Gerne würden Professoren ihren Jura-Studenten, die statt des Faches lieber über triviale Schauer-Märchen diskutieren, ihnen diese Gedanken austreiben. Martin Rath schlägt vor, den Studenten die Schauergeschichte von der Guillotine am Rande von Strafrechtsvorlesungen zu erzählen, um die Studenten wenigstens mit den philosophischen Aspekten der historischen Tötungsmaschine zu erhellen.
Es war in einer offenbar langweiligen Strafrechtsvorlesung, irgendwann gegen Ende der 1990er Jahre: Der anerkannt altliberale Strafrechtsprofessor mühte sich redlich, die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Tötungsdelikten und dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs zu lenken. Die jungen Damen und Herren in den mittleren Rängen der Massenvorlesung unterhielten sich über das damals aktuelle Produkt der US-Populärkultur: "Buffy – Im Bann der Dämonen".
Seither sind ganze Wellen an Grusel- und Gräuel-Serien durch die Medien und vermutlich auch durch die schwatzhaften Reihen der Hörsäle gelaufen. Zurzeit könnten es wohl Vampir-Märchen "True Blood", die Zombies der "Walking dead" und natürlich besonders der Serien-Hit "Game of Thrones" sein, in dem die Protagonisten um ein Herz ärmer oder einen Kopf kürzer gemacht werden.
Diese Vorliebe für die trivialen Zubereitungen einer makabren Welt von Geistern und Untoten mag man zunächst als Anzeichen dafür nehmen, dass der finstere Humor, der in unserer alteuropäischen Rechtsgeschichte kaum zu knapp vorhanden ist, in Vergessenheit gerät. Eine kunsthistorische Studie zur Bildgeschichte eines einst beliebten Instruments des modernen Strafvollzugs erinnert nunmehr daran.
US-Amerikaner vergleichsweise zartfühlend?
In den aktuellen Diskussionen um den Vollzug der Todesstrafe in den USA wird regelmäßig auf die Barbarei hingewiesen, mit der das US-Justizsystem die Delinquenten leiden lässt – die Menschen wurden zuletzt meist von Rechts wegen vergiftet, die sogenannte Todesspritze wirkt nicht so schnell, wie es sich ihre Erfinder ausgedacht haben. Eigentlich wird der sofortige Bewusstseins- und Schmerzverlust angestrebt, schon damit man über die jahrzehntelange justizielle Vorbereitung des absurden Tötungsrituals moralisch ausblenden kann.
Schwer vorstellbar und doch nur einen rechtshistorischen Wimpernschlag von der Gegenwart entfernt ist die Geschichte von der letzten Hinrichtung in Frankreich. Am 10. September 1977 wurde in Marseille Hamida Djandoubi mit der Guillotine hingerichtet. Man weiß nicht recht, welcher Aspekt besonders makaber ist: Der Gefängnisarzt will festgestellt haben, dass der abgetrennte Kopf Djandoubis noch 30 Sekunden lang auf akustische und taktile Reize reagierte, was unter Medizinern umstritten blieb. Als vertrauensbildende Maßnahme in ärztliche Ethik lässt sich das schwer interpretieren.
Eine weitere makabre Facette: Die Hinrichtung erfolgte einen Tag, nachdem der französische Staatspräsident die Umwandlung in eine lebenslange Freiheitsstrafe abgelehnt hatte – im traditionell politisch reaktionären Süden Frankreichs hätte das wohl Wählerstimmen gekostet. Die europäische Öffentlichkeit begegnete jenem französischen, nunmehr Ex-Präsidenten, Valéry Giscard d’Estaing (*1926) zwischen 2001 und 2003 wieder, als Vorsitzender eines sogenannten Verfassungskonvents eine Art europäischer Verfassung mit ausarbeiten sollte.
Als die Franzosen die Engländer nachäfften
Welche Art von Humor die Granden der europäischen Politik getrieben hatte, den alten Franzosen zum Promotor einer EU-Verfassungsentwicklung zu machen? Die Wiederwahl als französischer Präsident war 1981 nicht zuletzt daran gescheitert, dass sich Giscard d’Estaing vom sogenannten Kaiser der Zentralafrikanischen Republik, seinem politischen Schutzbefohlenen Jean-Bédel Bokassa (1921-1996) Diamanten hatte schenken lassen. Als vertrauensbildende Maßnahme in politische Ethik war das jedenfalls für Europabegeisterte mit minimaler Gedächtnisleistung kaum zu verstehen gewesen.
Doch zurück zu den makabren Seiten der französischen Hinrichtungsmaschine. Eines ihrer prominentesten Opfer war bekanntlich selbst Staatsoberhaupt gewesen – zu einer Zeit, als der europäische Einigungsprozess noch nicht zur Entsorgung politischer Altlasten herangereift war: Der ehemalige König Ludwig XVI. fiel der politischen Justiz der Französischen Revolution am 21. Januar 1793 zum Opfer.
Eine der wirklich großen und tapferen Vertreterinnen der europäischen Frauenbewegung, Olympe de Gouges (1748-1793), Verfasserin der "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" von 1791, mochte in der Hinrichtung des vormaligen Königs eine Art schlechten Scherz sehen: Weil die Engländer in ihrer Revolution 1649 ihren König Karl I. enthauptet hatten, müssten die französischen Revolutionäre diesen tödlichen Akt in äffischer Nachahmung nun auch betreiben. Olympe de Gouges starb elf Monate nach Ludwig XVI. unter der Guillotine.
2/2: Marie Antoinette sprach von Kuchen, Louis vom Croissant
Die Kunsthistorikerin Katrin Weleda macht in ihrem jüngst publizierten Aufsatz "Zur politischen Ikonographie der Guillotinenklinge" (in: Beyer & Cassegrain [Hg.]: Mouvement. Bewegung. Über die dynamischen Potenziale der Kunst, 2015, S. 109-122) – im Kern einer Auseinandersetzung mit dem Werk "Four Guillotine Blades" des britischen Künstlers Ian Hamilton Finlay – unter anderem auf einen weiteren bösen Scherz des französischen Justizinstruments aufmerksam: Nach der vom aufgeklärten Abgeordneten Joseph-Ignace Guillotin angeregten Humanisierung und Egalisierung des Strafvollzugs, wurde die technische Gestaltung der Fallschwertmaschine diskutiert.
Zu entscheiden war zuletzt, ob die Klinge eine gerade, abgeschrägte Form haben sollte oder eher rundaxtförmig gestaltet werden sollte. Der Monarch, den man sich gern in einer etwas George-W.-Bush-artigen Einfalt vorstellen mag, war anerkanntermaßen handwerklich begabt und soll in der Regierungsdiskussion um das Instrument Bedenken gegen die runde Form der Klinge geäußert haben. Ludwig nannte die Form "croissant". Dass des Ex-Königs Kopf unter einer abgeschrägten Klinge fiel, soll mithin auf Ludwigs Effizienzbedenken gegen das Croissant-Messer zurückzuführen sein.
Ob man das nun unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung des Gesetzgebers für seine Entscheidungen bewerten möchte, ist sicher eine Frage des individuellen Geschmacks.
Kosten- und Praktikabilitätserwägungen zur Guillotine
Katrin Weleda referiert in ihrem kunsthistorischen Aufsatz auch die kurz die Gesetzgebungsgeschichte. Die Einführung der später populär so genannten Guillotine war wohl gar nicht so sehr auf den Abgeordneten und Mediziner Joseph-Ignace Guillotin zurückzuführen, als auf Kosten- und Praktikabilitätserwägungen des wichtigsten französischen Henkers, Charles-Henri Sanson (1739-1806), der darauf hinwies, dass ein gewöhnliches Richtschwert, das von Hand geführt ohnehin unsichere Erfolge versprach, nach dem Einsatz zunächst aufwändig geschärft werden müsse. Im Übrigen koste das gewöhnliche Richtschwert des Henkers von Paris jeweils 600 Livres (Gegenwert von vielleicht sechs Reitpferden).
Die Ausführung der "Guillotine" ging schließlich auf Konstruktionspläne des Mediziners Antoine Louis (1723-1792) und des deutschen Klavierbauers Tobias Schmidt (1768-1821) zurück.
Menschenfreund wird Namensgeber der Tötungsmaschine
Schmidt soll durch die Nachfrage der französischen Justizvollzugsbehörden zu einigem Wohlstand gekommen sein. Antoine Louis erfreute sich kurz der Ehre, Namensgeber der Maschine zu sein.
Durchgesetzt hat sich allerdings die Bezeichnung nach dem Mediziner, Freimaurer, Revolutionär und Abgeordneten Joseph-Ignace Guillotin. Diesem aufgeklärten Arzt war dieser Ruhm gar nicht recht, seine Familie sollte später einen anderen Namen annehmen. Eigentlich kommt Guillotin (1739-1814) die Ehre zu, wesentlich zur Verbreitung der umstrittenen Pockenschutzimpfung beigetragen, sogar den Papst in Rom zur Unterstützung der modernen Impftechnik veranlasst zu haben.
Als Namensgeber einer – im revolutionären Frankreich wie im nationalsozialistischen Deutschland – zur Terrorjustiz eingesetzten Hinrichtungsmaschine musste ausgerechnet ein menschenfreundlicher Vertreter der Aufklärungsphilosophie herhalten. Eine vertrauensbildende Maßnahme in den Wert der Aufklärung kann man darin kaum erkennen.
Mehr Geisterstunden in StGB-AT-Vorlesungen
Die Aufklärungsphilosophie hat es, nicht zuletzt unter Juristinnen und Juristen, seit Jahren schwer. Beispielsweise muss die Erfindung eines anderen großen Aufklärers, des Philosophen und Juristen Jeremy Bentham (1748-1832) immer wieder als Beleg für einen totalitären Zug dieser europäischen Geistestradition herhalten: das panoptische Gefängnis, das es einem zentralen Überwacher erlauben soll, alle Insassen der Haftanstalt zu kontrollieren, ohne dabei selbst unter Aufsicht zu stehen. Benthams Panoptikum galt dem umstrittenen französischen Professor Michel Foucault (1926-1984) als Modell eines totalitären Zugs in der modernen Gesellschaft – vieltausendfach ist diese Auffassung auch an (rechts-) soziologischen und kriminologischen Lehrstühlen reproduziert und sehr populär geworden.
Das führt uns zurück zu der langweiligen Vorlesung zum "StGB AT", zum allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, in der die Universitätsinsassinnen und -insassen lieber über US-Gespensterserien schwatzten, als dem altliberalen Professor zu lauschen: Im Gesetz niedergeschriebene oder von der Strafrechtswissenschaft vorausgesetzte Lehren von Kausalität, der Grundsatz "nulla poena sine lege" in allen Ausprägungen, Öffentlichkeit und Rationalitätsanspruch des Verfahrens und sogar die äußere Gestalt des Gesetzes selbst – das berüchtigte Vor-die-Klammer-Ziehen - hat man sich von den "de more geometrico" denkenden Philosophen, beispielsweise Thomas Hobbes und Baruch de Spinoza, abgeschaut: Alles das ist pure Form, reiner Inhalt der guten alten Aufklärungsphilosophie – ihrer guten, nicht dämonischen Seite. Wer heute juristische Kausalitätskonzepte wiederkäut, verbannt oft ungeahnt Hexerei-Vorwürfe, zur Zeit der Aufklärung noch juristisches Folter- und Tötungsgeschäft, effektiv ins Reich der Märchen.
Vielleicht sollte man die Schauergeschichte von der Guillotine am Rande von Strafrechtsvorlesungen erzählen, damit Grauen und gute Seiten einer wertvollen Philosophie zu Tage treten – und nicht allein die Geistermärchen der US-Populärkultur und des Professors Foucault?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Das Grauen, die Philosophie und die Guillotine: Echte Schauergeschichten statt Game of Thrones . In: Legal Tribune Online, 03.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15416/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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