Der Al-Dschazira-Journalist Ahmed Mansour wurde in Berlin festgenommen. Wird er nach Ägypten ausgeliefert? Außerdem in der Presseschau: BGH rügt Strafschärfung bei Hoeneß-Erpresser und Medienschelte bei Urteilsverkündungen.
Thema des Tages
Al-Dschazira-Journalist Mansour in Berlin festgenommen: Die Bundespolizei hat den Al-Dschazira-Journalisten Ahmed Mansour am Berliner Flughafen Tegel festgenommen, als dieser nach Doha fliegen wollte. Mansour wurde 2014 von einem Gericht in Kairo und in dessen Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt. Mansour soll laut Urteil 2011 an der Folter eines Anwalts in Kairo beteiligt gewesen sein; er selbst bestreitet die Vorwürfe. International wurde das Urteil als politisches Schauspiel kritisiert: Der Sender Al-Dschazira gehört zu den größten Kritikern des ägyptischen Regimes. Laut Mansours Anwalt liegen den deutschen Behörden eine Fahndungsnotiz sowie ein Auslieferungsbegehren vor. Das Berliner Kammergericht wird wohl über den Auslieferungshaftbefehl entscheiden. Die politische Entscheidung darüber, ob wirklich ausgeliefert wird, würde letztlich die Bundesregierung treffen. Es berichten unter anderem die Montags-FAZ (Günter Bannas/Markus Bickel), die Montags-taz (Karim El-Gawhary) und die Montags-SZ (Ronen Steinke).
Ronen Steinke (Montags-SZ) meint in einem gesonderten Kommentar: "Der Journalist wurde in Auslieferungshaft genommen, so als sei Ägyptens hoch politisierte Henkerjustiz ein Partner, auf dessen Wort irgendein Verlass sei. Und als spotte eine mögliche Auslieferung dorthin nicht jedem Recht." Ähnlich entschieden äußert sich Dominic Johnson (Montags-taz): Würde Deutschland ausliefern und sei man hier der Meinung, die ägyptische Justiz halte völkerrechtliche Mindeststandards ein, sei die Berliner Ansage an kritische Journalisten in der Welt: "Bleibt zu Hause. Sobald eure Regierung gegen euch Haftbefehl erlässt, seid ihr hier nicht mehr sicher."
Die Montags-taz (Christian Rath) informiert über die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen nach dem Gesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen die Auslieferung bejaht bzw. verneint werden müsste. Die Auslieferungshaft müsse jedenfalls dann sofort beendet werden, wenn die Auslieferung offensichtlich unzulässig ist. Weil ihn in Ägypten kein faires Verfahren erwarten könne, hält Oliver García (blog.delegibus.com) die Verhaftung Mansours für "evident rechtswidrig".
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Auf dem SPD-Parteikonvent am Samstag haben sechzig Prozent der Delegierten für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Die Grünen haben daraufhin angekündigt, gegen das Gesetz zu klagen, um den "Raubbau an den Grundrechten abzuwehren", wie es in der Montags-SZ (Christoph Hickmann) heißt. Auch die Montags-FAZ (Majid Sattar) berichtet.
Pkw-Maut: Wie der Focus (Olaf Opitz) meldet, will Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) im EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die deutsche Pkw-Maut "fragwürdige Mautmodelle anderer EU-Staaten zur Sprache bringen" – unter anderem aus Österreich, dessen Modelle auch ein Fall von Ausländerdiskriminierung darstellen sollen.
Für Kerstin Schwenn (Samstags-FAZ) ist die Maut nicht "ein für alle mal" begraben – selbst wenn der Europäische Gerichtshof sie kippen sollte: Eine neue Maut sollte dann nur als entfernungsabhängige Maut gestrickt sein.
Auslandseinsätze der Bundeswehr: Rechtsreferendar Oliver Daum stellt auf lto.de das Ergebnis der Rühe-Kommission vor, die den Änderungsbedarf des Einsatzrechts der Bundeswehr geprüft hat. Die Kommission schlägt unter anderem vor, neue Berichtspflichten für den Bundestag nach Bundeswehrmissionen zu schaffen und die Entsendung von Saldaten in "konfliktfreie Staaten" nicht von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen. Eine Verfassungsänderung hält die Kommission nicht für erforderlich.
Suizidhilfe: Der Juraprofessor Frank Saliger spricht sich auf lto.de gegen ein Strafgesetz zur organisierten Suizidhilfe aus. Saliger sieht auch bei geschäftsmäßiger Suizidhilfe die Rechtsgüter Selbstbestimmung und Leben nicht gefährdet; für die Befürchtung eines Todes aus "Systemzwang" fehlten jegliche Anhaltspunkte. Eine Kriminalisierung greife außerdem ungerechtfertigt in das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung ein.
Erbschaftsteuer: Der Unternehmer Martin Schoeller kritisiert in der Montags-SZ den Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuerreform aus dem Finanzministerium. Er bewerte die Familienunternehmen falsch, lasse die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Bedürfnisprüfung vermissen und versteuere Privatvermögen mehrfach.
Managergehälter in Schleswig-Holstein: Der Landtag in Schleswig-Holstein hat am Freitag ein Vergütungsoffenlegungsgesetz verabschiedet. Danach werden ab 2016 Managergehälter öffentlicher Unternehmen in Schleswig-Holstein ins Internet gestellt. Das meldet lto.de.
Justiz
BVerfG zu Kundus-Luftangriff: Nach einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wird es kein Strafverfahren gegen den Bundeswehroberst Georg Klein wegen des Nato-Luftangriffs im afghanischen Kundus geben. Dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts einstellte, war für das BVerfG nicht willkürlich. Das melden die Samstags-taz und lto.de.
BGH zu Hoeneß-Erpresser: Weil er Uli Hoeneß in einem Erpresserschreiben mit der Drohung eines "unruhigen Haftverlaufs" zur Zahlung von rund 200.000 Euro nötigen wollte, verurteilte das Landgericht München II einen Mann im Dezember 2014 zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen versuchter Erpressung. Wie lawblog.de (Udo Vetter) meldet, hat der Bundesgerichtshof das Urteil im Mai aufgehoben und ans LG zurückverwiesen: Das LG hatte dem Täter strafschärfend zur Last gelegt, er sei anonym aufgetreten, habe Handschuhe getragen und das Erpresserschreiben nicht auf seinem Computer abgespeichert, um keine Spuren zu hinterlassen. Nach Ansicht des BGH hätte das LG aber nicht strafschärfend werten dürfen, dass der Täter den Ermittlungsbehörden seine "Überführung nicht erleichtert habe, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise schuf".
OLG München – NSU-Prozess: Nachdem vor gut einer Woche bekannt wurde, dass möglicherweise ein Informant des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes bei einem NSU-Anschlag 2001 in Köln vor Ort gewesen sein könnte, wehrt sich der Informant nun im Interview mit Spiegel TV (Jörg Diehl/Roman Lehberger – Online-Meldung) gegen den Verdacht. Er wolle sich als "Undercover-Antifaschist" verstanden wissen und gibt an, den NSU nicht gekannt zu haben.
Bundesanwaltschaft – Oktoberfest-Ermittlungen: Detonierten beim Oktoberfestattentat 1980 eine oder zwei Bomben? Ein ausführlicher Bericht der Montags-SZ (Annete Ramelsberger/Katja Riedel) rankt sich um Toni Müller, Augenzeuge und selbst Verletzungsopfer des Oktoberfestattentats 1980. Ihm zufolge hat es eine zweite Bombe gegeben; die aber kam in der Abschlussverfügung der Bundesanwaltschaft 1982 nicht vor. Im Gegenteil sei seine Aussage damals unter den Tisch gefallen – heute habe sie neues Gewicht.
Schiedsverfahren zur Lkw-Maut: Im Zusammenhang mit dem nicht öffentlichen und schon acht Jahre andauernden Schiedsverfahren wegen des missglückten Starts der Lkw-Maut vor über zehn Jahren ("Toll Collect") konnte der Spiegel (Sven Becker/Andreas Wassermann) die Protokolle der Verhandlungsrunden auswerten. Danach bestehe der Zweifel, dass der Bund ein System verkauft bekommen hat, das "nicht mal in Ansätzen betriebsbereit" war. Der Bericht gibt ein Blick in das Schiedsverfahren. Auch die Montags-SZ (Michael Bauchmüller) berichtet unter dem Titel "Zehn Jahre, null Fortschritt" über das Verfahren, in das der Bund bislang 144 Millionen Euro investiert habe und bei dem schon der Termin ein Staatsgeheimnis sei.
BGH – "Widerrufsjoker": Der Bundesgerichtshof sollte eigentlich ein Grundsatzurteil zur Frage fällen, ob Immobilienbesitzer ihre bereits vor Jahren getilgten Darlehen widerrufen können, ohne dass eine Vorfälligkeitsentschädigung anfällt. Das Handelsblatt (Jens Hagen) meldet, dass die Parteien kurz vor dem Urteil nun einen Vergleich schlossen – und der Kläger seine Revision zurückzog.
BGH zu Anlegeranträgen: Aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Donnerstag folgt, dass Tausende Anträge ungültig sind, mit denen Anleger eine Verjährung ihrer Schadensersatzforderung verhindern wollten. Im konkreten Fall scheiterten Ehepaare mit Schadensersatzklagen wegen angeblich fehlerhafter Anlageberatung des Finanzdienstleisters AWD Swiss Life Select. Die Anwälte der Anleger hatten zur Verjährungshemmung Güteanträge bei einer staatlich anerkannten Stelle in Freiburg gestellt – allerdings zu unbestimmt, wie der BGH urteilte. Die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) und lto.de berichten.
BGH zu Musik im Wartezimmer: Ein Arzt muss keine GEMA-Gebühren entrichten für Hintergrundmusik im Wartezimmer. Das hat der Bundesgerichtshof am vergangenen Donnerstag entschieden. Der BGH hat mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angewandt, nach der das einschlägige Merkmal der öffentlichen Wiedergabe erst dann gegeben ist, "wenn eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und gleichzeitig 'recht viele' Personen den Hörgenuss haben". lawblog.de (Udo Vetter) bringt eine Meldung zum Urteil.
VerfGH RP zur Arbeit im Gefängnis: In Rheinland-Pfalz ist die Vergütung für Arbeit im Gefängnis auf monetäre Leistungen beschränkt – im Gegensatz zur einstigen bundesweiten Regelung, nach der die Vergütung auch in Form von Zellenurlaub oder sogar Urlaub aus der Haft vorgesehen war. Die Regelung verstößt nicht gegen die Landesverfassung, entschied der Rheinland-Pfälzische Verfassungsgerichtshof Anfang Juni. lto.de berichtet.
EuGH zum OMT-Programm: Auch der Spiegel (Dietmar Hipp) berichtet zum OMT-Urteil des Europäischen Gerichtshofs und interpretiert das Urteil und seine Vorgeschichte als "wichtigen Schritt der Annäherung" zwischen beiden Gerichten. Für Verfassungsrichter a.D. Udo di Fabio treffen in einer Analyse für die FAS "hinter der diplomatischen Fassade des kooperativen Gerichtsverbundes" zwei "doch sehr unterschiedliche Verständnisse" aufeinander, indem das Bundesverfassungsgericht genau prüfen will, was die EZB tut, während der EuGH ihr "fast freie Hand" gibt.
Medienschelte durch Richter: In den Augen Heribert Prantls (Medienteil der Samstags-SZ) haben die Vorsitzenden Richter bei sehr medienwirksamen Strafverfahren (Kachelmann, Hoeneß, Wulff, Tuğçe) nicht nur Urteile gefällt, sondern zugleich "über das öffentliche Klima geurteilt". Prantl sieht die Tendenz eines geladeneren Spannungsverhältnisses zwischen Gericht und Medienöffentlichkeit. Richter sollten auf Vorverurteilungen von außen jedoch nicht beleidigt, sondern maßvoll und souverän reagieren.
Recht in der Welt
Internationaler Schiedsgerichtshof – Yukos-Vollstreckung: 2014 verurteilte der Internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag Russland zur Entschädigung der früheren Aktionäre des Yukos-Konzerns. Wie die Samstags-SZ (Julian Hans) berichtet, wird das Urteil seit vergangener Woche in einigen Ländern vollstreckt: In Belgien, Frankreich und Österreich wurden Konten gesperrt und Immobilien des russischen Staates beschlagnahmt. Russland droht laut Montags-SZ (Julian Hans) nun, gegen ausländische Unternehmen in Russland vorzugehen und hat angekündigt, "seine Interessen im Rahmen eines zivilisierten juristischen Prozesses zu verteidigen"; auch das Handelsblatt (Mathias Brüggmann) schreibt zum Thema.
Russlands Reaktion bezeichnet Julian Hans (Montags-SZ) in einem gesonderten Kommentar als kontraproduktiv, weil abschreckend für ausländische Investoren. Russland wiederhole das Unrecht, für das es verurteilt wurde.
USA – Nummernschilder und Meinungsäußerung: Kfz-Kennzeichen enthalten Äußerungen, die allein dem Staat zuzurechnen sind, nicht dem Fahrzeughalter. Auf freie Meinungsäußerung können sie sich nicht berufen. Das hat der US-Supreme Court mit knapper Mehrheit entschieden. Anstoß nahm das Verfahren durch einen in Texas abgelehnten Antrag zu einem – dort üblich – individuell bebilderten Nummernschild. heise.de (ds) fasst das Urteil und auch das abweichende Votum zusammen.
USA – Uber: Auch in den USA steht nach Bericht der Samstags-FAZ (Roland Lindner) das Geschäftsmodell des Fahrdienstes Uber in Frage: Das kalifornische Labor Commissioner's Office – zuständig für arbeitsrechtliche Angelegenheiten – hat entschieden, dass eine Uber-Fahrerin als Angestellte des Unternehmens einzustufen ist und nicht als unabhängige selbständige Unternehmerin.
Sonstiges
Andrea Voßhoff: Als Lobbyist der Woche kürt Christian Rath (Samstags-taz) die Bundesdatenschutzbeauftragte und Juristin Andrea Voßhoff. Ihren Wandel von der Befürworterin zur Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung könne Voßhoff nachvollziehbar begründen – damit sei sie keine Opportunistin.
Kurt Graulich als NSA-Sonderermittler: Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker) stellt den Bundesverwaltungsrichter a.D. Kurt Graulich vor, den die Große Koalition als NSA-Sonderermittler handelt. Graulich habe in einem Aufsatz über Whistleblower Geheimdienste als "eine Strapaze für das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats" bezeichnet. Gegenüber der Montags-taz (Konrad Litschko) hat Graulich bestätigt, es habe entsprechende "Kontakte" gegeben und er könne sich die Aufgabe vorstellen.
Untervermietung: Die FAS (ancs) erklärt im Ressort Wohnen, dass eine Untervermietung der eigenen Wohnung an Touristen der ausdrücklichen Einwilligung des Vermieters bedarf – und in einige Städte die gewerbliche Wohnraumnutzung genehmigt werden muss.
Das Letzte zum Schluss
Notbremse: Ihm fuhr der Zug zu schnell, da zog er die Notbremse, um mit dem Triebfahrzeugführer drüber zu reden. Diese Erklärung hatte ein Mann parat, der einen Regionalexpress Richtung Dortmund per Notbremse zum Halten brachte. Am Dortmunder Hauptbahnhof nahm ihn dann die Bundespolizei in Empfang. justillon.de (Stephan Weinberger) ist auf die Pressemitteilung der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin gestoßen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Juni 2015: Mansour festgenommen – BGH zu Hoeneß-Erpresser – Medienschelte durch Richter . In: Legal Tribune Online, 22.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15947/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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