Unterdrücktes Krächzen bei den leisen Stellen, erregtes Röcheln, wenn es interessant wird: Kino-, Theater- oder Konzertbesuchter haben so gelegentlich den Verdacht, dass Ärzte ihre Patienten ins Publikum gesetzt haben, damit sie einmal gründlich abhusten können. Weil Juristen die ganze Welt zur Bühne ihrer Kunst machen, befassen sie sich natürlich auch mit dem Husten, wie Martin Rath zeigt.
In den Gerichtssälen und -sitzungszimmern, also dort, wo sich die Justiz höchstselbst in Szene setzt, scheint sie erstaunlich robust mit der Frage zu beschäftigen, ob Husten stört. Hier findet sich eine Toleranz im Umgang mit Gegengiften, auf die wir später nicht überall treffen werden, wenn das Verhältnis der deutschen Justiz zum öffentlichen Husten zur Sprache kommt: Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig befand mit Beschluss vom 13. Januar 1994 (Az. 2 Ws 7/94), dass es für einen erkälteten Zeugen keine Ungebühr nach § 178 Gerichtsverfassungsgesetz darstelle, wenn er ein Hustenbonbon lutsche.
Leider ist dieser Beschluss nicht ausführlich überliefert. So lässt sich nicht feststellen, ob es, sobald in Gerichtsräumen gehustet wird, jenen seltenen Augenblick gibt, in dem sich die Einheit der Rechtsordnung leibhaftig manifestiert: Das OLG Köln erkannte bereits mit Beschluss vom 31. Oktober 1984 (2 Ws 593/84), dass mit künstlichem Husten aus den Zuschauerreihen des Amtsgerichts Bonn ein Strafprozess begann, aus dem Ruder zu laufen.
Ohne Hustenbonbons bei Gericht, so viel einheitliche Rechtsordnung müsste wohl sein, wäre zu gewissen Jahreszeiten die Grenze zwischen erlaubtem und unerlaubtem Krächzen, Bellen und Röcheln gar nicht zu ziehen.
Husten wegen Exposition von 161 "Feinstaubjahren"
Nun könnte es leicht abwegig erscheinen, sich mit den juristischen Abgründen des Hustens überhaupt zu befassen. Dieser Tage war zwar in öffentlichen Verkehrsmitteln zwar eine Kakophonie des Röchelns und Bellens zu vernehmen, die glauben ließ, nicht mit gewöhnlichen Erkälteten, sondern inmitten einer Tuberkulose-Epidemie unterwegs zu sein.
Allerdings war es ein Fahrzeug der Kölner Verkehrsbetriebe. In dieser Stadt gibt es womöglich Volkshochschulkurse, deren Teilnehmern dramatisch lautes, Tbc-artiges Husten beigebracht wird. Immerhin, öffentliche Bildungseinrichtungen, die hochdeutschsprachigen Zugezogenen das kölsche Idiom beibringen, existieren hier auch. Vielleicht ist dies also alles nur regionale Folklore. Allerdings zeigt eine große kalifornische Suchmaschine böse aktuelle Daten an, die den Verdacht der Hypochondrie bzw. der überreizten Wahrnehmung von uns nehmen. Sie mögen also Grund genug sein, noch etwas ins juristische Husterei-Wesen vorzudringen.
Ihre vielleicht höchste Entwicklungsstufe dürfte die deutsche Jurisprudenz auf dem Gebiet des bergmännischen Hustens erreicht haben. Bergwerke werden hierzulande geschlossen, bald werden die Rechtsprobleme des bergmännischen Lungenschadens bestenfalls Gegenstand rechtshistorischer Untersuchungen sein. Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2002 (Az. L 2 KN 96/00 U) entführt in diese fremd werdende Welt: Ein Bergmann stritt um die sozialrechtliche Einordnung seines Lungenleidens. Die Gerichte bzw. Ärzte stellten eine Belastung des Mannes durch eine "Feinstaubexposition von 161 Feinstaubjahren" fest. Husten und Atemnot geraten also sozialrechtlich zu "Feinstaubjahren" – was damit gemeint sein soll, bleibt das Geheimnis der Sachverständigen und des Gerichts.
Husten im besonderen Gewaltverhältnis
Etwas näher am eigenen Arbeitsfeld, zugleich ein schöner Fall, in dem mit der archaischen Rechtsfigur der "besonderen Gewaltverhältnisse" aufgeräumt wurde, liegt der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 11. Juli 1984 (Az. 1 Vollz 353/83): In der Justizvollzugsanstalt Werl saß ein Gefangener ein, der sich nicht damit abfinden wollte, dass seine Haftgenossen die Möglichkeit hatten, mit den Lebensmitteln, die er zu verzehren erhielt, in Berührung kämen, schlimmer noch, ihm womöglich aufs Essen husten könnten. Er beantragte darum, dass die Mitgefangenen, die als sogenannte Essensträger die Nahrung verteilten – es wurde in Werl offenbar noch mit der Schöpfkelle in den Napf gelöffelt – den gleichen gesundheitsrechtlichen Prüfungen unterworfen würden wie entsprechendes Personal in Freiheit, samt Kontrolle durch das Gesundheitsamt, statt nur durch den Anstaltsarzt. Im Gegensatz zur Anstaltsleitung half das Landgericht dem ab.
Der Fall mag unspektakulär oder übersensibel wirken. Doch waren die deutschen Zuchthäuser vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, vom NS-Staat nicht zu sprechen, Brutstätten der Lungenkrankheiten. Das Leben dort war so prekär, dass manche Juristen zu Kaisers Zeiten die Todesstrafe als mildere Strafform gegenüber dem schwindsüchtigen Siechtum einer lebenslangen Freiheitsstrafe sahen. Juristische Abhilfe schon gegen mutmaßliches Husten im Gefängnis ist vor diesem Hintergrund kein schlechtes Indiz für Fortschritte in der Strafrechtspflege gewesen.
2/2: Opiate und sonstige Drogen – mit Kanonen auf Spatzen schießen
Wenn eingangs davon die Rede war, dass die Justiz eine gewisse Toleranz für Hustenmittel hat, soweit sie ihr die Arbeit leichter machen – ein Hustenbonbon im Mund des Zeugen ist nicht ungebührlich –, ist das Verhältnis von Hustenmitteln und Rechtsstaat allgemein doch eher angespannt: Mit Urteil vom 18. Oktober 1995 bestätigte beispielsweise das Bundessozialgericht (BSG) eine Entscheidung des LSG Schleswig Holstein: Ein in Kiel als praktischer Arzt hatte einer ganzen Anzahl seiner Kassenpatienten das nur zur Behandlung von Husten und Reizhusten zugelassene Mittel "Remedacen" verordnet. Allerdings nicht, weil die Patienten an primär Husten, Schnupfen, Heiserkeit litten, sondern an Alkohol- und Opiatabhängigkeit (Az. 6 RKA 3/93).
Die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Menschen mit einer stofflichen Abhängigkeit ein Ersatzpräparat bereitzustellen - das Hustenmittel enthielt Codein - ist ein echtes Reizthema. Das BSG beendete in diesem Fall die Praxis, indem es sie nicht zuletzt "unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeitsprüfung" für unangebracht erklärte. Bemerkenswert ist die lange juristische Traditionspflege, die hier unter dem Aspekt des Hustens betrieben wird: Das seit der Opiumkonferenz von 1912 international geächtete, seit 1929/30 auch in Deutschland pönalisierte Heroin – ein Produkt aus den Labors der Firma Bayer – galt zunächst als potentes Hustenmittel, um dann als Ersatzmittel für Alkohol-, Morphium- und Kokainabhängige zu dienen und schließlich verboten zu werden. Wo Husten unterdrückt werden soll, sind starke Substanzen im Einsatz, die früher oder später von Rechts wegen unterdrückt werden.
Kilometertiefe Zahnfleischtaschen
"Am 20.2.2007 befuhr der Betr. mit dem Pkw Suzuki … öffentliche Straßen … Er hatte zuvor Alkohol getrunken. Der Betr. führte das Fahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l." Damit also genug, um den Suzuki-Fahrer von Rechts wegen für einige Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, könnte man annehmen. Doch erkannte das OLG Hamm mit Beschluss vom 24. Januar 2008 (Az. 2 Ss Owi 37/08), es sei nicht auszuschließen, dass sich namentlich in den Zahnfleischtaschen des verschnupften und daher neben Cola und Bier auch einen Hustenlöser verzehrt habenden Kraftfahrzeugfahrers Reste eben dieses Hustentropfens befunden und diese die Atemalkoholmessung verfälscht hätten.
Den Verdacht, dass die Atemalkoholmessung durch Hustentropfen in Zahnfleischtaschen verfälscht worden sei, trug in diesem Fall nicht nur der Fahrer, sondern auch die Generalstaatsanwaltschaft vor. Das rechtliche Resultat dieses Vorgangs ist leider nicht überliefert. Ob von Husten geplagte Fahrer noch zum zahnärztlichen Herumgestocher in ihrer Mundhöhle geladen werden müssten, damit das Hustensaft-Lagervolumen ihrer Zahnfleischtaschen vermessen werden und Recht geschehen kann? Man möchte sich das lieber nicht ausmalen und stellt lieber gleich das Husten ein, ganz ohne Tropfen.
Und wo bleiben die Tussis?
Möglicherweise ist es nicht verboten, Menschen, die beispielsweise in einer Straßenbahn aggressiv herumhusten, als "Tussis" zu bezeichnen. Allein, man sollte darauf Acht geben, seinen Fluch nicht mit bösen Beiwörtern zu versehen. Ein gewisses sprachliches Recht lässt sich mit der Auskunft herleiten, die dem Beschluss des Bundespatentgerichts vom 24. Januar 2000 über Markenrechte an den Bezeichnungen "Werotussin" und "Sedotussin" zu entnehmen ist (Az. 30 W [pat] 128/99 ): "Der Markenanteil ‚TUSSIN‘ hat zwar eine Kennzeichnungsschwäche, weil er auf das lateinische Fachwort für Husten (tussis) zurückzuführen ist, das auch lautmalerisch und daher auch für den Laien erkennbar auf Husten hinweist."
Das hohe Gericht hält fest: Mit "Tussis" verbinden auch Laien nicht allein merkwürdige Damen schlechten Benehmens, sondern "erkennbar" den Husten. Wenn auch sonst nichts aus der Schnittmenge von Juristerei und Hustenpraxis haften bleibt: Den Schimpfwortschatz hätte man hiermit doch ein wenig modifiziert.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Grenzfragen der Jurisprudenz in der Erkältungszeit: "Tussis" und der Husten, juristisch betrachtet . In: Legal Tribune Online, 22.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14763/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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