Reform der Besetzung des BVerfG: "Beteiligung" durch Abnicken

von Prof. Dr. Fabian Wittreck

31.03.2014

2/2: Wesentliche Entscheidungen sollen weiterhin im Ausschuss fallen

Das führt zu der Frage, ob die nunmehr in Rede stehende Reform erstens verfassungsrechtliche Probleme aufwirft (oder löst) und zweitens rechtspolitisch sinnhaft ist. Zunächst würde die Wahl durch das Plenum unzweifelhaft den Wortlaut des § 6 BVerfGG näher an den des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG rücken und insofern die verbreiteten Bedenken ausräumen. Auch diejenigen, die (wie der Verfasser) diese Bedenken nicht teilen, würden sich dem in verfassungsrechtlicher Perspektive kaum versagen.

Von der Warte der Rechtspolitik aus steuert die Reform einen Mittelkurs: Auf die Forderung nach einer intensiveren öffentlichen Debatte über die in Betracht kommenden Richterinnen und Richter bis hin zu deren Befragung im Ausschuss oder gar im Plenum geht sie nicht ein. Zwar soll die Wahl künftig im Bundestag erfolgen, dies jedoch, wie erwähnt, ohne Aussprache – und vor allem aus einer Liste von Kandidaten, die weiterhin vertraulich durch einen eigenen Ausschuss bestimmt wird.

Das Parlament wäre somit in der typischen Ratifikationssituation, in der es eine andernorts gefällte (Personal-)Entscheidung nur noch abnicken kann. Damit ist aber gleichzeitig der Gewinn des Manövers überschaubar: Die Entscheidung über die zukünftigen Verfassungsrichter wird weiterhin informell im Vorfeld getroffen, der Ausschuss gibt der Opposition Gelegenheit zur Kommentierung derselben, und das Plenum beglaubigt am Ende. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Auswahlprozesse der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben, dass die Wahl mit oder ohne Aussprache nicht eben der Schauplatz ist, auf dem sich die Frage nach etwaigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen der im Gespräch Befindlichen entscheidet…

Trotz oder wegen Auswahlverfahrens: Ruf des BVerfG ist exzellent

Das BVerfG erfreut sich national wie international eines fast makel-, auf jeden Fall eines beispiellosen Rufes. Die Debatte, ob es gerade im Begriff ist, durch seine Europa-Judikatur hieran etwas zum eigenen Nachteil zu ändern, sollte man aufmerksam verfolgen, aber auch nicht überbewerten. Mit anderen Worten: Das vermeintlich defizitäre Besetzungsverfahren hat bislang offenbar zu Ergebnissen geführt, die jedenfalls nicht aus vollem Halse nach einer Reform schreien. Das ist kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Möglicherweise zählt aber die Frage "Ausschuss oder Plenum?" nicht zu den augenblicklich drängendsten.

Aus Sicht des Verfassers könnte man stattdessen über die Zahl der Professorenrichterinnen und -richter nachsinnen, vor allem aber über ein Verteilungskartell, das die parteipolitische Wirklichkeit zunehmend verleugnet: Wenn Union und SPD tatsächlich ein Zeichen in Sachen "demokratischer" Besetzung des BVerfG setzen wollen, wären sie gut beraten, die derzeit marginalisierte Opposition bei den im Laufe der Legislaturperiode freiwerdenden Stellen in Karlsruhe zu berücksichtigen (womöglich gar die Linke?). Die nunmehr angesonnene Wahl durch das Plenum ist demgegenüber bloße Kosmetik.

Der Autor Prof. Dr. Fabian Wittreck ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Fabian Wittreck, Reform der Besetzung des BVerfG: "Beteiligung" durch Abnicken . In: Legal Tribune Online, 31.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11498/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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