Der BGH hat es für ausnahmsweise zulässig gehalten, dass eine Verbraucherzentrale die Sparkasse, über welche der Betreiber einer Internet-Kostenfalle seine Geldgeschäfte abwickelt, zur Kündigung von dessen Girokonto aufgefordert hat. Im Ergebnis völlig richtig, meint Martin Schmidt-Kessel. Die Begründung hält er aber für zweifelhaft und eine gesetzliche Regelung für dringend geboten.
Verbraucherzentralen gehören zu den wichtigsten Akteuren des Verbraucherschutzes. Sie sind nicht nur die von der Öffentlichkeit häufig stark wahrgenommene Interessenvertretung der Verbraucher gegenüber der Politik und in der öffentlichen Debatte. Ihnen stehen auch wichtige formelle und informelle Instrumente zur Verfügung, mit denen sie verbraucherschützende Standards gegenüber einzelnen Unternehmen durchsetzen können.
Die beklagte Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz nutzte eines dieser Mittel, als sie die Sparkasse Heidelberg aufforderte, das Konto eines Inkassounternehmens zu kündigen und zu sperren. Das Unternehmen trieb angebliche Forderungen für eine GmbH ein, welche im Internet einen Routenplaner-Service betrieb, über dessen Kostenpflichtigkeit sie die Nutzer nach Ansicht der Verbraucherzentrale täuschte.
Trotz Anfechtung eines angeblichen Vertrags erhielt ein Verbraucher mehrere Mahnungen von dem mit der Einziehung der Forderung beauftragten Inkassounternehmen. Dessen Unterlassungsklage gegen das Schreiben der Verbraucherzentrale an die Sparkasse Heidelberg, in dem sie diese aufrief, das Konto des Betreibers der Internetseite zu kündigen, scheiterte vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Ausnahmsweise zulässig, urteilten die Karlsruher Richter am Donnerstag, weil das Inkassounternehmen sich bewusst an der Durchsetzung eines Geschäftsmodells beteiligt habe, das auf systematische Täuschung von Verbrauchern angelegt sei (BGH, Urt. V. 06.02.2014, Az. I ZR 75/13 – Aufruf zur Kontokündigung).
Von der Unterlassungsklage bis zum öffentlichen Aufruf
Mit der Unterlassungsklage nebst vorgeschalteter Abmahnung haben die Verbraucherzentralen bereits große Erfolge erzielt. Teilweise üben sie die Unterlassungsklagebefugnis auch im Auftrag des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) aus.
Spätestens hier werden sie nicht mehr nur im Gruppeninteresse zum Schutze der Verbraucher, sondern im Interesse der Allgemeinheit tätig. Die Große Koalition erwägt, Verbraucherverbände auch mit dem Recht zu einem so genannten super complaint auszustatten. So könnten sie auch Verwaltungsbehörden zum Vorgehen gegen verbraucherrechtswidrig handelnde Unternehmer veranlassen. Neben diesen förmlichen Rechten verfügen die Verbraucherzentralen über ein effektives Instrumentarium informeller Art: Warnungen an die Öffentlichkeit vor gefährlichen Produkten, Dienstleistungen oder auch Anbietern sind ebenso an der Tagesordnung wie informelle nichtöffentliche Aufforderungen an einzelne Unternehmen, ihr Verhalten zu ändern.
Meist verbunden mit einer Abmahnung fordern Verbraucherzentralen gelegentlich einzelne Unternehmen aber auch öffentlich dazu auf, ihr Verhalten zu ändern. Die Reputation des Unternehmens kann dadurch stark beeinträchtigt werden, so dass solche Aufforderungen auch für die Verbraucherzentralen nicht ohne Haftungsrisiko sind.
Die Grenzen: Gerade noch legales Handeln zu Lasten von Verbrauchern
Seit einiger Zeit treten freilich verstärkt Konstellationen auf, in denen die grundsätzlich effektiven Instrumentarien der Verbraucherverbände an ihre Grenzen stoßen.
Dabei geht es um Geschäftsmodelle, die auf dem massenhaften Ausnutzen von Schwächen der Verbraucher und der sie schützenden Rechtsordnung beruhen. Fälle dieser Art sind jedem Juristen und auch der breiten Öffentlichkeit etwa als Kostenfallen im Internet, unverlangte Zusendung von Waren, Filesharing-Abmahnungen oder Gewinnzusagen bekannt.
In all diesen Konstellationen könnte sich ein kundiger Verbraucher durch sachgerechtes Verhalten durchaus selbst schützen. Zudem bewegt sich das Verhalten der Betreiber dieser Geschäftsmodelle in der Regel gerade noch im legalen Bereich – jedenfalls zu Beginn einer solchen Entwicklung.
Dadurch sind den Verbraucherverbänden beim Vorgehen gegen einzelne Unternehmen die Hände gebunden. Einzelfallreaktionen des Gesetzgebers wie die Regelung betreffend unverlangt zugesandte Waren (§ 241a Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) oder der Umgang mit Gewinnzusagen (661a BGB) sind die Folge. Für die Zukunft wirken sie meist recht effektiv, kommen jedoch für einen Großteil der Verbraucher zu spät.
2/2: Wie weit darf der Druck durch die Verbaucherzentrale gehen?
Auf der Suche nach Angriffsmöglichkeiten gegen diese sehr schwer zu fassenden Geschäftsmodelle haben sich die Verbraucherzentralen nun – mit Recht – deren Infrastruktur vorgenommen. Dazu zählen in aller Regel auch Zahlungsdienstleister, also meistens eine Bank, über welche die eingehenden Zahlungen der Verbraucher abgewickelt werden. An diese, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall die Sparkasse Heidelberg, versuchen die Verbraucherzentralen sich nun zu wenden.
Dabei stellen sich schwierige Zurechnungsfragen, zumal der der Zahlungsdienstleister regelmäßig über die Gründe der bei ihm eingehenden Zahlungen gar nicht im Bilde ist. Dieser Aspekt ändert sich freilich spätestens im Moment der Aufforderung zur Sperrung und Kündigung des Kontos.
Gibt nun der Zahlungsdienstleister dem auf ihn ausgeübten (teilweise auch öffentlichen) Druck nach, kommt es zu einem weitreichenden Eingriff in die Infrastruktur des Betreibers des Geschäftsmodells respektive des zwischengeschalteten Inkassounternehmens. Dieser ist sehr effektiv und belastend, die Parallele zur Kundenpfändung gegen saumselige Unterhaltsschuldner offensichtlich.
BGH: Meinungsfreiheit der Verbraucherschützer rechtfertigt Kündigungsaufforderung
Die Frage nach den rechtstaatlichen Grenzen eines solchen Vorgehens liegt auf der Hand. Der BGH hat am Donnerstag auf die Meinungsfreiheit der Verbraucherverbände abgestellt und diese über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Grundrechten der betroffenen Zahlungsdienstleister, Inkassounternehmen und Betreiber des Geschäftsmodells koordiniert.
Dieses Vorgehen ist nicht selbstverständlich: Zum einen hätten die Karlsruher Richter angesichts der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben das Handeln der Verbraucherzentrale als verwaltungsrechtliches qualifizieren können. Das entspräche auch den den Verbänden eingeräumten weitreichenden Sonderbefugnissen, die funktional verwaltungsrechtlichen Untersagungsverfügungen durchaus nahe kommen.
Man wird zum anderen auch fragen dürfen, ob bei der Ausübung öffentlicher Interessen die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz wirklich die richtige Rechtfertigung für den Eingriff in die Grundrechter Privater bietet.
Beide Punkte machen es nötig, dass sich der Gesetzgeber des Instruments der Aufforderung zur Vertragsbeendigung annimmt. Denkbar wäre es, etwa das Unterlassungsklagegesetz entsprechend zu erweitern.
Der Gesetzgeber muss es richten
Dabei könnte man in Berlin aber gut auf die in Karlsruhe entwickelten materiellen Grundsätze zurückgreifen: Der 1. Senat des BGH betont zunächst, dass die Verbraucherzentrale eigentlich hätte den Rechtsweg beschreiten müssen, um ein ihres Erachtens rechtswidriges Verhalten des Inkassounternehmens zu unterbinden.
Die Abweichung von diesem Vorrang des (Zivil-)Rechtswegs rechtfertigt der Senat damit, dass das klagende Inkassounternehmen sich bewusst an dem problematischen Geschäftsmodell beteiligt habe. Damit zieht der BGH enge Grenzen: Die öffentliche Aufforderung zur Vertragsbeendigung erlaubt den Verbraucherverbänden nämlich keine risikolose Klärung der Rechtslage. Vielmehr bleiben die mit solchen Aufforderungen verbundenen Haftungsrisiken virulent.
Bei einer gesetzlichen Regelung solcher Aufforderungen hätte der Gesetzgeber auch die Chance, dieses hilfreiche Instrument dadurch zu stärken, dass die richterlich notwendig sehr rigiden Anforderungen überprüft werden.
Bis dahin wird das Instrument der Vertragsbeendigungsaufforderung an den Zahlungsdienstleister nur begrenzte Wirkungen entfalten können. Immerhin: Auch das schlichte Zur-Verfügung-Stellen der Infrastruktur kann bekämpft werden. Hier sind die Zahlungsdienstleister – auch das ist deutlich geworden – in der Mitverantwortung.
Der Autor Prof. Martin Schmidt-Kessel ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Verbraucherrecht und Privatrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Bayreuth.
Prof. Martin Schmidt-Kessel, BGH billigt Vorgehen gegen Bank eines Internet-Abzockers : Verbraucherzentrale darf zur Kündigung eines Girokontos auffordern . In: Legal Tribune Online, 07.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10928/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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