Im Münchner NSU-Prozess lässt Beate Zschäpe Fragen des Gerichts beantworten. Außerdem in der Presseschau: Grüne wollen Richterstelle am BVerfG, Terrorismus-Verfahren nach § 89a StGB und straffreies Twitter-Folgen.
Thema des Tages
OLG München – NSU: Im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München hat die Hauptangeklagte mehr als einen Monat nach ihrer Einlassung Fragen des Gerichts beantwortet. In verlesenen Erklärungen habe sie dabei mehrere Unterstützer namentlich benannt und vor allem den Mitangeklagten Andre E. schwer belastet, schreibt die SZ (Annette Ramelsberger). Breiten Raum habe auch der Alkoholkonsum Zschäpes eingenommen, der sich während den Abwesenheiten ihrer beiden Mitbewohner gesteigert habe. Ein Wortlaut-Protokoll der von Verteidiger Hermann Borchert verlesenen Erklärung bringt spiegel.de. Die Berichte von zeit.de (Tom Sundermann) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) gehen auch auf den ersten Teil des 257. Verhandlungstages ein. Befangenheitsanträge der Verteidigung von Ralf Wohlleben unterstrichen die gereizte Stimmung im Gericht.
Rechtspolitik
Verfassungsrichter: Mit dem Erreichen der Altersgrenze Ende April steht für Bundesverfassungsrichter Herbert Landau der Abschied aus Karlsruhe bevor. Nach Informationen der SZ (Wolfgang Janisch) bereiten die Grünen eine eigene Kandidatur für den frei werdenden Posten vor. Besondere Chancen rechne sich die Partei deshalb aus, weil sie an mehr Landesregierungen als die – eigentlich vorschlagsberechtigte – CDU teilnimmt und Landaus Nachfolger vom Bundesrat gewählt wird.
Anwälte gegen Asylpaket II: Vorwiegend im Ausländerrecht tätige Anwälte haben in einem "Brandbrief" an Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im sogenannten Asylpaket II vorgesehene Maßnahmen scharf kritisiert. So verletze die erleichterte Abschiebung auch von Kranken deren Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, berichtet lto.de zum Schreiben. Zudem sei etwa im Strafrecht bereits jetzt ein verschärftes Klima gegenüber Migranten festzustellen.
Asylverfahren: Kritik an den als Teil des zweiten Asylpakets vorgesehenen beschleunigten Asylverfahren, die innerhalb einer Woche abgeschlossen werden sollen, hält Christian Rath (taz.de) in einem Kommentar praktische Bedenken entgegen. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Asylantrags betrage aktuell fünf Monate. Zielführender sei eine verbesserte Organisation des Verfahrens, durch die Hilfsorganisationen Flüchtlingen effektiv zur Seite stehen und dann gegebenenfalls ein "entschleunigtes" Verfahren verlangen können.
Aufnahmelager für Flüchtlinge: Rechtsprofessorin Anna Lübbe untersucht auf verfassungsblog.de Vorschläge zur Unterbringung von Flüchtlingen in außereuropäischen Aufnahmelagern auf ihre rechtliche und praktische Handhabbarkeit.
Obergrenze: Eine von der SZ (Stefan Ulrich) unternommene rechtliche Analyse der jüngsten Entscheidung Österreichs, eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen einzuführen, kommt zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme insoweit zulässig ist, als sie sich auf Flüchtlinge bezieht, die nach den Dublin-Regeln abgewiesen werden könnten.
Steuervermeidung: Mit zwei in der kommenden Woche vorgestellten Richtlinienentwürfen will EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici steuervermeidende Praktiken von Unternehmen verhindern. Wie das HBl (Ruth Berschens) berichtet, sollten dabei in Umsetzung eines OECD-Aktionsplans etwa die Informationspflichten gegenüber Finanzämtern erhöht werden. Bei der Verlagerung von Betriebsteilen in Länder mit niedrigeren Steuersätzen würde eine Exit-Steuer anfallen.
Justiz
EGMR zu E-Mails am Arbeitsplatz: Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der vergangenen Woche die Kündigung eines rumänischen Arbeitnehmers wegen privater Internetkommunikation am Arbeitsplatz für rechtmäßig erachtet hatte, untersucht die SZ (Catrin Gesellensetter) Auswirkungen für deutsche Arbeitnehmer.
BVerfG zu Vaterschaftsanfechtung: Die Mutter eines verstorbenen Sohnes hat keinen grundrechtlich begründeten Anspruch darauf, die von dem mittlerweile Toten angestoßene Vaterschaftsanfechtung selbst fortzusetzen. In einem Beschluss vom November führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass aus dem besonderen Schutz familiärer Bindungen im Umkehrschluss kein Recht auf Feststellung des Nichtbestehens der Verwandtschaft folge. lto.de berichtet.
BGH zu Besetzungsrüge: Der Vorsitz des 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist seit dem Ausscheiden Clemens Basdorfs im November 2014 vakant, ein Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom August des vergangenen Jahres ordnete eine neue Auswahlentscheidung an. Dieser Zustand berührt die ordnungsgemäße Besetzung des Senats jedoch nicht, wie ein BGH-Beschluss vom November, auf den blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) hinweist, klarstellt.
BVerwG zu Hochspannungsleitung: Der Bau einer Stromtrasse durch die Uckermark Richtung Berlin ist nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorläufig gestoppt. Wie die FAZ (Andreas Mihm/Joachim Jahn) schreibt, hätte das beklagte Landesamt nach Ansicht des Gerichts mehrere naturschutzrechtliche Vorgaben verletzt. Unter anderem sei die "leitungsbedingte Erhöhung des Mortalitätsrisikos" für Vögel nicht artspezifisch, sondern für sämtliche Arten pauschal bestimmt worden.
VerfGH Bayern zu Cannabis: Im Freistaat Bayern wird nach Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs kein Volksbegehren zur Legalisierung von Cannabis stattfinden. Das Begehren sei nach Ansicht des Gerichts unvereinbar mit Bundesrecht, schreibt die SZ (Dietrich Mittler). Die taz (Christian Rath) berichtet gleichfalls.
LG Frankfurt – Terrorismus: Über den Auftakt im Verfahren gegen Halil D., dem die Vorbereitung eines Anschlags auf ein Frankfurter Radrennen vorgeworfen wird, berichtet die SZ (Susanne Höll). Weil er sich weigerte, beim Eintreffen der Richter aufzustehen, erhielt der Angeklagte vom Landgericht Frankfurt/M. zunächst eine Ordnungsstrafe. Sein Verteidiger habe dagegen das Gericht aufgefordert, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage nach der Verfassungswidrigkeit des § 89a Strafgesetzbuch vorzulegen. Die Anwendung der Norm, nach der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bestraft wird, führe "in eine juristische Grauzone der Anti-Terror-Gesetze", schreibt spiegel.de (Jörg Diehl). Denn spiele sich ein wesentlicher der Tathandlung "in den Köpfen" der Betroffenen ab. In der Praxis diene die Norm zumeist dazu, Überwachungsmaßnahmen zu ermöglichen.
AG München zu Blitzer: Ein gut verstecktes Geschwindigkeitsmessgerät auf der A 9 am Münchner Ortseingang galt bislang als sichere Einnahmequelle für die bayerische Landeshauptstadt. Nach dem Bericht der SZ (Christian Rost) ist damit vorläufig Schluss. Denn habe ein in einem Bußgeldverfahren bestellter Sachverständiger festgestellt, dass die erforderlichen Quermarkierungen auf der Fahrbahn fehlen. Das Amtsgericht stelle deswegen derzeit Verfahren gegen Raser "reihenweise" ein.
Recht in der Welt
Polen – Rechtsstaatlichkeit: Die aktuellen Entwicklungen in Polen nimmt der wissenschaftliche Mitarbeiter Philip Weyand auf verfassungsblog.de zum Anlass einer dogmatischen Analyse des Verfahrens zur "nuklearen Option" einer Feststellung nach Art. 7 EU-Vertrag (EUV). Die Situation bietet nach Einschätzung des Autors die Chance, im Dialog zwischen Polen und der EU dem Begriff der Rechtsstaatlichkeit als einem der in Art. 2 EUV genannten Grundwerte "definitorische Schärfe" zu verleihen.
Ein Kommentar von Florian Hassel (SZ) konstatiert dagegen, dass Europa derzeit nur bleibe, "Warschaus Rechtsbrüche zu dokumentieren und beim Namen zu nennen". Deren Leugnungen durch polnische Politiker seien dagegen vor allem an die Wählerschaft im eigenen Land gerichtet.
Großbritannien/Russland – Litwinenko: Die Vergiftung des Kreml-Kritikers und vormaligen Geheimdienstlers Alexander Litwinenko im Jahr 2006 erfolgte "wahrscheinlich" mit Billigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zu diesem Ergebnis kommt ein nun in London vorgestellter Untersuchungsbericht. Obwohl Litwinenko zum Zeitpunkt seines Todes die britische Staatsbürgerschaft besaß, wird die erst von seiner Witwe gerichtlich erzwungene Untersuchung keine juristischen Folgen haben, schreibt die SZ (Christian Zaschke). Zum gleichen Fazit gelangt spiegel.de (Jörg Diehl). Den Gründen der bemerkenswerten Zurückhaltung der britischen Regierung geht die FAZ (Jochen Buchsteiner) in einer großen Reportage nach.
Russland – Yukos: Ein im Dezember in Kraft getretenes russisches Gesetz überträgt dem Staatsgerichtshof des Landes die Kompetenz, auf Antrag der Regierung zu entscheiden, ob Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vollstreckt werden sollen oder nicht. Als Auslöser gilt die Yukos-Entscheidung des EGMR, durch die Russland wegen der Zerschlagung des Ölkonzerns zu einem Schadensersatz von knapp zwei Milliarden Dollar verurteilt wurde. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Felix Boor (juwiss.de) analysiert diese Entscheidung und stellt sie einer vergleichbaren durch den Ständigen Schiedshof in Den Haag gegenüber.
Ecuador/Schweden – Julian Assange: Die von der schwedischen Staatsanwaltschaft beantragte Befragung des nach wie vor in der Londoner ecuadorianischen Botschaft ausharrenden Julian Assange ist aus formalen Gründen abgelehnt worden, meldet die FAZ. Ecuadorianische Beamte sollten Assange nun aber "auf Grundlage der Fragen der schwedischen Behörden" selbst zu den Vergewaltigungsvorwürfen befragen.
Sonstiges
Vermögen von Flüchtlingen: Nach Berichten über die teils mit Durchsuchungen durchgesetzte Pflicht von Flüchtlingen, Bargeld und Wertsachen ab einer gering bemessenen Obergrenze abzugeben, legt zeit.de (Simone Gaul) dar, dass die Maßnahme auf Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beruht. Analog zu Hartz IV-Empfängern hätten sich Betroffene an den Kosten ihrer Unterbringung je nach Leistungsfähigkeit zu beteiligen. Die Praxis variiere jedoch stark zwischen einzelnen Bundesländern.
Zugang der Kündigung: Für die Welt erklärt Rechtsanwalt Philipp Byers, wie der fristenauslösende Zugang einer arbeitsrechtlichen Kündigung bewerkstelligt werden kann. Beim Einwurf in den Briefkasten des betroffenen Arbeitnehmers sei der Zugang dann bewirkt, wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist, tatsächliche Kenntnisnahme ist demnach in diesem Fall nicht nötig.
Das Letzte zum Schluss
Unglück im Glück: Ein nur kurz währendes Glück war einem südkoreanischen Journalisten beschieden, dem vorgeworfen wurde, durch ein Abonnement des offiziellen nordkoreanischen Twitter-Accounts Propaganda des ideologisch so fernen Nachbarstaats zu verbreiten. Wie spiegel.de (Jörg Breithut) schreibt, war nach Ansicht des Gerichts im Folgen eines Accounts keine strafbare Handlung zu erkennen. Zum Verhängnis wurde dem Angeklagten jedoch ein Blogbeitrag aus dem Jahr 2009. In diesem habe er sich positiv über Nordkorea geäußert. Die Folge: ein Jahr Haft auf Bewährung.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Januar 2016: Zschäpe antwortet / Grüne Verfassungsrichter / Grauzone Anti-Terror-Kampf . In: Legal Tribune Online, 22.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18204/ (abgerufen am: 10.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag