"Feld-Wald-und-Wiesen-Anwälte"

Keine Para­gra­fen­hengste im Nadel­st­rei­fen­anzug

von Christian GrohganzLesedauer: 6 Minuten
Leck oder Norderstedt sind Orte, die wohl die wenigsten auf einer Karte finden würden. Fernab von Großkanzleien und Stadttrubel praktizieren manche Juristen in der tiefsten Provinz. Und auch ein Würzburger Anwalt zählt sich zu dieser Art von Advokaten. Langweiliges Schicksal oder echte Alternative? LTO sprach mit drei Vertretern der Gattung "Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt".

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Florian Weiss kennt die fränkische Seele gut – jene bärbeißigen Nordbayern, die als alles, nur nicht als 'Bayern' bezeichnet werden wollen und sich mit der höchsten Brauereidichte Europas schmücken. Weiss wurde in Würzburg geboren, ging dort zur Schule, absolvierte den Großteil seines Studiums in der Stadt am Main – und gründete Anfang 2011 eine Kanzlei. "Ich bin einer von ihnen. Das ist sehr wichtig, wenn man seine Mandanten verstehen will. Nur so lässt sich auf beiden Seiten das nötige Vertrauen aufbauen", sagt der 30-Jährige. "Meine Mandanten kommen fast ausschließlich aus der unmittelbaren Umgebung. Eine bestimmte Kategorie lässt sich dabei nicht feststellen. Es ist eigentlich die gesamte gesellschaftliche Bandbreite vertreten – genau wie im richtigen Leben." Besonders dankbar ist der junge Anwalt den Würzburgern, dass sie ihm mit ihrer Mandatserteilung viel Vertrauen entgegengebracht haben. Ihren Ansprüchen gerecht zu werden ist deshalb Weiss' oberste Maxime. "Persönlich kenne ich trotzdem erst recht wenige. Das ist vielleicht  auch kein Nachteil. Denn wenn zwischen Anwalt und Mandant ein Vertrauensverhältnis bestehen soll, muss der Anwalt den Fall auch stets sachlich begutachten", meint Weiss. "Eigene Emotionen wären hier fehl am Platze. Es gilt, den Mittelweg zu suchen: nicht zum 'Roboter' zu werden, bestimmte Grenzen aber auch nicht zu überschreiten." Wie sich das in Zukunft entwickeln wird, kann Weiss jedoch nicht vorhersagen – in der barocken Universitätsstadt läuft man sich gelegentlich auch mal so über den Weg.

Zwischen Windrädern und schwarz-weiß-gefleckten Kühen

Am anderen Ende Deutschlands, kurz vor der dänischen Grenze, praktiziert Dr. Sönke-Peter Nehlsen – in Leck. "Der Begriff 'Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt' trifft voll auf mich zu. Ich bin immer für meine Mandanten da", sagt der charismatische Nordfriese, der neben seinem zivilrechtlichen Schwerpunkt auch als Notar arbeitet. "Ich leiste mir die Freiheit, alle Fälle anzunehmen, für die ich mich in der Lage fühle, sie zu bewältigen. Andere Mandate, die mir zu schwierig erscheinen, gebe ich jedoch unverblümt an besser spezialisierte Kollegen ab. Es ist für mich keine Schande, Mandanten zu verweisen wenn ich merke, dass mir die Materie nicht liegt." 7.666 Einwohner zählt der Ort, der rund 30 Kilometer westlich von Flensburg entfernt liegt – flache, weite Landschaft, schwarz-weiß-gefleckte Kühe und Windräder zeichnen das Panorama. "Selbstständig gemacht habe ich mich Ende April 1999, weil sich die Zusammenarbeit mit meinem früheren Arbeitgeber als unerfreulich herausstellte", erzählt Nehlsen. "Dass ich meine Kanzlei in Leck eröffnet habe, ist darauf zurückzuführen, dass ich meine erste berufliche Anstellung als Rechtsanwalt hier bekommen habe. Aber ich wollte nach dem Studium und Referendariat auch zurück in die Region, weil ich hier aufgewachsen bin." Seine Heimatverbundenheit hatte Nehlsen auch in seiner Bewerbung deutlich gemacht. "Dies war auch sicher einer der Beweggründe,weshalb mein vormaliger Arbeitgeber mich eingestellt hat. Ich spreche die Sprache von Land und Leuten. Als meine abhängige Beschäftigung endete, war klar, dass ich hier im Ort bleibe, weil die Mandanten mich bereits kannten."

Der Anwalt von nebenan

Sonja Richter denkt bei einem Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt an einen Allrounder, der viele Sachen in den Grundzügen beherrscht, aber kein ausgewiesenes Spezialgebiet hat. "Zudem assoziiere ich mit dem Begriff 'den Anwalt von nebenan', also einen Anwalt aus der Nachbarschaft, den man auch mal beim Einkaufen oder beim Spazierengehen trifft." Richter ist Einzelanwältin in Norderstedt, einer Kleinstadt an der Grenze des so genannten Hamburger Speckgürtels. Sie entschied sich bewusst für das beschauliche "Landleben" in der von charakteristischen Backsteinhäusern geprägten Region. "Ich hatte während des Referendariats in einer Großkanzlei gearbeitet, für die ich in Hamburg und Warschau tätig war. Mir hat die Tätigkeit Spaß gemacht. Aber der persönliche Kontakt und die Gespräche mit den Mandanten haben mir gefehlt." Sie würde heute nicht mehr tauschen wollen. "Mir gefällt an meiner Tätigkeit besonders der Kontakt mit den Mandanten – auch weil das teilweise nichtjuristische Aspekte beinhaltet. Dadurch lerne ich viel Neues. Erst vor kurzem habe ich einen kosovo-albanischen Mandanten vertreten und in dem Zusammenhang einiges über seine Kultur gelernt. So etwas würde ich in einer Großkanzlei nie erfahren." Dem kann sich der Würzburger Florian Weiss nur anschließen. "Großkanzleien beschreibe ich immer mit einem Satz: Geld oder Leben. Berufseinsteiger können in Großkanzleien sehr gut verdienen. Aber das gibt es nicht umsonst." Für den Einstieg würden schon absurde formale Kriterien gelten. "Neben einem Doktortitel hat der begehrte Fachanwalt unter 35 Jahren auch schon mehrere Jahre Auslandserfahrung hinter sich gebracht - während er seine zwei Prädikatsexamen nebenbei abgelegt hat." Schlimmer findet Weiss jedoch die Art der menschlichen Ausbeute. "Eine 6-Tage-Woche bei einem 12-Stunden-Tag ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Glaubt man den Gerüchten, dann ist die Großkanzlei für Berufsanfänger ein Sammelbecken für 'Burnout-Anwärter'." Allerdings ist Weiss auch klar, dass die meisten Bewerber sich dessen bewusst sind – aber den Job dennoch wollen. Finanzielle Aspekte und große Namen im Lebenslauf spielen hier eine Rolle. "Aber was hat man von dem vielen Geld, wenn man tatsächlich nach drei Jahren physisch und psychisch am Ende ist?", fragt Weiss und lehnt sich zufrieden in seinem Bürostuhl zurück. "Nein, ich würde nicht tauschen wollen - auch wenn ich mir durchaus bewusst bin, dass es genau diese Fälle und Mandanten sind, die Anwälte zu dem Reichtum verhelfen können, den man ihnen immer nachsagt."

Das gute Landleben

Dass man auch auf dem Land gut auskommen kann, lebt Dr. Sönke-Peter Nehlsen vor. Er beschäftigt in seinem Büro, mitten in Leck, zwei Vollzeitangestellte, eine Auszubildende und stundenweise eine Raumpflegerin – und kann sich dabei auch einen Sportwagen und ein Cabrio leisten. Denn für Autos hatte er schon immer eine Vorliebe. Zum Spaß hat er sich sogar einen Trecker gekauft. "Von Anfang an konnte ich einen guten Mandantenzulauf verzeichnen, was zum Teil auch darauf zurückzuführen ist, dass ich vor Eröffnung der Kanzlei als Rechtsanwalt in einer der anderen örtlichen Kanzleien tätig gewesen war, und mich einige Mandanten von dort kannten und schätzten", erinnert sich Nehlsen. "Die Umsätze entwickelten sich durchweg positiv und vielversprechend. Bereits im ersten Jahr konnte ich einen deutlichen Gewinn verzeichnen. Dann landete ich schnell im zweistelligen Prozentbereich und von Jahr zu Jahr erhöhen sich die Gewinne auf weitgehend gleichbleibendem Niveau." Nehlsen würde niemals in eine Großkanzlei wechseln wollen, denn Großkanzleien haben ihre Existenzberechtigung in Großstädten. Aber in einem kleinen Wort wie Leck hätten sie nichts zu suchen – dort, wo Nehlsen mit seinem Beruf glücklich und erfüllt ist. Und nicht mehr weg möchte. "Wenn ich mir meine Zukunft aussuchen könnte, dann würde ich mir wünschen, dass ich gesund bleibe und noch 20 Jahre so weiter arbeiten kann wie bisher." Viele Gedanken über die Zukunft konnte sich Florian Weiss noch nicht machen – er ist erst am Anfang seines Weges. "Die ersten Wochen meiner Kanzleigründung hatte ich weniger mit juristischen Feinheiten zu tun, als vielmehr mit den Tücken des Alltags zum Beispiel die Einrichtung eines drahtlosen Netzwerks." Eine weitere Herausforderung war es, eine Möglichkeit zu finden, Kanzleimarketing zu betreiben – von der Zeitungsanzeige bis zum Google-Ranking. "Vieles davon war für mich absolutes Neuland. Selbst meine bayerische Juristenausbildung konnte mir da nicht helfen", sagt Weiss und lacht. "Ein medialer Auftritt, also eine Homepage ist das A und O der Mandantenakquise. Wer glaubt, dass selbst in einer kleinen Stadt, ein Kanzleischild und der Eintrag in den 'Gelben Seiten' Mandantenströme bescheren würden, der sollte sich schleunigst einen Staubwedel für den Mandantenstuhl in seinem Büro kaufen." Für seine Zukunft wünscht sich Weiss deshalb vor allem, dass die Marketingmaßnahmen anschlagen. "Wenn diese erste Hürde genommen ist, wird man dann durch 'Mund-Mund-Propaganda' zu einem 'Namen'. Danach besteht nicht mehr die Frage, ob die Kanzlei eine Zukunft hat, sondern nur noch, in welche Richtung die Reise geht ..." Dass er sein Leben auf "Feld-Wald-und-Wiese" fristet - da ist sich Weiss sicher - wird er nie bereuen: "Über die Erfahrungen mit Mandanten und ihren Problemen werde ich im Laufe der Zeit erkennen, worin meine persönlichen Stärken und Interessen liegen. 'Feld-Wald-und-Wiese' ist für mich das Gegenteil von einem in Zahlen denkenden Paragraphenhengst im Nadelstreifenanzug – und das ist doch nicht schlecht, oder?!"
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