OVG zum Jurastudenten nach Jugendstrafe

Trotz Gefäng­nis­s­trafe ins Refe­ren­da­riat?

von Markus SehlLesedauer: 5 Minuten

Einem Berliner Jurastudenten gelingt aus dem Gefängnis heraus ein Prädikatsexamen – ins Referendariat darf er aber nicht, so will es jedenfalls das Land. Das OVG sah das nun anders. Wer verdient eine zweite Chance?

Bevor er sein erstes juristisches Staatsexamen ablegen konnte, war ein Jurastudent aus der Jugendstrafanstalt Berlin in den offenen Vollzug verlegt worden. Für die Prüfungen brauchte der damals 23-Jährige Sonderurlaub. Schließlich legte er 2017 erfolgreich ein Prädikatsexamen hin. Der Weg zum Anwalt, Richter oder Staatsanwalt stand ihm damit auf dem Papier offen. 

Im Sommer 2018 bewarb er sich zwar für den juristischen Vorbereitungsdienst, seine Bewerbung wies das Kammergericht (KG) in Berlin aber zurück. Die Begründung: Zuerst müsse seine Bewährungszeit verstreichen. 2015 hatte das Landgericht Saarbrücken den Mann wegen Betrugs in 144 Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und dann im Juli 2017 das Landgericht Berlin wegen Urkundenfälschung in 170 Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Anfang 2018 war die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Gegen die Absage seitens des KG klagte der Mann daraufhin beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin und beantragte Eilrechtsschutz. Er wollte so schnell wie möglich in den Kreis der Bewerber aufgenommen werden, in Berlin sind die Referendariats-Plätze nämlich heiß begehrt, die Wartezeit beträgt rund eineinhalb Jahre.

Nach § 20 Abs. 3 Nr. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen im Land Berlin (JAO) kann die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst aber versagt werden, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist - also eine Ermessensentscheidung der Behörde. Diese Voraussetzungen sah das VG Berlin in seinem Beschluss vom 17. Juli 2019 (Az. 7 L 221.19) als erfüllt an und wies den Antrag des Mannes zurück. 

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OVG: "Jugendstrafe ist nicht Freiheitsstrafe"

Der gab nicht auf und legte Beschwerde beim OVG Berlin-Brandenburg ein. Das sieht den Fall jedenfalls nicht so eindeutig wie das VG und gab der Beschwerde statt (Beschl. v. 12.11.2019, Az. 4 S 51.19). Die Entscheidung wurde erst kürzlich veröffentlicht. 

Zwar sei in der einschlägigen Vorschrift die Rede von "Freiheitsstrafe", eine Jugendstrafe sei aber etwas anderes, so die OVG-Richter. "Jugendstrafe ist nicht Freiheitsstrafe", heißt es in dem Beschluss. Die Jugendstrafe sei zwar auch eine Form des Freiheitsentzugs, aber eben eine besondere nach Jugendgerichtsgesetz. Das OVG befand, die Begründung der Vorinstanz beruhe auf der "haltlosen Anwendung von § 20 Abs. 3 Nr. 2 JAO". Sie verwiesen den Fall zur erneuten Beurteilung zurück.

Wie sehr das OVG-Urteil die Chancen des Berliner Juraabsolventen tatsächlich verbessern wird, ist fraglich. Nach Informationen von LTO sitzt er seit Herbst vergangenen Jahres wieder in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: erneut Betrug und Urkundenfälschung. Die Entscheidung zieht aber mittlerweile noch ganz andere Konsequenzen nach sich.

Berlin reagiert: Strengere Regeln für Zugang zum Referendariat

So hat der Fall offenbar auch die Berliner Justizverwaltung zum Handeln veranlasst. Sie plant, den Zugang zum Referendariat strenger zu regeln. Ein Sprecher des Justizsenators teilte auf Anfrage mit, es gäbe Pläne, das Juristenausbildungsgesetz zu ändern. Wer wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, soll regelmäßig nicht mehr ins Referendariat eingestellt werden. Das ist eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Ermessensregelung. 

Eine Senatsvorlage dazu gäbe es allerdings noch nicht, hieß es. Dass das Verfahren des jungen Berliner Jurastudenten der Anlass für diese Änderungspläne ist, wollte die Senatsverwaltung nicht kommentieren. Wie zwischen Jugendstrafe und Freiheitsstrafe in Zukunft unterschieden werden soll, dazu teilte die Senatsverwaltung nichts mit.

Auch zu dem konkreten Fall wollte sich der Sprecher mit Verweis auf das noch laufende Gerichtsverfahren nicht äußern. Das KG, zuständig für das Referendariat, wollte sich aus dem gleichen Grund auf Nachfrage von LTO nicht zu dem Fall äußern.

Für Wolfgang Spoerr, Partner bei der Kanzlei Hengeler Mueller, ist die OVG-Entscheidung ein juristischer Erfolg. Spoerr hatte pro bono das Mandat übernommen, für ihn steht vor allem der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund. "Wir sollten über jeden froh sein, der diese Ausbildung meistert, und ihm dann nicht auch noch langfristig bei seiner Resozialisierung Steine in den Weg legen", so Spoerr. "Es muss eine Perspektive geben", das sei ein zentraler Gedanke gerade des Jugendstrafrechts. 

Für Julian Knop von der Initiative "Tatort Zukunft", die an der Freien Universität Berlin Projekte mit und für Gefangene entwickelt, steht der Fall in einem größeren Zusammenhang. "Die Situation hinsichtlich der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst in Deutschland ist ein Flickenteppich."

Worauf Knop anspielt: In vielen Bundesländern ist für denjenigen, der wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, der Weg ins Referendariat erst einmal versperrt. Zwischen Jugendstrafe und Freiheitsstrafe unterscheiden die Vorschriften nicht. Vorbild war für die meisten Länderregelungen offenbar das Beamtenrecht. Nach § 24 Beamtenstatusgesetz verliert ein Staatsdiener seinen Beamtenstatus, wenn er wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird.

Wann sollten verurteile Jura-Absolventen eine zweite Chance bekommen?

Wie lange die Sperre gegen straffällig gewordene Jura-Absolventen wirkt, unterscheidet sich in den Ländern allerdings. In Berlin oder Baden-Württemberg zum Beispiel kann die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat den Zugang zum Referendariat dauerhaft sperren, in anderen Ländern wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen kommt es darauf an, ab wann die Strafe im Führungszeugnis nicht mehr auftaucht oder im Bundeszentralregister getilgt ist - also bis zu zehn Jahre nach der Tat.

In den strengen Regelungen der Länder spiegeln sich für den Kriminologen Knop "widersprüchliche Signale". Er sagt: "Der gleiche Staat, der sich einerseits Resozialisierung als das Ziel des Strafvollzugs auf die Fahnen schreibt, signalisiert in gewisser Weise durch seine Regelungen anderseits, dass er nicht wirklich daran glaubt, dass sich ehemalige Straftäter tatsächlich ändern können."

In den USA sei die Diskussion schon viel weiter, sagt Knop, der in New York City für eine NGO beim Jugendstrafvollzug mitgearbeitet hat. Er erinnert an bekannte US-Anwälte wie Tarra Simmons oder Shon Hopwood, mittlerweile Professor an der Georgetown University, die beide vor ihren juristischen Karrieren im Gefängnis saßen. Es gebe sogar spezielle Förderprogramme wie an der New York University, die ehemals inhaftierte Menschen durch finanzielle Unterstützung in ihren juristischen Ausbildungswegen unterstützen.

"Meines Erachtens sollte die Grundannahme sein, dass Menschen unabhängig von ihren früheren Verurteilungen ein Referendariat aufnehmen können", meint Kriminologe Knop und warnt vor einer pauschalen Regelung: "Ein Ausschluss und die damit einhergehende Erschwerung sozialer Integration sollte nur dann stattfinden, wenn der Staat oder die Referendariatsstationen konkrete, aktuelle, nicht-spekulative sowie individualisierte Gründe für den Ausschluss artikulieren können."
 

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