OLG Stuttgart verhandelt Umsturzpläne der Prinz Reuß-Gruppe: "Kein Schau­pro­zess in der Turn­halle"

von Dr. Christian Rath

19.04.2024

Das gab es noch nie: Gleich drei Oberlandesgerichte verhandeln parallel über eine bisher unbekannte Terrororganisation. Den Start macht am Montag das Oberlandesgericht Stuttgart.

"Stammheim" ist geradezu zum Synonym für große Terror-Prozesse gegen die RAF geworden. Auch das erste Verfahren gegen mutmaßliche Verschwörer um Heinrich XIII Prinz Reuß wird nun in Stuttgart-Stammheim stattfinden. Allerdings steht das alte "Mehrzweckgebäude", das 1975 für das Verfahren gegen die erste RAF-Generation um Gudrun Ensslin und Andreas Baader gebaut wurde, kurz vor dem Abbruch.

Seit fünf Jahren gibt es in Stuttgart-Stammheim ein neues "Prozessgebäude" für Hochsicherheitsprozesse. OLG-Präsident Andreas Singer führte an diesem Freitag stolz Journalist:innen durch das Gebäude. "Zwei Säle für Staatsschutzprozesse, das hat kein anderes OLG." So können auch mehrere Großverfahren parallel abgewickelt werden.

Kein Wunder, dass die Prozess-Serie gegen die Prinz-Reuß-Gruppe am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart beginnt. Die Bedingungen seien dort "einfach ideal", sagte Singer und dankte auch Justizministerin Marion Gentges (CDU), dass das OLG jüngst fünf Richterstellen für einen weiteren Staatsschutzsenat erhielt. Von sieben Strafsenaten des OLG Stuttgart sind sechs (auch) mit Staatsschutz-Prozessen beschäftigt.

Jeden Monat ein neuer Prozess

Derzeit sind im Zusammenhang mit der Prinz-Reuß-Gruppe bundesweit 27 Personen angeklagt und in Untersuchungshaft. Es gibt aber nicht einen riesigen Mammut-Prozess, sondern drei parallele Großprozesse an den OLGs in Stuttgart, Frankfurt/M. und München. Gemeinsamer Kern ist der Vorwurf, die rechtsextreme Gruppe habe einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant und dabei auch Tote in Kauf genommen. Die Gruppe, die ideologisch von der Reichsbürgerbewegung beeinflusst ist, hatte sich hilfesuchend auch an russische Stellen gewandt.

Am Montag wird das Verfahren gegen neun Angeklagte am OLG Stuttgart starten, die zum "militärischen Arm" der Gruppe gehören. Vorgeworfen wird ihnen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereiningung gem. § 129a Strafgesetzbuch (StGB) und die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gem. § 83 StGB.

Dem OLG Stuttgart wird das große öffentliche Interesse wohl nur bis zum 21. Mai gelten, denn dann beginnt am OLG Frankfurt/M. der zweite Prozess, bei dem die Rädelsführer um Prinz Reuß auf der Anklagebank sitzen. Zu diesem "Rat" der Gruppe gehört auch die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die nach dem Umsturz Justizministerin werden sollte. Zehn Personen sind in Frankfurt angeklagt.

Weitere acht mutmaßliche Mitglieder der mutmaßlichen Vereinigung müssen sich ab dem 18. Juni am OLG München verantworten. Der gestufte Auftakt der Prozesse habe sich zufällig ergeben, so der Stuttgarter OLG-Präsident Singer.

Dass es drei parallele Prozesse geben wird, hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe entschieden. Singer findet das aber gut. So sei ausreichend Zeit, auf die individuelle Situation und die Tatbeiträge jedes Angeklagten einzugehen. "Wir wollen das ja rechtsstaatlich machen", betonte Singer, "wir wollen keinen Schauprozess in einer Turnhalle".

Der militärische Arm

Bei Organisationsdelikten wie hier haben die Prozesse immer zwei große Themen der Beweisaufnahme. Zum einen geht es um die Vereinigung, ihre Gründung, ihre Strukturen und die internen Willensbildungsprozesse. Daneben geht es aber auch um die Einbindung der einzelnen Angeklagten und ihre individuellen Tatbeiträge.

Meist sind bei Terrorprozessen die wesentlichen Merkmale der Vereinigung bekannt. Prozesse gegen zum Beispiel die kurdische PKK oder die tamilisichen LTTE gibt es schon lange. Hier kann man auf Feststellungen aus anderen Urteilen zurückgreifen, wenn diese noch nicht allzu alt sind. In den Parallel-Verfahren zur Prinz-Reuß-Gruppe müssen die Basics zur Vereinigung jedoch in jedem der drei Prozesse getrennt festgestellt werden. Ein Bindeglied für den Transfer von Informationen bilden dabei die Ankläger:innen der Bundesanwaltschaft, die überall dabei sind.

Der Stuttgarter Prozess beginnt mit der Aufarbeitung einer Schießerei im März 2023 in Reutlingen. Der Angeklagte Markus L., der nicht mit den meisten anderen im Dezember 2022 verhaftet worden war, wehrte sich gegen eine Hausdurchsuchung und schoss mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr auf Polizisten und verletzte zwei von ihnen. Er ist nun zusätzlich wegen versuchtem Mord angeklagt.

Der Vorfall von Reutlingen könnte auch für die anderen Angeklagten relevant sein. Denn er dürfte als Beleg dafür dienen, dass die Prinz-Reuß-Gruppe wirklich bereit war, schwerste Verbrechen zu begehen. Der eigentliche Umsturz kam ja nicht über ein eher vages Planungsstadium hinaus.

Wenn die Prüfung der Schießerei von Reutlingen abgeschlossen ist, geht es in Stuttgart vor allem um den "militärischen Arm" der Gruppe. Freilich ist dessen Leiter Rüdiger von Pescatore, ein Ex-Offizier, in Frankfurt angeklagt, weil er auch zum Rat, der Führungsgruppe, gehörte.

Zum militärischen Arm sollten mittelfristig 286 Heimatschutzkompanien gehören. Als die Polizei zuschlug, hatte die Vereinigung bereits 382 Schusswaffen gehortet, mit 148.000 Munitionsteilen. Konkret wird es wohl vor allem um die Schutzkompanie 221 gehen, die für den Landstrich zwischen Tübingen und Freudenstadt zuständig sein sollte.

Angeklagte hinter Glas

Die neun Angeklagten in Stuttgart haben 22 Anwält:innen, darunter vier Wahlverteidiger:innen. Die Angeklagten sind in unterschiedlichen Gefängnissen rund um Stuttgart untergebracht, um Absprachen zu verhindern. Sie müssen also für jeden Verhandlungstag nach Stuttgart gefahren werden.

Im Stuttgarter Prozess sind über 300 Zeug:innen benannt, darunter 270 Polizist:innen. Auch die 18 Angeklagten der beiden anderen Prozesse könnten, wenn sie aussagen wollen, als Zeug:inen in Stuttgart vernommen werden.

Wegen des brisanten Prozessstoffs sind die Sicherheitsvorkehrungen streng. Die Angeklagten sitzen in einem per Glasschreibe abgetrennten Bereich des Verhandlungssaals. Mit ihren Anwält:innen können sie sich nur über eine Sprechanlage unterhalten. Auch der Zuschauerraum ist durch eine (allerdings nur halbhohe) Glasscheibe abgetrennt.

Der Prozess ist zunächst bis Anfang 2025 terminiert. Zwei mal wöchentlich soll verhandelt werden. Wie lange das Verfahren am Ende wirklich dauert, lässt sich noch nicht abschätzen.

Zitiervorschlag

OLG Stuttgart verhandelt Umsturzpläne der Prinz Reuß-Gruppe: "Kein Schauprozess in der Turnhalle" . In: Legal Tribune Online, 19.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54373/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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