Lange musste viel Geld mitbringen, wer überhaupt nur Gerichtsreferendar werden wollte. Der "Unterhaltszuschuss" für angehende Juristen ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, deren politische und soziale Dimension in heutigen Streitigkeiten ein bisschen zu kurz kommt.
Nein, das juristische Fach sei kein "Sammelbecken seniler, resignierender Naturen, die aus vorweggenommener Lebensangst in jungen Jahren Rentenempfänger des Staates werden, um der Sorge eines selbst gestalteten Lebens enthoben zu sein und das Wagnis eigener Berufsinitiative nicht eingehen zu müssen". Zumal dem angehenden Gerichtsreferendar vor noch nicht langer Zeit zusammen mit der Ernennung ein Merkblatt ausgehändigt worden sei, auf dem es hieß: "Mit Unterhaltszuschuß haben Sie nicht zu rechnen." Und auch die jährlich abverlangte dienstliche Erklärung über Nebeneinkünfte schien dem angehenden Juristen suspekt – für unwahrscheinlich hielt er es, sie in nennenswerter Höhe zu erwirtschaften.
Ein wenig in Rage schrieb sich ein Gerichtsreferendar namens Günter Edelmann im Frühjahr 1954 – und adressierte seine Aufwallung an die Redaktion der Juristenzeitung (1954, S. 187). Trotz der Abneigung der NS-Führung gegen Juristen habe er Jura studiert. Er war aus Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in "den Bergwerken Mittelasiens" und den "Lagern Sibiriens" heimgekehrt, musste um seine erneute Studienzulassung kämpfen, nur um nun von einem bayerischen Ministerialdirigenten lesen zu müssen, das Gerichtsreferendariat dürfe nicht zur Wohlfahrtsveranstaltung werden?
Kriegsteilnehmer widerspricht dem Ministerialdirigenten
Den Unmut des – nach Krieg, Gefangenschaft und von Neuem absolvierten Studium selbst nicht mehr ganz jungen – Gerichtsreferendars aus Darmstadt erregte ein Aufsatz des Münchener Ministerialdirigenten W. Rößner in der Juristenzeitung, der unter dem Titel "Was ist der Vorbereitungsdienst der Referendare?" eine schon seinerzeit recht knorrig regierungsselige Position zum praktischen Teil der Juristenausbildung eingenommen hatte (1954, S. 25-29).
Aus dieser Zeit haben heute aktive Juristen spontan vielleicht nur das berühmte Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts (v. 11.06.1958, Az. 1 BvR 596/56) vor Augen. Das ist ein bisschen schade, weil die Auseinandersetzung um den Zugang zum Beruf, geführt zwischen dem couragierten Gerichtsreferendar und dem konservativen Ministerialdirigenten, manchem vielleicht doch etwas näher geht als der berufsgrundrechtliche Schicksalsweg deutscher Pharmazeuten – vom honorigen Dorfapotheker mit staatlicher Zugangsbeschränkung zum Tablettenverkäufer an jeder zweiten städtischen Straßenecke.
Dem Münchener Ministerialdirigenten seinerseits war ein Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf zuwider (v. 10.12.1952, Az. 1 K 135/52), mit dem einer schon etwas reiferen Jungjuristin gut ein Jahr zuvor der Weg ins Referendariat geebnet worden war: 1911 geboren, hatte sie 1934 die erste Staatsprüfung mit "befriedigend" bestanden – nach dem damaligen Notensystem eine "immer noch über dem Durchschnitt liegende Leistung".
Warum sie 1936 aus dem Referendariat ausschied, dazu lässt sich spekulieren. Im "Palandt-Richter-Stagel", dem Kommentar zur Juristenausbildungsordnung des Reiches (JAO) heißt es: "Der Führer hat entschieden, daß Frauen zum Richteramt, zur Staatsanwaltschaft und zur Rechtsanwaltschaft und zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr zugelassen werden; auch das Notariat ist ihnen praktisch verschlossen." 1952 stand die abgebrochene Referendarin jedenfalls da, zwei Kinder, der Mann 1944 im Krieg geblieben und wäre mit 41 Jahren zu alt für die Zulassung zum Referendariat gewesen, hätte das Landgericht Düsseldorf die starre Altersgrenze von 35 Jahren nicht mit Blick auf Art. 12 Grundgesetz gekippt.
Düsseldorf gibt Referendariat ein wenig frei
Der Beschluss der Düsseldorfer Verwaltungsrichter lässt sich als früher Beleg für die Auseinandersetzung um Altersgrenzen, angeblich nachlassende geistige Fähigkeiten älterer Herrschaften – was hier für die über 35-Jährigen unterstellt wurde – sowie für den Streit in der jungen Grundrechtsdogmatik der Bundesrepublik Deutschland um die Frage lesen, in welchem Ausmaß der Staat schon in den Zugang zu Berufen begrenzend und regulierend eingreifen dürfe.
Beschränken wir uns hier auf die putzigen Seiten des Münchener Ministerialdirigenten, der die Sache 1954 noch nicht durch die Brille einer ausgeklügelten Dogmatik, sondern die Juristenausbildung vor ihrem historischen Hintergrund sah.
Ein Gerichtsreferendar sei, stellt der Ministerialdirigent mit einem Blick in den Kommentar zur JAO von 1939 fest, zunächst einmal ein Beamter. Bis dahin war das gar nicht selbstverständlich – so wenig wie heute wieder –, denn § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sah im Wesentlichen nur vor, dass die "Fähigkeit zum Richteramt … durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt" wird, wobei der ersten Prüfung ein dreijähriges Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität vorausgehen müsse. Über den Vorbereitungsdienst heißt es im GVG § 2 Abs. 3: "Zwischen der ersten und zweiten Prüfung muß ein Zeitraum von drei Jahren liegen, welcher im Dienste bei den Gerichten und bei den Rechtsanwälten zu verwenden ist, auch zum Teil bei der Staatsanwaltschaft verwendet werden kann."
Den Bundesstaaten des Kaiserreichs, also den Vor-Vorgängern unserer (Bundes-)Länder, blieb nach dem 1878 in Kraft gesetzten GVG recht freie Hand, die Details zu regeln, was Folgen für die Sozialstruktur der Richterschaft hatte. In Preußen waren beispielsweise bis 1911 für die Zulassung zum Referendariat 7.500 Mark zu hinterlegen und nachzuweisen, dass jährlich ein "standesgemäßer" Unterhalt von 1.500 Mark bereitstünde. Ein gutes Facharbeiter-Einkommen lag zu dieser Zeit bei vielleicht 1.200 Mark im Jahr. Leisten konnten sich den Zugang zum Vorbereitungsdienst natürlich nur die Söhne aus begüterten bürgerlichen und adeligen Familien.
2/2: Otto Palandts sagenhaftes Reichsreferendariat
Einen tiefen Bruch mit der 1878 etablierten Juristenausbildung brachte der NS-Staat nach 1933. Zur neuen Justizausbildungsverordnung des Reiches (JAO) brachte der Präsident des Reichs-Prüfungsamtes, Dr. Otto Palandt – bekannt, weil er bis heute einem grauen Kommentarbackstein seinen Namen leiht, einen Kommentar heraus, der allenthalben von der Kameradschaftlichkeit des Juristennachwuchses im neuen Staate schwärmte. Wandern, Jugendherbergen und Lagerleben standen auf dem Programm, junge Richter sollten als kameradschaftliche Führer ihrer Referendare dienen. Für das Entree zum Referendariat gab die JAO vor:
"(1) Wer sich zur ersten juristischen Staatsprüfung meldet, soll mit Volksgenossen aller Stände und Berufe in enger Gemeinschaft gelebt, die körperliche Arbeit kennen und achten gelernt, Selbstzucht und Einordnung geübt und sich körperlich gestählt haben. Er soll sich im Arbeits- und Wehrdienst bewährt haben. […] (3) Es wird erwartet, daß er das SA-Sportabzeichen erwirbt."
Der JAO-Kommentar gibt, da hatte die Gemeinschaft ihre Grenzen, Ratschläge, wie der Ausschluss sogenannter Nichtarier vom Vorbereitungsdienst zu leisten sei: Die Taufscheine aller vier Großelternteile bzw. der "Ahnenpass" waren beizubringen, bei einem "jüdisch klingenden Nachnamen" sei den Herren Oberlandesgerichtspräsidenten als Ausbildungsbehörden besondere Aufmerksamkeit zu empfehlen. Seitenweise offenbaren sich Otto Palandts leicht groteske Züge: Der junge Richter solle neben "Zivilcourage" lernen, seine Mitmenschen zu lieben.
Dazu passt die für einen juristischen Kommentar ungewöhnliche, eher onkelhafte Ich-Form, wenn es um das Wohl der "jungen Rechtswahrer" geht. "Im übrigen bitte ich", heißt es im Palandt-Richter-Stagel mehr als einmal. Gegenstand der Bitte ist die Gewährung von Unterhaltszuschüssen in der einen oder anderen Lebenslage. Die Höchstsätze für den "Unterhaltszuschuß" liegen zwischen 140 Reichsmark (Ortsklassen B-D, 1. Jahr des Referendariats) und 170 Reichsmark (Ortsklassen S und A, 3. Jahr). Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Fehlt der Leistungswille, kann der Zuschuss gekürzt oder verweigert werden. Leistungswillen lässt erkennen, wer eine gefestigte NS-Weltanschauung unter Beweis stellt.
Mit Bayern zurück ins Kaiserreich?
Beim Ministerialdirigenten bleibt von alldem 1954 nur die Einsicht, dass der Referendar ein Beamter ist. Damit sei es Aufgabe der Exekutive (!), über die Zulassungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst zu entscheiden. Überhaupt sei es der hohen Qualität der beschränkten Zulassung zum Referendariat zu verdanken, dass auch der außerhalb des eigentlich anzustrebenden Staatsdienstes tätige "Volljurist" – Rößler setzt dies in die Anführungszeichen des Anstößigen – überhaupt zu etwas tauge.
Im Kaiserreich mussten angehende Juristen aus vermögenden Familien stammen, der NS-Staat bezahlte seine Referendare, aber nur die "rassisch" und nach Möglichkeit weltanschaulich Lupenreinen. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik sah man im Unterhalt für Referendare – jedenfalls aus einer bayerischen Perspektive – eine Bedrohung für die staats- bzw. regierungsdienlichen Auslese des Juristennachwuchses. Wer weiß, was ohne den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung im Westdeutschland der 1950er-Jahre geschehen wäre. Die strikte Staats- bzw. Regierungsorientierung der Juristenausbildung hatte jedenfalls noch ihre Anhänger.
Ist es heute vielleicht ein Vorzeichen dafür, dass im Vergleich zu Ingenieurs- oder Wirtschaftsberufen die juristischen Professionen weiter an Bedeutung verlieren, wenn bei der Unterhaltsfrage meist auf das Portemonnaie der Referendare fokussiert wird – und weniger auf die historische und politische Dimension der "Fähigkeit zum Richteramte" (§ 2 GVG 1878)?
Martin Rath, Unterhaltszuschuss: Un(ter)versorgte Referendare . In: Legal Tribune Online, 08.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12200/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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