Schützen die unionsrechtlichen Vorgaben, auf denen das AGG beruht, auch AGG-Hopper, denen es nicht um eine Anstellung, sondern um die Provokation von Entschädigungsansprüchen geht? Entscheidung und Vorgeschichte erläutert Thomas Gennert.
Am Donnerstag entschied der EuGH, dass eine nicht ernst gemeinte Bewerbung nicht von den EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinien (RL 2000/78 und 2006/54) geschützt ist (Urt. v. 28.07.2016, Az. C-423/15) – und damit auch nicht von den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Der Kläger, ein als sogenannter AGG-Hopper inzwischen bundesweit bekannter Rechtsanwalt aus München, bewarb sich bei dem beklagten Unternehmen, der R+V Versicherung, im Frühjahr 2009 auf eine als "Trainee" ausgeschrieben Stelle.
Die R+V schrieb Traineestellen für unterschiedliche Fachrichtungen aus, darunter auch für Jura. In dem Text der Stellenanzeige hieß es unter anderem, dass ein "sehr guter Hochschulabschluss", der "nicht länger als ein Jahr" zurückliege oder "innerhalb der nächsten Monate" erfolge, Anforderung an die Kandidaten sei. Auf seine Bewerbung hin, in der der Anwalt seine beruflichen Qualitäten hervorhob, erhielt der Kläger etwa einen Monat später eine Absage. Hierauf antwortete der Kläger dann mit einem Schreiben, in dem er Ansprüche wegen Altersdiskriminierung gegen die Beklagte in Höhe von 14.000 Euro geltend machte.
Angebliche Diskriminierung auch wegen des Geschlechts
Die Versicherung reagierte hierauf, in dem sie den Kläger zu einem Bewerbungsgespräch einlud und erklärte, die Absage habe auf einem Versehen beruht. Dies lehnte der Kläger mit der Begründung ab, erst nach Erfüllung der Entschädigungsansprüche über seine Zukunft im Unternehmen sprechen zu wollen.
Als er erfuhr, dass die juristischen Trainee-Stellen ausschließlich mit weiblichen Kandidaten besetzt worden waren, machte er zudem Entschädigungsansprüche in Höhe von weiteren 3.500 Euro wegen einer vermeintlich aufgrund seines Geschlechts erfolgten Diskriminierung geltend.
Im Jahr 2009 bewarb sich der Kläger zudem noch auf eine Vielzahl anderer Stellen bei anderen Unternehmen und machte Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend. Zum Teil hatte er hiermit Erfolg und erzielte sogar höchstrichterliche Urteile (etwa das "Young Professionals"-Urteil, BAG, Urt. v. 24.01.2013, Az. 8 AZR 429/11).
Entscheidungen der Vorinstanzen
Das Arbeitsgericht (ArbG) Wiesbaden wies die Klage des Klägers vollumfänglich ab (Urt. v. 20.01.2011, Az. 5 CA 2491/09). Selbst wenn in dem Text der Ausschreibung ein Indiz für eine mittelbare Altersdiskriminierung zu erblicken sei, so das ArbG, sei diese mittelbare Diskriminierung durch das legitime Ziel der Beklagten gerechtfertigt, Bewerber langfristig an ihr Unternehmen zu binden und hierfür möglichst "beruflich unverbildete" Kandidaten zu suchen, denen sie berufspraktische Fähigkeiten in ihrem Sinne vermitteln könne.
Deswegen könne auch dahinstehen, ob die Bewerbung des Klägers überhaut ernst gemeint gewesen sei. Anhaltspunkte für eine geschlechterspezifische Diskriminierung habe der Kläger dagegen nicht ausreichend dargetan.
Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen ab und folgte dabei inhaltlich der Begründung der Wiesbadener Kollegen (Urt. v. 16.01.2012, Az. 7 Sa 615/11). Dieses Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) durch Beschluss (v. 23.08.2012, Az. 8 AZN 711/12) aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Begründung: Die Vorinstanz habe bei seiner Entscheidung die vom Kläger vorgebrachten Vermutungstatsachen für eine Diskriminierung wegen seines Geschlechts nicht ausreichend gewürdigt und hiermit seinen Anspruch auf rechtliches Gehört verletzt.
Auch die erneute Entscheidung des LAG hielt das klageabweisende Urteil des ArbG aufrecht. Weil die R+V nach Bewerbern mit kurz zurückliegendem oder demnächst erfolgendem Abschluss habe suchen dürfen, stelle sich die Frage einer Diskriminierung wegen des Geschlechts gar nicht, weil der Kläger eben schon diese Anforderung nicht erfüllte.
Das BAG hat das vom Kläger in der Folge angestrengte Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob auch derjenige, der sich nur um den Status des Bewerbers im Sinne von § 6 Abs. 1, S. 2 AGG willen bei einem potentiellen Arbeitgeber bewirbt, ebenfalls den Schutz des dem AGG zugrundeliegenden Unionsrechts beanspruchen kann (Beschl. v. 18.06.2015, Az. 8 AZR 848/13). Falls dies bejaht würde, wollte das BAG zudem vom EuGH wissen, ob die alleinige Zielrichtung der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen einen Rechtsmissbrauch auch auf Ebene des Unionsrechts darstellt.
2/2: EuGH: Nicht ernst gemeinte Bewerbung verdient keinen Schutz
Der EuGH hat nun – wenig überraschend – entschieden, dass zum einen derjenige nicht den Schutz der Richtlinien zur Antidiskriminierung und Gleichbehandlung von Mann und Frau beanspruchen kann, der keinen Zugang zu einer Beschäftigung begehrt, sondern sich allein deswegen auf eine Stelle bewirbt, um auf Grundlage des formalen Status als Bewerber Zugang zu Entschädigungsansprüchen zu haben. Zum anderen könne ein solches Verhalten auch nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts rechtsmissbräuchlich sein.
Der EuGH hat damit sogar beide Vorlagefragen des BAG positiv beantwortet. Zum Thema Bewerberstatus stellt der EuGH auf die Ziele der dem AGG zugrundeliegenden Richtlinien ab. Hier gehe es um "Schutz vor Diskriminierung", "Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" und beim "Zugang zu Beschäftigung". Werde tatsächlich aber gar nicht die Aufnahme einer Tätigkeit erstrebt, könne die jeweilige Person weder "Opfer" einer Diskriminierung sein, noch könne ihr ein Schaden im Sinne des Richtlinienrechts entstehen. Ist offensichtlich, dass sich jemand auf eine Stelle bewirbt, die er tatsächlich gar nicht antreten möchte, könne er daher auch nicht den Schutz des Unionsrechts für sich beanspruchen.
Daneben sei auch rechtsmissbräuchliches Verhalten nach Maßgabe der allgemeinen Voraussetzungen denkbar. Hierfür seien in objektiver Hinsicht Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Daneben sei auf subjektiver Ebene auch eine entsprechende Absicht des Handelnden notwendig.
Warum hat das BAG überhaupt vorgelegt?
Es leuchtet schon aus zwei Gründen nicht ein, warum das BAG dem EuGH die aufgeworfenen Fragen überhaupt zur Entscheidung vorgelegt hat. Entweder hätte es erstens die Revision zurückweisen können, wenn es in der Sache – was nahe liegt – der Begründung der Vorinstanzen gefolgt wäre. Dann hätte dahinstehen können, ob der Kläger überhaupt "Bewerber" im Sinne von § 6 Abs. 1, S. 2 AGG ist.
Eine derartige Argumentation, insbesondere, ob das Gericht andernfalls vom Vorliegen eines Anspruchs ausgehen würde, klingt im veröffentlichten Beschluss des BAG jedoch nicht an. Es scheint die Eigenschaft als Bewerber im Sine des AGG als eine Art entscheidungserhebliche Vorfrage für Ansprüche nach dem AGG zu bewerten, deren Beantwortung es zwingend bedürfe. Wie das Gericht zu dieser Einschätzung gelangt, bleibt allerdings offen.
Zweitens sind die Grundsätze des Rechtsmissbrauchs bereits im nationalen Recht hinreichend verankert (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) und können im Einzelfall jedem (zivilrechtlichen) Anspruch entgegengehalten werden. In der Vergangenheit hatte das BAG schließlich auch kein Problem darin gesehen, auf diese Grundsätze ohne Anrufung des EuGH zurückzugreifen. Dies zeigt sich etwa unter anderem in der Begründung des oben genannten "Young Professionals"-Urteils, das ebenfalls der Kläger "verursacht" hatte.
Vorliegend ist offenkundig, dass es dem Kläger nie um eine tatsächliche Beschäftigung als "Trainee" ging. Im Ergebnis leuchtet wohl jedem ein, dass die Regeln des AGG nicht dazu missbraucht werden können, sich ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Vergleichbare Sachverhalte anderer Rechtsgebiete – Stichwort: "Abmahn-Anwälte" – bekommt das nationale Recht schließlich ebenfalls in den Griff.
Gleichwohl ist die Klarstellung des EuGH zu begrüßen. Das BAG wird sich nun erneut mit der Sache befassen und hierbei den Fokus auf die Ernsthaftigkeit der Bewerbung legen. Hier hat der klagende Anwalt dann aber schlechte Karten, weil er die Einladung zum Vorstellungsgespräch bei der R+V ausdrücklich ablehnte.
Der Autor Dr. Thomas Gennert ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro von McDermott Will & Emery Rechtsanwälte und Steuerberater LLP. Er ist Mitglied der deutschen Praxisgruppe Arbeitsrecht.
EuGH zu "AGG-Hopper": Nicht ernst gemeinte Bewerbung ist rechtsmissbräuchlich . In: Legal Tribune Online, 28.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20134/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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