Die Innenministerkonferenz könnte den Staatsangehörigkeitsentzug bei "Doppelstaatler-Dschihaddisten" fordern. Außerdem in der Presseschau: Warum Haustüren nachts nicht abgeschlossen werden müssen und eine Kusshand den StA ärgert.
Thema des Tages
Verlust der Staatsangehörigkeit: Die Beschlussvorschläge der Innenministerkonferenz enthalten laut SZ (S. Braun/G. Mascolo) einen Vorschlag zum Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit von Dschihadisten mit doppelter Staatsbürgerschaft. Dem Vorschlag liegt ein Bericht des Bundesinnenministeriums zugrunde, nach dem "die Teilnahme an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen in Krisengebieten" verfassungs-, europa- und völkerrechtlich zulässiger Anknüpfungspunkt für die Maßnahme sein könnte.
Heribert Prantl (SZ) hält das Vorhaben für "weitgehend unpraktikabel" aber auch verfassungswidrig. "Die Doppelstaatsbürgerschaft ist keine Staatsbürgerschaf minderer Klasse." Sie dürfe ebenso wenig entzogen werden wie die einfache.
Rechtspolitik
Suizidhilfe: Rechtsprofessor Christian Hillgruber begründet in der FAZ, warum er ein strafrechtliches Verbot von Beihilfe und Anstiftung zum Suizid für verfassungsgemäß hält – wobei es deshalb noch nicht zwingend einer Strafbewehrung bedürfe. Der Suizidant dürfe sein Leben für nicht mehr lebenswert halten, wer ihm aber helfe, schließe sich dieser Wertung an. Das Leben eines Anderen als nicht mehr lebenswert zu behandeln, verstoße gegen die Menschenwürde und sei daher von der Rechtsordnung missbilligt.
Pkw-Maut: Rechtsanwalt Bernhard Müller legt in der FAZ dar, warum er die Pkw-Maut nicht für unionsrechtswidrig hält. Deutsche Autofahrer leisteten derzeit bereits über die Kfz-Steuer einen Beitrag zur Verkehrsinfrastruktur, ausländische Autofahrer würden also durch die Maut nur ebenfalls zur Kasse gebeten. Außerdem zeigt er der deutschen Regelung ähnliche Kompensationsmechanismen nach österreichischen Recht auf – unter anderem eine erhöhte Pendlerpauschale und der für alle geltende sogenannte "Verkehrsabsetzbetrag".
Justiz
EuGH zu Landesfördermittelkürzung: Die EU-Kommission hatte mit Bescheid von 2008 Fördermittel aus dem Regionalfond für Berlin und Thüringen für die Jahre 1994 bis 1999 gekürzt. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass die Kürzungen wegen ihrer spürbaren Auswirkungen auf den Haushalt hätten vorhersehbar sein müssen. Die Kommission hatte aber eine gesetzliche Frist verstreichen lassen und muss die von den Ländern zurückgezahlten Beträge nun ihrerseits zurückzahlen, meldet lto.de.
BFH zu vergessenen Einträgen: Wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, die die Steuer mindern, ist der entsprechende Steuerbescheid nach § 173 der Abgabenordnung zu ändern, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden trifft. Der Bundesfinanzhof hat nun entschieden, dass kein grobes Verschulden vorliegt, wenn die Eintragung eines steuermindernden Verlustes in die elektronische Steuererklärung schlicht vergessen wurde. Dies meldet lto.de.
BGH zu Urheberrecht: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar hin. Für die Verjährung sei danach eine Urheberrechtsverletzung durch Veröffentlichung als Dauerhandlung in Tage aufzuspalten. Hinsichtlich des nach regelmäßiger Frist verjährten Teils sei weiterhin eine fiktive Lizenzgebühr nach § 102 Satz 2 Urheberrechtsgesetz in Verbindung mit § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Gebrauchsvorteil zu zahlen. Der nicht verjährte Schaden könne bis zu 100 Prozent der Lizenzgebühr als Aufschlag betragen.
BGH – Fall Tuğçe: Wie spiegel.de meldet, hat Sanel M. über seine Verteidigung Revision gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt zum Bundesgerichtshof eingelegt.
LG Frankfurt zu nächtlichem Haustürabschließen: Weil es im Gefahrenfall Menschenleben aufs Spiel setzen kann, ist ein Gebot, die Haustüre nachts abzuschließen nicht wirksam. Das entschied das Landgericht Frankfurt laut lawblog.de (Udo Vetter). Die erhöhte Sicherheit wiege weniger schwer und könne durch Verschlusssysteme, die ein Öffnen der Tür von innen ohne Schlüssel ermöglichen, gewährleistet werden.
VG Berlin – IFG-Ansprüche über internationalen Verhandlungen: Markus Beckedahl (netzpolitik.org) berichtet, dass am nächsten Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Berlin die Verhandlung zu seiner Klage gegen die Bundesregierung stattfindet. Er fordert Informationen über die mittlerweile vergangenen Verhandlungen zu ACTA nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Relevanz habe das Verfahren aber im Ergebnis auch für andere Vertragsverhandlungen wie etwa TTIP.
OLG Düsseldorf zu Terrorunterstützerin: Weil sie dem Islamischen Staat mindestens 5.000 Euro und Sachleistungen zukommen ließ, verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf eine 26-Jährige zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Das melden die SZ und spiegel.de. Die taz (Sabine am Orde) berichtet ausführlich von dieser ersten Verurteilung einer Frau wegen Unterstützung des IS.
LAG Berlin zu Charité-Streik: Das Landesarbeitsgericht Berlin hat letztgültig entschieden, dass die seit Montag laufende unbefristete Arbeitsniederlegung des Pflegepersonals der Berliner Charité nicht unverhältnismäßig und daher weiterhin zulässig ist. Die bestehende Notfallvereinbarung sei ausreichend, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Das meldet spiegel.de.
EuGH/BVerfG – OMT-Programm: Rechtsprofessor Paul Kirchhoff äußert sich in der FAZ zur OMT-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Er sieht die Herrschaft des Rechts und das Prinzip demokratischer Ermächtigung in Gefahr, wenn der EuGH dem Prinzip der Selbstermächtigung zuneige. Das BVerfG sei mit dem von ihm vertretenen Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung "eines der wenigen sturmtauglichen Rettungsbote" in der Krise, mit dem Recht als "Haltemast".
OLG München – NSU Prozess: Am gestrigen Mittwoch hat der damalige Vorgesetzte des ehemaligen Mitarbeiters T. des hessischen Verfassungsschutzes ausgesagt. T. soll sich vor oder während der mutmaßlich durch den NSU verübten Tötung Halit Yogats in Kassel am Tatort aufgehalten haben. spiegel.de (Björn Hengst) berichtet.
EuGH – BAG-Vorlage zu arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln: Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 17. Juni dem Europäischen Gerichtshof eine Vorlagefrage zur Auswirkung des Alemo-Herron-Urteils des EuGH auf die neuere Rechtsprechung des BAG zu sogenannten Verweisungsklauseln bei Betriebsübergang auf einen Erwerber, der an andere Tarifverträge gebunden ist als der Veräußerer, vorgelegt. blog.beck.de (Christian Rolfs) erklärt beide Rechtsprechungen und die Bedeutung der Vorlagefrage.
VG Berlin zu Taxentarifverordnung: Seit Mai verpflichtet die Berliner Taxentarifverordnung Taxiunternehmer Kreditkartenzahlungen zu ermöglichen. In Eilentscheidungen befand das Verwaltungsgericht Berlin die Verordnung nun für rechtmäßig, berichten FAZ (Mechthild Küpper) und lto.de.
ArbG Bonn – Beamte als Streikbrecher: Ver.di hat beim Arbeitsgericht Bonn erneut Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Deutsche Post eingereicht, wegen des Einsatzes von Beamten als Streikbrecher. Auf den letzten Antrag hatte das Gericht entschieden, der Einsatz sei zulässig solange die Beamten einverstanden seien. Ver.di gibt an, mit eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft machen zu können, dass es an diesem Einverständnis fehle, berichtet die FAZ (Helmut Bünder).
Recht in der Welt
EU – Netzneutralität: Aus einem Papier aus den Trilog-Verhandlungen geht laut taz (Svenja Bergt) hervor, dass es wohl keine unionsrechtliche Verankerung des Prinzips der Netzneutralität geben wird. Svenja Bergt (taz) meint, dass es in der Demokratie wichtig ist, alle Daten gleich zu behandeln und zu verhindern, dass in Zukunft Daten hinter denen große Geldbeutel stehen bevorzugt durch die Netze geleitet werden.
Südafrika – IStGH/Omar al-Bashir: Ein südafrikanisches Gericht hat am gestrigen Mittwoch bestätigt, das der sudanesische Präsident al-Bashir in Südafrika keine Immunität genoss, als ihn die Regierung entgegen eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs ausreisen ließ. Die Staatsanwaltschaft wurde aufgefordert Ermittlungen gegen die Regierung aufzunehmen, wie die taz (Martina Schwikowski) berichtet. Kritik am IStGH kommt nicht nur aus der Regierungspartei, aber national relevant ist, dass die Entscheidung des südafrikanischen Gerichts al-Bashir festzuhalten ignoriert wurde.
Frankreich – Geheimdienstgesetz: Die französische Nationalversammlung hat mit großer Mehrheit für das umstrittene Gesetz zur Stärkung der Geheimdienste gestimmt, berichtet zeit.de.
Sonstiges
Polizeikosten für Fußballspiel: Bremen hat zum ersten Mal die nunmehr gesetzlich vorgesehene Auferlegung von Gebühren für Polizeieinsätze bei risikoreichen Fußballspielen genutzt. Für das Derby Werder Bremen gegen den HSV wurden die Mehrkosten der Deutschen Fußball Liga in Rechnung gestellt, die sich dagegen mit allen juristischen Mitteln wehren will. Es berichten unter anderem FAZ (Reinhard Bingener) und lto.de.
Internationale Festnahmeersuchen: Wie unter anderem zeit.de und der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) berichten, soll über heikle Festnahmeersuchen – bei welchen Interpol wie bei Mansour eine mögliche politische Motivation anmerkt – zukünftig auf höherer Ebene entschieden werden. Das Bundesjustizministerium und nicht mehr das Bundesamt für Justiz soll entscheiden und auch im Auswärtigen Amt sollen höhere Hierarchieebenen involviert sein.
Freizügigkeit: IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann fordert im Handelsblatt von Luxemburg in seiner EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli ein Programm zur Förderung der Freizügigkeit in Europa. Es existierten weiterhin zu viele Hemmnisse – etwa im Sozial- und Steuerrecht und bei der Anerkennung beruflicher Qualifikationen.
Poststreik: Die Post setzt Freiwillige auch zur Sonntagsarbeit ein, um der Briefflut während des Streiks Herr zu werden. Ver.di sieht das Sonntagsarbeitsverbot verletzt und fordert behördliches Einschreiten. Rechtsprofessor Martin Löwisch begründet auf dem Handelsblatt Rechtsboard, warum das Verbot nicht gilt.
Kirchliches Arbeitsrecht – Dritter Weg: Rechtsprofessor Steffen Klumpp begründet auf lto.de, warum der streik- und tarifvertragvermeidende sogenannte Dritte Weg im kirchlichen Arbeitsrecht verfassungskonform ist. Rechtsprofessor Hartmut Kreß begründet auf lto.de mit Rechtsunsicherheiten und mangelndem Grundrechtsschutz der Beschäftigten, dass zukünftig auch für Kirchen das staatliche Arbeitsrecht gelten sollte – bei Wahrung des Tendenzschutzes.
Schlichtungsverfahren über Krankenhausvergütung: Sozialrichter Anders Leopold schreibt auf lto.de zu der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als verfassungsgemäße erkannten gesetzlichen Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens in Streitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen bis zum Wert von 2.000 Euro. Es gilt nach einer Übergangsfrist ab dem 1. September.
Das Letzte zum Schluss
Kusshand verboten? Rechtsanwalt Kolja Zaborowski (fachanwaltstrafrechtberlin.de) erzählt von einem Staatsanwalt, der die Kusshand, die der Angeklagte seiner Ehefrau im Zuschauerraum zuwarf als unzulässige Kommunikation bemängelte. Das Gericht stimmte dem zu und anschließend dem Antrag der Verteidigung auf Zulassung der Ehefrau als Beistand nach § 149 der Strafprozessordnung. Damit durfte die Ehefrau neben dem Angeklagten sitzen und sich aktiv am Prozess beteiligen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. Juni 2015: Staatsangehörigkeit weg – Haustür auf – Rechnung an DFL . In: Legal Tribune Online, 25.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15983/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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