Der Ostersonntag ist ein Tag der Einkehr. Martin Rath hat ihn genutzt, um nach Spuren biblischer Ideologie zu suchen – im Leben, in der Politik und im Recht. Dabei findet er Heiliges, Scheinheiliges und Unheiliges, wie etwa die Definition der Familie als "eine Gemeinschaft, bestehend aus einem Herrn, einer Herrin und zwei Sklaven, insgesamt zwei Personen".
Bei der Bibel handelt es sich, meinte der US-amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce, um: "Das heilige Buch unserer Religion, im Unterschied zu den falschen und profanen Schriften, auf denen alle anderen Glaubenslehren beruhen."
Diese honigsüße Definition von der Bibel, die Bierce in seinem boshaften Werk "Des Teufels Wörterbuch" gab, besticht weniger durch ihre innere Wahrheit oder dadurch, dass es sich einmal um eine Definition handelt, die von Jurastudenten nicht auswendig gelernt werden muss – Familienrechtler mögen allein den Bierceschen Ehebegriff memorieren: "eine Gemeinschaft, bestehend aus einem Herrn, einer Herrin und zwei Sklaven, insgesamt zwei Personen".
Vielmehr kann die Bibel-Definition illustrieren, dass jene, die in Religionsangelegenheiten allzu fromm und jene, die allzu spöttisch veranlagt sind, mitunter recht nah beieinander liegen können.
Gleichstellungsforderung an Bibelfundamentalisten
Menschen, die nicht nur Bierce wörtlich, sondern auch die Bibel ernstnehmen und damit die Niederlande in eine nachhaltige gleichstellungs- und verfassungsrechtliche Diskussion führten, finden sich im "bible belt" des Königreichs. Die älteste noch in Betrieb befindliche Partei des Landes, die "Staatkundig Gereformeerde Partij" (SGP), die seit ihrer Gründung im Jahr 1918 fast durchgängig mit ein bis zwei Abgeordneten in beiden Kammern des niederländischen Parlaments, zurzeit auch mit einem Mitglied im Europaparlament vertreten ist, rekrutiert ihre Mitglieder so gut wie ausschließlich aus den Kreisen fundamentalistischer Kalvinisten.
Mit einem Urteil, das die feministisch inspirierte Clara Wichmann Foundation am 7. September 2005 gegen den niederländischen Staat erwirkte, wurde es diesem aufgegeben, die mit den Parlamentssitzen verbundene Parteienfinanzierung der SGP einzustellen, weil deren biblisch begründete Weigerung, Frauen zu den Wahlen aufzustellen, gegen die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verstoße. Die kalvinistischen Christenmenschen beriefen sich für diese Praxis auf die biblische Schöpfungsgeschichte sowie auf das bekannte Paulus-Wort: "Es steht den Weibern übel an, in der Gemeinde zu reden" (1. Brief an die Korinther 33).
In einer Urteilskritik, die der Juraprofessor Gareth Davies von der Freien Universität Amsterdam durchaus biblisch mit "Thou Shalt Not Discriminate Against Women" überschrieb (European Constitutional Law Review, 2005, S. 152-166), heißt es, dass die Clara-Wichmann-Stiftung diesen Weg einer Popularklage beschreiten musste, weil es ihr im Vorfeld nicht gelungen war, eine Frau mit dem Wunsch und der Leidensfähigkeit zu finden, auf dem Ticket der kalvinistischen Bibelfundamentalisten in ein Parlament gewählt zu werden. In einem Urteil des Hohen Rates – nicht des biblischen Sanhedrin, sondern des gleichnamigen obersten Gerichts der Niederlande – wurde der Kalvinistenpartei im Jahr 2010 zwar nahegelegt, an der geschlechterbezogenen Diskriminierung etwas zu ändern, das Verbot der Parteienfinanzierung hatte allerdings keinen Bestand.
Bibelkunde in den Staatsorganen
"Wenn es eine rechtsextreme Partei ablehnt, jemanden als Mitglied aufzunehmen, der für sich beansprucht, ein Kommunist zu sein, zeigt das etwa, dass sich Kommunisten nicht der Gleichheit politischer Rechte erfreuen?", fragte Davies in seiner frühen Urteilskritik sarkastisch. Der Rechtsstreit um die christlichen Fundamentalisten lässt sich unschwer auf viele Gleichstellungs- und weitere Grundrechtsfragen übertragen: Wie weit darf der Staat, der sich selbst auf diese Rechte verpflichtet hat, gesellschaftlichen Verbänden aufgeben, es ihm gleichzutun?
Dass die deutsche Politik derartige Grundsatzkonflikte auf biblischer Basis provozieren könnte, ist nicht zu erwarten, soweit ein Blick auf die entsprechenden Neigungen diesen Schluss erlaubt. Der seinerzeit noch als bayerischer Ministerpräsident tätige Edmund Stoiber, der in jüngeren Jahren als durchaus scharfzüngiger Redner bekannt war, nannte im Jahr 2004 beispielsweise Matthäus 7, Vers 12 als seine liebste Bibelstelle: "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch für sie! Das ist es, was Gesetz und Propheten fordern." Horst Seehofer, der damals sicher noch nicht wusste, dass er einmal in Stoibers Amt geraten würde, erklärte die gleiche Vorliebe für die "Goldene Regel".
Wolfgang Schäuble, im Jahr 2004 auf halbem Weg zwischen der Spendenaffäre der CDU und dem Amt als Bundesfinanzminister, fand biblischen Halt im Markusevangelium 12, 16-17, bekannt in der Kurzfassung: "Dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört", eine Stelle, die sich bekanntlich aufs Geld bezieht. Die spätere Bundeskanzlerin hingegen führte die für ihren Kitschfaktor berüchtigte Passage aus dem 1. Brief an die Korinther im Mund: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe."
2/2: Bibelkunde als Herrschafts- und Justizkritik
Im Gegensatz zu solchen Allgemeinplätzen können Bibelkenntnisse Freiheit und Leben retten, sollten sie denn vor Gericht Gehör finden. Beispielsweise verpflichtete das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 13. Juni 2012 (Az. W 6 K 11.30275) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, einem iranischen Asylbewerber die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Mann hatte behauptet, von seinem Schwager im Iran bei der schiitischen Religionspolizei wegen Bibelbesitzes und Interesse am christlichen Glauben angezeigt worden zu sein. Die deutsche Behörde glaubte das nicht. In Bayern erhielt der Iraner Bibelunterricht bei einer evangelischen Freikirche und ließ sich taufen. Weil Menschen, die vom Islam zum Christentum wechseln, im Iran nachweislich von Folter, Haft- und Todesstrafe bedroht sind, gab dies endlich einen Asylgrund. Die Würzburger Verwaltungsrichter ließen sich nicht zuletzt dadurch überzeugen, dass der iranische Flüchtling nicht nur Bibelworte zitierte, sondern sich erkennbar auch moralisch mit ihnen auseinandergesetzt hatte – darunter der justizkritische Satz zur Steinigung im Johannesevangelium 8, 7.
Mit einer biblisch begründeten Ablehnung harmloser einheimischer Justizgebräuche taten sich deutsche Gerichte nicht immer leicht. Ein bisschen komisch wirkt heute ein Satz des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das mit Beschluss vom 22. Juli 1966 (Az. 1 Ws 407/66) erklärte: "Würde die Leistung des Eides von der Gewissensentscheidung jedes Einzelnen abhängig gemacht, so würde einer geordneten Rechtsprechung der Boden entzogen." Der Zeuge, ein Pfarrer, hatte sich geweigert auf die Bibel, Matthäus 5, 34 , einen Eid zu schwören. Die Düsseldorfer Richter sahen die in Artikel 4 Grundgesetz (GG) verankerte Gewissensfreiheit noch in die gleichen Schranken gesetzt, wie das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Artikel 2 GG.
Juristen erkennen hier den Fortschritt vor allem darin, dass auch die ordentlichen Gerichte heute mit einer etwas feinsinnigeren Grundrechtsdogmatik arbeiten – so Gott vor Ort will. Darin liegt auch eine etwas paradoxe Dynamik des Beweisrechts: Als Jesus zur Eidverweigerung aufforderte, war dies eine theologisch und juristisch interessante Angelegenheit. Wer schwor, der erklärte, Gott möge ihn verfluchen, sollte sein Wort nicht der Wahrheit entsprechen. Zwar kam widrigenfalls wohl kein Blitz vom Himmel, aber soziale Ausgrenzung war dem Meineidigen sicher. Auf letztere wollte das Oberlandesgericht Düsseldorf 1966 so wenig verzichten wie es heute noch junge Menschen tun, die jede dritte Tatsachenbehauptung mit einem "Ischschwör" bekräftigen.
Bibelstudium (k)eine Art Berufsausbildung
Damit junge Menschen eine Chance haben, ihr theologisches Wissen zu erweitern und sich etwas differenzierter auszudrücken als "ischschwör, ischwardasnicht", erkennt die deutsche Rechtsordnung das Bibelstudium in erstaunlich großzügiger Weise als eine Art berufsbildender Tätigkeit an.
Beispielsweise urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster (v. 29.10.1984, Az. 16 A 3052/83) einst, dass eine dreijährige Ausbildung an einer Bibelschule dem Bafög-Anspruch nicht entgegenstehe, wenn danach ein Psychologiestudium absolviert werde. In jüngerer Vergangenheit kam das Landgericht Köln zu dem Befund, dass ein ebenfalls dreijähriges Bibelstudium, das einem Mathematik- und Physikstudium vorgelagert war, nicht zum Wegfall des elterlichen Pflichthaftpflicht-Versicherungsschutzes führe (Urt. v. 07.10.2009, Az. 20 O 228/09).
An solchen Bibelschulen wird übrigens neben der heiligen Schrift beispielsweise auch Outdoor-Mission und Suchtkrankentherapie – ein wichtiges Rekrutierungsumfeld der Freikirchen – gelehrt, was über Ambrose Bierce hinaus die Überlegenheit der christlichen Lehre belegt: Die oft eher griesgrämig dreinblickenden Muslime, die ab und zu in der Fußgängerzone den Koran feilbieten, haben ganz bestimmt nie einen Kurs in Outdoor-Mission(ierung) belegt.
Letzte Bibelworte
Wie wertvoll Bibelkenntnisse sind, können zum Schluss zwei Politiker zeigen, die sich nicht zuletzt als Rechtsanwälte einen Namen gemacht haben. Peter Gauweiler zog im Jahr 2004 aus dem Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen, Matthäus 25, 1-13, u.a. den Schluss, dass niemand seine Substanz verlieren dürfe, "wenn er (sie) auch in Zukunft wirkungsvoll sein will". Gauweilers bis heute zu beobachtender Wunsch, den biografisch wie politisch richtigen Zeitpunkt einer Entscheidung zu finden, mag mit dieser etwas apokalyptischen Bibelstelle in Beziehung stehen.
Besonders beeindruckend bleibt die Konsequenz bei Otto Schily. In seinem Amt als Bundesinnenminister warf er noch gelegentlich mit Akten nach seinen Untergebenen. Eingedenk der Weisheit Salomos: "Wer weise ist, hört darauf und vermehrt seine Kenntnisse, und wer verständig ist, eignet sich Fertigkeiten an" (Salomo 1, 5), lernte der als cholerisch verrufene Jurist dazu und warf, soweit bekannt, später nie wieder mit Akten in Richtung seiner Bediensteten. Letzteres könnte natürlich, abgesehen von der Weisheit der Bibel, auch darauf zurückgehen, dass er später keine Gelegenheit mehr bekam.
Hinweis: In einer "Politikerbibel" unter dem Titel "Suchet der Stadt Bestes", herausgegeben von Karl Jüsten und Stephan Reimers, gaben diverse Politiker Auskunft zu ihrer Auffassung nach wichtigen Sätzen der heiligen Schrift.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Bibelstunde: Angela Merkel mochte die Stelle mit der Liebe . In: Legal Tribune Online, 05.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15146/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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