Der Bundestag wird in den kommenden Wochen die Wahl der Verfassungsrichter neu regeln. Da sich faktisch kaum etwas ändern soll, geht es wohl nur darum, die Machtverhältnisse der Staatsgewalten klarzustellen, meint Christian Rath.
Die sechzehn Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden je zur Hälfte vom Bundesrat und vom Bundestag gewählt. Der Bundesrat wählt "seine" Richter schon immer im Plenum, während im Bundestag bisher ein kleines zwölfköpfiges Wahlgremium zuständig war.
Künftig sollen auch die acht Verfassungsrichter, die der Bundestag bestimmt, vom dortigen Plenum gewählt werden. Das bisherige Wahlgremium soll bald nur noch einen Vorschlag machen können. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den alle Fraktionen im Oktober gemeinsam eingebracht haben (BT-DrS. Nr. 18/2737). Ein 12-köpfiger Wahlausschuss soll mit Zwei-Drittel-Mehrheit dem Plenum einen Richter zur Wahl vorschlagen. Das Plenum soll dann ebenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit über den Vorschlag entscheiden.
Der offizielle Grund
Für die Reform gab es zwei Anlässe. Offizieller Aufhänger ist ein langer verfassungsrechtlicher Streit, ob der bisherige Wahlmodus des Bundestags mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
In Artikel 94 GG wird nämlich kein Wahlgremium erwähnt. Dort heißt es vielmehr, die Verfassungsrichter werden "vom Bundestage und vom Bundesrate" gewählt. Auch der jetzige Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle, hatte in seinem früheren Leben als Rechtsprofessor und Grundgesetz-Kommentator den bisherigen Wahlmodus für verfassungswidrig erklärt.
Oberflächlich betrachtet reagiert der Bundestag also nur auf jahrzehntelange Kritik und stellt endlich einen eindeutig verfassungskonformen Zustand her. Dazu gab es allerdings nie so wenig Grund wie derzeit. Denn Mitte 2012 hatte das BVerfG eigentlich die Debatte beendet und festgestellt, dass der bisherige Wahlmodus, und damit auch die Besetzung des Gerichts. nicht verfassungswidrig ist (BVerfG, Urt. v. 19.06.2012, Az.2 BvC 2/10).
Worum es wirklich geht
Es liegt deshalb nahe, dass die geplante Reform auch einen anderen Anlass hat. Denn sie folgte auf eine Phase massiver politischer Kritik am BVerfG. Vor allem in Unionskreisen wurde die im Juni 2013 von Karlsruhe geforderte Gleichstellung eingetragener Homo-Partnerschaften beim Ehegattensplitting mit Unmut quittiert. So kritisierte Bundestags-Präsident Norbert Lammert (CDU) den "Gestaltungsehrgeiz" der Verfassungsrichter und Unions-Fraktions-Chef Volker Kauder wetterte gegen "Grenzüberschreitungen" des Gerichts.
Im Februar 2014 störten sich dann fast alle Fraktionen am Karlsruher Urteil, mit dem die Drei-Prozent-Hürde bei der Wahl der deutschen Europaabgeordneten gekippt wurde. Und im April 2014 enthüllte schließlich der Spiegel, dass sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) von Juristen beraten ließ, wie man die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts beschneiden könnte.
In diesem Kontext muss man schon recht naiv sein, wenn man den im Oktober 2014 eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuwahl der Verfassungsrichter nur als technische Begradigung eines alten wissenschaftlichen Konflikts wertet. Immerhin war das Projekt ausgerechnet von BVerfG-Kritiker Norbert Lammert vorgeschlagen worden. Im Oktober 2012 hatte Lammert in einem Aufsatz für die FAZ bereits alle Details des späteren Gesetzentwurfs skizziert.
2/2: Kaum Änderungen in der Sache
Für einen symbolischen Wink mit dem Zaunpfahl spricht auch, dass der Gesetzentwurf an keinem Punkt das Verfahren substanziell ändern will. Auch in Zukunft werden sich die Richtermacher der großen Parteien (für die Union: Helmut Brandt, Volker Bouffier, Volker Kauder und Peter Altmaier; für die SPD: Christine Lambrecht, Katarina Barley und Thomas Oppermann) vorab über die Kandidaten einigen. Ob diese dann nur im zwölf-köpfigen Wahlgremium oder auch noch im 631-köpfigen Plenum abgenickt werden, macht wohl keinen Unterschied.
Die Wahl soll jedenfalls wie bisher ohne Anhörung der Kandidaten und ohne Aussprache der Abgeordneten stattfinden. Nicht einmal die Transparenz für Presse und Öffentlichkeit soll verbessert werden. Es ist nicht vorgesehen, dass der Wahlvorschlag mindestens einige Tage oder Wochen vor der Wahl bekannt gemacht wird. Theoretisch könnte das Wahlgremium seinen Vorschlag einen Tag oder nur eine Stunde vor der Abstimmung im Plenum beschließen.
Auch die kleinen Fraktionen, die bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Oktober noch weitergehenden Änderungsbedarf anmeldeten, konnten bislang nichts davon durchsetzen. Weder die von den Grünen gewünschte Frauenquote für das Verfassungsgericht noch die von der Linken vorgeschlagene Karenzfrist für Politiker hatten bei der großen Koalition eine Chance. Vielleicht wäre es cleverer gewesen, wenn die Opposition hart verhandelt hätte, bevor sie einen gemeinsamen Antrag mit der Mehrheit unterzeichnet.
Allenfalls bei der Besetzung des 12-köpfigen Wahlausschusses könnte es noch zu Änderungen kommen. Die kleinen Fraktionen fordern eine Verteilung der Sitze nach dem inzwischen üblichen Rechenmodell von Sainte Lague/Schepers, was für sie leicht günstiger wäre als das noch geltende Verfahren nach d'Hondt. In Zeiten der großen Koalition ist das aber ziemlich nebensächlich.
Es bleibt: ein ziemlich überflüssiger Gesetzentwurf
Und das BVerfG? Wie reagierte es auf die Reformpläne? Offiziell gar nicht. Es sei nicht Aufgabe der Richter, Vorschläge zum Wahlverfahren zu kommentieren, hieß es. Intern hatte man die Provokation aber durchaus verstanden und war entsprechend verstimmt. Manche Richter glauben sogar, das neue Verfahren werde die Wahl mainstreamiger Richter begünstigen, weil sich im Plenum leichter Widerstand organisieren lasse als im handverlesenen Wahlgremium. Öffentlich wurde solche Kritik jedoch nicht geäußert. Vor allem Präsident Voßkuhle konnte sich schlecht gegen einen Gesetzentwurf wenden, der immerhin seine alte wissenschaftliche Position aufnahm.
Inzwischen ist der Konflikt zwischen Politik und BVerfG auch fast schon wieder vergessen. Schlusspunkt war wohl ein Abendessen im Privathaus von Norbert Lammert, zu dem er im Oktober 2014 alle Verfassungsrichter sowie Rechtspolitiker aller Fraktionen eingeladen hatte. Das Gespräch sei dem Vernehmen nach angenehm und recht spannungsfrei verlaufen.
Was bleibt, ist ein ziemlich überflüssiger Gesetzentwurf, für den sich nun auch kaum noch jemand interessieren dürfte. Allenfalls wird es noch ein paar abfällige Kommentare von Leuten geben, die an echten Änderungen des Wahlverfahrens interessiert sind. So nannte die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried die Reform jüngst in der SZ eine "Mogelpackung" und verglich sie mit "des Kaisers neuen Kleidern".
Die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs wird im Bundestag vermutlich im März oder April stattfinden.
Christian Rath, Neuregelung der Verfassungsrichterwahl: Mal zeigen, wer das Sagen hat . In: Legal Tribune Online, 03.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14834/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
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