Nach Safe Harbor funktioniert Datentransfer aktuell mit Standardvertragsklauseln. Wie lange noch? Außerdem in der Presseschau: kein Wahlrecht für Minderjährige, erste Mindestlohn-Entscheidung des BAG und falscher Zeitpunkt für Leidenschaft.
Thema des Tages
Standardvertragsklauseln: Nach der Safe Harbor-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Oktober sind zahlreiche Unternehmen dazu übergangen, Datentransfers in die USA auf der Grundlage sogenannter Standardvertragsklauseln abzuwickeln. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Praxis werde nun der irischen Datenschutzbehörde betrieben, meldet zeit.de. Es sei davon auszugehen, dass auch diese Angelegenheit an den EuGH verwiesen werde. netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) berichtet hierzu ebenfalls in einem Beitrag, dessen Schwerpunkt aber eine nicht-bindende Resolution des EU-Parlaments, in der datenschutzrechtliche Nachbesserungen beim Safe Harbor-Nachfolger, dem geplanten Privacy-Shield-Abkommen, gefordert werden.
Rechtspolitik
Integrationsgesetz: Über den am Mittwoch von der Regierungskoalition beschlossenen Entwurf eines Integrationsgesetzes für Flüchtlinge berichtet unter anderem die Donnerstags-taz (Daniel Bax), die wichtigsten Punkte fasst faz.net zusammen. Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält die in einem Kommentar die im Entwurf verwendete, "aus den Hartz-Reformen bekannte Sozialtechnik des Förderns und Forderns" für angemessen. Integration bleibe jedoch Illusion, wenn sie nur als staatliche Aufgabe verstanden werde. Daneben seien auch die Bürger des Aufnahmelandes gefordert, "die Fremden als ihre Nächsten anzunehmen".
CETA: Ein im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung erstelltes Gutachten des Europarechtlers Martin Nettesheim kommt zu dem Schluss, dass das geplante Freihandelsabkommen CETA den politischen Gestaltungsspielraum für Länder und Gemeinden "nicht unberührt" lässt. Genau dies sei aber die Bedingung für die Zustimmung des Landes im Bundesrat gewesen, schreibt die Freitags-taz (Malte Kreutzfeldt). Das bereits zu Jahresbeginn fertiggestellte Gutachten sei bislang zurückgehalten worden. Ein weiterer Beitrag der Freitags-taz (Anja Krüger) legt dar, dass nach Ansicht von Kritikern durch den Abschluss von CETA der bei den Verhandlungen zum TTIP-Abkommen umstrittene Investitionsschutz "durch die Hintertür" eingeführt werden könnte. Denn könnten sich US-Firmen über kanadische Niederlassungen des bei CETA vorgesehenen Investitionsschutzes bedienen.
Online-Verbraucherschutz: Die EU-Kommission will mit mehreren Maßnahmen den Verbraucherschutz im Online-Handel verbessern. Rechtsanwalt Niko Härting unternimmt auf lto.de eine kritischen Würdigung des unter dem Schlagwort "Digital Single Markets" vorgestellten Maßnahmenpakets.
Justiz
EuGH – Zauberwürfel: Mittlerweile vor dem Europäischen Gerichtshof betreibt ein deutscher Spielzeughersteller sein Anliegen, die Markeneintragung des sogenannten Rubiks Cube oder auch Zauberwürfel für nichtig erklären zu lassen. Die am Mittwoch erfolgten Schlussanträgen des Generalanwalts Maciej Szpunar haben die Erfolgsaussichten beträchtlich erhöht, schreibt Rechtsanwältin Nadja Siebertz auf lto.de. Der Beitrag geht vertieft auf die rechtliche Ausgangssituation einschließlich des Unterschieds von Marken- und Patentschutz ein.
EuGH – Deutsche Bahn: Im Verfahren über mögliche Quersubventionen bei der Deutschen Bahn vor dem Europäischen Gerichtshof hat Generalanwalt Sanchez-Bordona in seinen Schlussanträgen fehlende Transparenz bei der Bilanzierung verschiedener Unternehmensteile gerügt. Ein "bloßer Verdacht" reiche nach Einschätzung des Generalanwalts dagegen nicht für die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik aus. Die Freitags-taz (Christian Rath) berichtet.
BVerfG zu Minderjährigenwahlrecht: Als unzulässig hat das Bundesverfassungsgericht eine Wahlprüfungsbeschwerde abgewiesen, die sich gegen die Festlegung des Wahlalters auf 18 Jahre richtete. Der entsprechende Grundgesetzartikel sei "verfassungswidriges Verfassungsrecht", weil im Widerspruch zum "Grundrecht auf Demokratie" stehend, gibt die Freitags-taz (Christian Rath) die Argumentation der Beschwerdeführer wieder. Nach Ansicht des Gerichts habe der Verfassungsgeber mit der Festlegung das Demokratieprinzip modifiziert, dies zu ändern, falle nicht in den Aufgabenbereich des Gerichts.
BVerfG zu Auslieferungsersuchen: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer einstweiligen Anordnung vom 6. Mai die Auslieferung eines in Großbritannien wegen Mordes verdächtigen kroatischen Staatsbürgers vorerst gestoppt. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Kilian Wegner (juwiss.de) erklärt Sachverhalt, rechtliche Probleme und europarechtliche Implikationen der Entscheidung.
BAG zu Mindestlohnberechnung: Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sind zumindest dann als Arbeitslohn zu behandeln und auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar, wenn sie vorbehaltlos und unwiderruflich gezahlt werden. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in seiner ersten Entscheidung zum seit 2015 geltenden Mindestlohn am Mittwoch. Der unterlegenen Klägerin wurden die Zulagen monatlich ausgezahlt. Weil sie zumindest auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistungen darstellten, seien sie zu ihrem Nachteil zu berücksichtigen, schreibt Rechtsanwalt Jochen Keilich auf lto.de. Über die Entscheidung berichten auch Donnerstags-taz (Christian Rath) und SZ (Detlef Esslinger).
Hendrik Wieduwilt (FAZ) begrüßt das Urteil in einem Kommentar als "ein Stück weit Selbstverständlichkeit". Denn komme es im Zivilrecht grundsätzlich nicht auf die von den Parteien gewählten Bezeichnungen an, solange man sich über den Inhalt der Einigung einig sei. Dies bekämen juristische Erstsemester über den sogenannten Haakjöringsköd-Fall vermittelt.
BSG – Krankenkassen: Nach Bericht des Freitags-Hbl (Peter Thelen) steht ein Urteil des Bundessozialgerichts zur Frage der Zulässigkeit sogenannter Gruppenversicherungsverträge bei Auslandsversicherungen unmittelbar bevor. Sollte sich das Gericht den negativen Entscheidungen der Vorinstanzen anschließen, wäre dies "ein weiterer Fall höchstrichterlich dokumentierter Ungleichbehandlung", wie sie sich auch bei Rückstellungen für die betriebliche Altersversorgung zeige. Deren Bedingungen hingen davon ab, ob die jeweilige Kasse der Bundes-, oder einer Landesaufsicht unterliege.
LG München I zu Korruption: Ende 2015 verurteilte das Landgericht München I einen früheren Manager des Waffenhersteller Krauss-Maffei Wegmann wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Waffenverkäufen nach Griechenland. Der SZ (Klaus Ott) liegt das noch nicht rechtskräftige Urteil nun vor. Es schildere auch die Beteiligung von SPD-Politikern, denen für die Vermittlung des Geschäfts Honorare geleistet worden sein sollen. In dieser Angelegenheit ermittle auch immer noch die Staatsanwaltschaft München I.
LG Braunschweig – Abgas-Affäre: Das Landgericht Braunschweig hat in einer Erklärung am Mittwoch angekündigt, in dem Verfahren zur Abgas-Affäre von VW in Kürze Feststellungsanträge veröffentlichen zu wollen. Über diese würde entsprechend der Bestimmungen des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom Oberlandesgericht Braunschweig entschieden werden, schreibt lto.de.
LG Berlin zu KaDeWe-Überfall: Nach einem spektakulären Überfall auf die Schmuckabteilung des Berliner KaDeWe Ende 2014 hat das Landgericht Berlin am Mittwoch den Hauptangeklagten zu sechs Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Die Donnerstags-taz (Plutonia Plarre) berichtet.
StA Dresden – Frauke Petry: Wegen möglichen Meineides und uneidlicher Falschaussage bei Aussagen vor dem sächsischen Wahlprüfungsausschuss hat die Staatsanwaltschaft Dresden nun doch Ermittlungen gegen die AfD-Vorsitzende Frauke Petry aufgenommen. Noch am Anfang des Monats war die Anklagebehörde zu der Einschätzung gelangt, dass der Ausschuss "keine zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle" sei, meldet lto.de. Diese Entscheidung wurde von der Generalstaatsanwaltschaft aufgehoben.
Recht in der Welt
Griechenland – Flüchtlinge: Flüchtlinge, die sich in Griechenland gerichtlich gegen eine Abschiebung in die Türkei auf Grundlage des jüngst geschlossenen Abkommens mit der EU wehren, haben nach dem Bericht der SZ (Mike Szymanski) gute Erfolgsaussichten. In allen 14 bislang bekanntgewordenen zweitinstanzlichen Entscheidungen hätten klagende Flüchtlinge obsiegt.
USA – SolarWorld: Nach dem Bericht des Donnerstags-Hbl (Franz Hubik) bedroht ein in den USA bevorstehendes Urteil den Fortbestand des größten deutschen Solarmodulherstellers SolarWorld. Ein US-amerikanischer Zulieferer fordert vom Unternehmen wegen angeblich nicht eingehaltener Vereinbarungen gut 770 Millionen Dollar. Prozessbeobachter schätzten die Erfolgsaussichten als hoch ein. SolarWorld selbst habe keine relevanten Rücklagen gebildet.
USA – Bill Cosby: Auch die SZ (Jürgen Schmieder) berichtet nun in einer Reportage über die am Dienstag gefällte Entscheidung eines US-amerikanischen Gerichts, eine Anklage gegen den Komiker Bill Cosby wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs zuzulassen.
Kolumbien – Friedensabkommen: In Kolumbien steht der Abschluss eines Friedensabkommens zwischen der Regierung und der Guerillaformation FARC bevor. Das Abkommen soll nach dem Willen der Regierung Verfassungsrang erhalten. Über die damit zusammenhängenden rechtlichen und politischen Probleme informiert Jurastudent Hans Hosten auf verfassungsblog.de.
Sonstiges
Verfassungsfeind: In einen Gastbeitrag für das Feuilleton der SZ untersucht Florian Meinel, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Herkunft, Bedeutungswandel und Inhalt der speziell deutschen Begrifflichkeit des Verfassungsfeindes. Während der Begriff verfassungsrechtlich eng umrissen sei, zeichne er sich in politischer Hinsicht durch Unschärfe aus.
Arbeitsrecht und Plattform-Ökonomie: Online-Plattformen wie Uber oder Lieferheld bieten Verbrauchern neuartige Konsumgelegenheiten. Die arbeitsrechtliche Einordnung dieser Dienstleistungserbringer bietet gleichfalls neue Herausforderungen. Diplom-Jurist Nico Kuhlmann stellt auf lto.de Probleme und Lösungsmöglichkeiten vor.
Versicherungsombudsmann: Das Donnerstags-Hbl (Frank M. Drost, Online-Version) stellt Aufgaben und Funktion des Versicherungsombudsmanns vor. Das Amt wird aktuell vom früheren Präsidenten des Bundesgerichtshofs, Günter Hirsch, ausgeübt.
Das Letzte zum Schluss
Erwischt: Den falschen Ort und die falsche Zeit für die Freuden der Liebe suchte sich nach einer Meldung der SZ eine Frau aus Zweibrücken aus. Offenbar lautstark vergnügte sie sich in einem Park, woraufhin Nachbarn die Polizei alarmierten. Die stellte dann fest, dass die Frau zu einer Haftstrafe verurteilt worden war und brachten sie ins Gefängnis.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. bis 27. Mai 2016: Standardvertragsklauseln / Minderjährigenwahlrecht / Mindestlohnberech . In: Legal Tribune Online, 27.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19424/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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