigerin überflüssige Verfassungslyrik vorgeworfen, weil sie "in dubio" erklärte, belehrt er nun in getragener Verfassungslyrik das Gericht, wie "in dubio" funktioniert. Danach erklärt das Gericht in ausschweifender Verfassungslyrik der Fernsehnation, dass der Angeklagte das letzte Wort habe und ungestört seine Sicht darlegen dürfe, wenn er denn möchte.

Und wie er möchte: Gegen den Rat seiner Verteidigerin ("Das ist keine gute Idee!") ergreift er das letzte Wort. Zum Glück beantragt die Verteidigerin keine Unterbrechung, um mit ihrem Mandanten diese Kardinalentscheidung zu besprechen – sonst wäre die Spannung ja erst einmal weg. Der Angeklagte steht also auf und behauptet, seine Ex-Affäre wolle sich rächen, weil er Schluss gemacht habe. Aber kann das stimmen? Wird ihre Version jetzt noch zweifelhafter?

Gerade möchte man darüber sinnieren, wird aber abgelenkt, zeigt die Vorsitzende doch grandios, wie ernst sie ihre weihevollen Worte zum letzten Wort nimmt: Als der Staatsanwalt mit einem Zettel zu ihr kommt, plauscht sie angeregt mit ihm, der Angeklagte spricht – ungestört, nur halt leider auch ungehört. Macht aber nichts, die Verhandlung wird ohnehin unterbrochen, in einer dramatischen Schlusswendung hat die Frau des Angeklagten bei der Polizei ausgesagt, ihr Mann habe die Vergewaltigung gestanden. Aber sie lebt ja in Scheidung, will sie ihn mit einer Falschbeschuldigung fertigmachen? Oh je, jetzt weiß man ja gar nichts mehr, der Zuschauer wird in die Ungewissheit entlassen.

Diesmal leider keine Abstimmung

Schade, dass man nicht wie bei früheren Schirach-Theaterstücken abstimmen darf. Zwischen drei Jahren und Freispruch wären doch zwei Jahre auf Bewährung ein schöner Kompromiss, oder?

Das letzte Wort hatte vielleicht der Angeklagte, das allerletzte aber natürlich der Meister: von Schirach erklärt, dass über Schuld und Unschuld eines Menschen nicht die Medien entschieden und keine Sozialen Netzwerke, sondern nur das Gericht nach strengen Regeln, der Rechtsstaat wolle die Wahrheit nicht um jeden Preis. Derart informiert kann der Fernsehzuschauer sein Strafrechtswissen gleich am Sonntag beim Tatort testen, wenn wieder die Kriminalpolizei ermittelt. Hoffentlich halten sich dann auch alle Kommissare an die Vorgaben des Rechtsstaats, selbst die aus Bayern – Batic und Leitmayr.

Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist Richter am Amtsgericht, derzeit hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HföD), Fachbereich Rechtspflege.

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ZDF-Justizdrama "Sie sagt. Er sagt.": . In: Legal Tribune Online, 26.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53971 (abgerufen am: 12.06.2025 )

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