Bundestag reformiert Parteienfinanzierung. Schafft er damit eine Lex NPD? Außerdem in der Presseschau: BGH verweigert Entschädigung für schadhafte Brustimplantate, US-Ermittler verschärfen Gangart gegenüber VW und Zeh geht verloren.
Thema des Tages
Reform der Parteienfinanzierung: Gegen die Stimmen der Grünen hat der Bundestag eine Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht, durch die verfassungsfeindliche Parteien von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen werden. Der neu formulierte Artikel 21 Abs. 3 Grundgesetz bestimmt als Voraussetzung, dass Ziele der Partei oder das Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden. Art. 21 Abs. 4 GG n.F. überträgt die Entscheidung über den Ausschluss dem Bundesverfassungsgericht, erläutert lto.de. Berichte bringen auch taz (Konrad Litschko) und zeit.de (Tilman Steffen). Experten bemängelten, dass die Hürden für eine verfassungsgerichtliche Entscheidung ähnlich hoch wie bei einem Parteiverbot seien. Vorschläge für eine Befristung hätten sich jedoch nicht durchsetzen können.
Im Leitartikel erinnert Reinhard Müller (FAZ) an die Gründe für die gescheiterten Verfahren zum Verbot der NPD. Sicherlich würde "jeder spontan zustimmen", dass die Partei keine finanzielle staatliche Förderung verdiene. Hier gesetzlich vorzugehen, beweise jedoch mangelndes Verständnis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die wehrhaft sein dürfe, aber Widersprüche aushalten müsse.
Rechtspolitik
Staatstrojaner: Den vom Bundestag beschlossenen Regelungen zur Einführung sogenannter Staatstrojaner – Programme, durch die auf die Inhalte von Rechnern, Smartphones und Tablet-PCs zugegriffen werden kann – widmet die SZ (Hakan Tanriverdi) einen vertieften Überblick, der auch ausführlich auf Kritik eingeht. In einem Interview mit dem Hbl (Dana Heide/Thomas Siegmund) wirbt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für die Neuerungen: Es könne nicht sein, dass Ermittler bei schweren Straftaten die Überwachung davon abhängig machen müssten, ob Verdächtige per SMS oder WhatsApp kommunizierten. Verschlüsselte Kommunikation sei wichtig, dürfe aber kein "Freibrief für Straftäter" sein. Weitere Themen des Gesprächs sind die Sicherheitslage vor dem G20-Treffen und die Position des Ministers zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz. In einem Kommentar bemängelt Heribert Prantl (SZ) die offenbar am Bedarf der Ermittlungsbehörden orientierten Eingriffsbefugnisse. Dass hierdurch zwangsläufig auch die Daten von Nicht-Beschuldigten betroffen werden, sei "keine lässliche Sünde", vielmehr "eine Sünde wider den Geist des Rechtsstaats" und "vorsätzlicher legislativer Murks".
Wohnungseinbruchsdiebstahl: In einem Kommentar macht Anna Biselli (netzpolitik.org) darauf aufmerksam, dass durch die gestern in erster Lesung beratene Anhebung des Strafrahmens für den Wohnungseinbruchsdiebstahl das Delikt nicht nur zum Verbrechen hochgestuft würde. Hierdurch erlangten Ermittler auch die Befugnis zum Einsatz von Vorratsdaten. Es scheine "absurd", dass dieser Eingriff in die Privatsphäre mit dem Schutz privater Aufenthaltsräume gerechtfertigt werde.
Meldepflicht: Die von der EU-Kommission vorgesehene Meldepflicht für Anwälte und Steuerberater bei "potentiell aggressiven" Steuersparmodellen mit grenzüberschreitendem Bezug wurde in "letzter Sekunde" dahingehend abgeschwächt, dass nun auch nationale Ausnahmen für Berufe mit Verschwiegenheitspflicht möglich sein sollen, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Kritik von Experten erfahre die Idee weiterhin. Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, halte etwa den Vorschlag für das Ergebnis eines "überbordenden gesetzgeberischen Willens" beim Schließen von Steuerschlupflöchern.
DNA-Spuren: Auf der Justizministerkonferenz wurde eine grundsätzliche Übereinkunft zur Erweiterung von DNA-Tests erzielt. Spurensicherungen anhand sogenannter phänotypischer Merkmale seien keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wie, gibt die Welt (Philip Kuhn) den Sprecher des rheinland-pfälzischen Justizministeriums wieder.
Entschädigung Homosexueller: Der Bundestag hat einstimmig eine Entschädigungsregelung für Homosexuelle, die nach dem früheren § 175 Strafgesetzbuch verurteilt wurden, verabschiedet. Die noch ausstehende Zustimmung des Bundesrats gelte als sicher, meldet zeit.de.
Justiz
BGH zu Brustimplantaten: Die von schadhaften Brustimplantaten einer mittlerweile insolventen französischen Firma betroffenen Frauen dürfen nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht auf eine Entschädigung hoffen. Das Gericht wies die gegen den TÜV Rheinland gerichtete Schmerzensgeldklage einer Frau ab. Den beklagten TÜV habe keine gesteigerte Kontrollpflicht getroffen, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch) über die Entscheidung. Hinweise auf minderwertige Implantate seien zu unspezifisch für die Annahme einer derartigen Pflicht gewesen. swr.de (Gigi Deppe) und BadZ (Christian Rath) berichten ebenfalls.
BVerwG zu Doktortitel: Das Bundesverwaltungsgericht hat den Entzug des Doktortitels der Historikerin Margarita Mathiopoulos bestätigt. Es entspreche der grundgesetzlich geschützten akademischen Selbstverwaltung, dass die Bestimmungen zum Entzug des Doktorgrades nicht gesetzlich, sondern in Promotionsordnungen geregelt seien, so lto.de (Hermann Horstkotte) über das Urteil.
OVG NRW zu Vorratsdatenspeicherung: Die ab dem 1. Juli geltende anlasslose Speicherpflicht für Internet- und Telefonanbieter verstößt nach rechtskräftiger Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen gegen europäisches Recht. Das OVG beruft sich auf den Europäischen Gerichtshof, der bereits im vergangenen Dezember die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Schweden und Großbritannien beanstandet hatte, so die taz (Christian Rath). Diese Entscheidung sei auch auf Deutschland anwendbar, ein Verstoß gegen die EU-Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation liege vor. Auf die Eilentscheidung könnten sich nun alle Internet- und Telefonprovider berufen.
EuGH zu Schleierfahndung: Für den verfassungsblog.de analysieren Alexander Tischbirek und Tim Wihl, wissenschaftlichen Mitarbeiter, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen in Grenznähe. Nur auf den ersten Blick erscheine das Luxemburger Urteil "selbstbewusst", in einem vergleichbaren französischen Fall aus dem Jahr 2010 hätten die Richter die Entscheidung selbst übernommen, statt sie – wie nun – an ein nationales Gericht zurückzuschieben.
EuGH zu Beweisregeln: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit nationaler Beweislasterleichterungen in Produkthaftungsfällen stellt nun auch Rechtsanwalt Boris Handorn auf lto.de vertieft dar.
BVerfG zu Kernbrennstoffsteuer: Einen kritischen Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Kernbrennstoffsteuer wirft der wissenschaftliche Mitarbeiter Jakob Hohnerlein auf juwiss.de. Bei allem Verständnis für die möglichst getreue Auslegung auch finanzverfassungsrechtlicher Bestimmungen vermisst der Autor eine gebotene gerichtliche Zurückhaltung bei der Festlegung "objektiver Kriterien für eine rundum gute Gesetzgebung".
OLG München – NSU: Auf dem Weg zur Verhandlung beim Oberlandesgericht München wurde der Beate Zschäpe transportierende Konvoi am vergangenen Mittwoch in einen Unfall verwickelt. Die Hauptangeklagte erlitt dabei eine leichte Gehirnerschütterung, berichtet sz.de (Martin Bernstein).
LG Arnsberg zu VW: Vor dem Landgericht Arnsberg obsiegte ein VW-Kunde mit seinem Anliegen, seinen mit einer manipulierten Software versehenen Wagen im Wege des Rücktritts wieder rückzuübereignen. Der Kläger habe sich auch nicht auf "unverbindliche und vage" Zusicherungen einer Nachbesserung einlassen müssen. Der beklagte Konzern hat nach Darstellung des Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) nun erstmals in einem solchen Fall auf die Einlegung der Berufung verzichtet. In bislang rund 3.500 vergleichbaren Verfahren habe es ca. 350 Urteile gegeben, von denen etwa drei Viertel zugunsten des Konzerns oder beklagter Händler ausgegangen seien.
LG Stade – Psycholyse: Der Spiegel (Bruno Schrep) beschreibt die Szenerie eines Heilpraktikerseminars in der niedersächsischen Provinz, bei dem im September 2015 die 29 Teilnehmer wegen schwerster drogenbedingter Ausfallerscheinungen notärztlich behandelt werden mussten. Der damalige Seminarleiter, ein mutmaßlicher Anhänger der umstrittenen "Psycholyse" wird sich demnächst vor dem Landgericht Stade wegen unerlaubtem Überlassen und nicht geringem Besitz von Betäubungsmitteln verantworten müssen.
LG Itzehoe zu Media-Saturn: Das Landgericht Itzehoe hat die Schadensersatzklage von Media-Saturn gegen den früheren Deutschland-Chef des Unternehmens abgewiesen und dabei erhebliche Zweifel an der Beweiswürdigung des Landgerichts Augsburg geäußert. Dieses hatte den Manager im Jahr 2012 wegen Bestechlichkeit zu einer mehrjährigen, mittlerweile bereits verbüßten Haftstrafe verurteilt. spiegel.de (Martin Mehringer) berichtet unter Bezugnahme auf einen Bericht des Manager-Magazins.
Top-Anwälte: Der US-Verlag Best Lawyers hat im Auftrag des Hbl (Volker Votsmeier) die deutschen "Top-Anwälte 2017" ermittelt und beschreibt dabei zahlreiche lukrative Auftragsfelder. Nach wie vor profitierten Großkanzleien von Übernahmedeals wie jenem von Monsanto durch Bayer. Daneben böten auch die juristische Aufarbeitung der Dieselaffäre oder des Cum-Ex-Skandals ertragreiche Mandate. Ein weiterer Beitrag des Hbl (Désirée Balthasar) beschreibt die "verzweifelte" Suche nach Wirtschaftsanwälten. Zahlreiche internationale Kanzleien drängten auf den deutschen Markt. Bei ihrer Suche nach Top-Absolventen würden sie nicht nur hohe Einstiegsgehälter, sondern auch "flexible Arbeitszeitmodelle, Start-up-Feeling und bessere Karrierechancen" bieten.
Recht in der Welt
EGMR – Polizeigewalt: Die massive Polizeigewalt gegen Demonstranten anlässlich des G8-Gipfels in Genua im Jahr 2001 ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Folter bewertet worden, meldet lto.de. Den Klägern, unter denen sich auch ein Deutscher befindet, steht damit eine Entschädigung von mehreren 10.000 Euro zu.
USA – VW: Nach Informationen der SZ (Georg Mascolo/Klaus Ott) hat die US-amerikanische Justiz fünf ehemalige Manager und Entwickler des VW-Konzerns weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Gegen die Betroffenen lägen Anklagen wegen Verschwörung zum Betrug und Verstößen gegen Umweltvorschriften vor. Es sei allerdings allerdings nicht zu erwarten, dass die Betroffenen ausgeliefert werden. Die Manager stellt ein weiterer Beitrag der SZ (Georg Mascolo/Klaus Ott) vor. Hier wird auf die Vorwürfe eingegangen und die von den USA ausgehende Fahndung mit der Situation Roman Polanskis, dem seit 1977 eine Festnahme drohe, verglichen. In einem dritten Artikel stellt die SZ (Klaus Ott) die Situation von Siemens-Managern dar, die ebenfalls durch Internationale Haftbefehle in ihrer Reisefreiheit empfindlich beschränkt seien.
USA – Herero: Vertreter der namibischen Herero und Nama haben vor einem New Yorker Gericht eine Entschädigungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Im Interview mit dem Spiegel (csc) erklärt der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), warum die von ihm geleitete Behörde für die Entscheidung über die Zustellung der Klage zuständig ist, diese aber nicht an die Bundesregierung weiterleiten wird, und äußert sich zu politischen Lösungsmöglichkeiten.
Sonstiges
Integrationsgesetz: Die im Integrationsgesetz enthaltene sogenannte 3+2-Regelung, nach der Flüchtlinge mit abgeschlossener Berufsausbildung ein zweijähriges Aufenthaltsrecht bekommen, sorgt nach Bericht der SZ (Thomas Öchsner) für Streit innerhalb der Regierungskoalition. Die Unklarheiten über die Auslegung gesetzlicher Voraussetzungen, unter denen die Regelung zur Anwendung komme, hätten auch durch Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums nicht beseitigt werden können.
Das Letzte zum Schluss
Zeh-Diebstahl: In der früheren Goldgräber-Stadt Dawson City, Kanada, sind die Trinkgewohnheiten etwas rauer, wie diese Meldung von spiegel.de beweist, gewöhnliche Kriminalität existiert trotzdem. Ein Gast der Bar im Downtown Hotel der Stadt ließ sich deren Spezialität, einen Cocktail mit eingelegter Zehe, kredenzen und im Anschluss das gute Stück mitgehen. Obwohl das Hotel Ersatzzehen besitze, fahnde es nach dem entwendeten Stück.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Juni 2017: Lex NPD / Kein Geld für Implantate / Fahndung nach VW-Mitarbeitern . In: Legal Tribune Online, 23.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23261/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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