Die StA Mainz ermittelt gegen Boehringer Ingelheim. Außerdem in der Presseschau: Änderung der Parteienfinanzierung noch in diesem Jahr, Nationalhymne im Grundgesetz und EGMR-Urteile unter Vorbehalt.
Thema des Tages
StA Mainz – Medikamentenzulassung: Verantwortlichen des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim wird vorgeworfen, die Europäische Zulassungsbehörde für Medikamente (EMA) sowie Ärzte und Patienten hinsichtlich des Gerinnungshemmers Pradaxa getäuscht zu haben. Deshalb ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Mainz, berichtet das HBl (Jan Keuchel - Onlineversion). Bereits 2011 soll es innerhalb des Unternehmens Erkenntnisse über mögliche gefährliche Fehldosierungen gegeben haben, die eine regelmäßige ärztliche Kontrolle erforderlich machen würden. Die Erkenntnisse aus der Studie eines Wissenschaftlers des Unternehmens sollen der EMA im Zulassungsverfahren nicht weitergereicht worden sein. Außerdem werde Pradaxa gerade mit der Unabhängigkeit von ärztlicher Kontrolle beworben. Eine Person soll bereits verstorben sein.
Rechtspolitik
Parteienfinanzierung: Wie die Samstags-FAZ (Eckart Lohse) berichtet, soll die Parteienfinanzierung im Parteiengesetz noch in diesem Jahr neu geregelt werden. Reiner Umsatz aus wirtschaftlicher Tätigkeit werde danach nicht mehr als Grundlage für staatliche Zuschüsse ausreichen. Damit sollen dubiose Geschäftspraktiken wie der Goldhandel der AFD unterbunden werden.
Verbrauchermusterklage: Die FAZ (Joachim Jahn) stellt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vor, in dem die rechtlichen Möglichkeiten für VW-Käufer und dem deutschen Staat in Hinblick auf die Abgas-Affäre untersucht werden. Für Verbraucher sei es schwierig, gegen einen Konzern wie VW vorzugehen, habe die SPD betont. Notwendig sei daher eine Musterklage für Verbraucher, wie es sie für Kapitalanleger gebe.
Nationalhymne: Auf einen Antrag der Jungen Union, den die CDU aller Voraussicht nach annehmen wird, soll die Nationalhymne neben der Bundesflagge als Staatssymbol in Artikel 22 Grundgesetz festgeschrieben werden. Darüber und über die Geschichte der Nationalhymne ohne Verfassungsrang schreibt die Montags-SZ (Robert Roßmann).
Katholisches Arbeitsrecht: Bundesjustizminister Heiko Maas hat laut Montags-taz weitere Reformen des Arbeitsrechts der katholischen Kirche gefordert, die auch die Praxis der Kündigungen von Wiederverheirateten und Homosexuellen in den Blick nehmen sollen.
Leiharbeit/Werkverträge: Der Focus (Tatjana Heid) erläutert die Pläne der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zur Regelung von Leiharbeit und Werkverträgen. Die Leiharbeit soll künftig auf 18 Monate begrenzt werden. Außerdem sollen acht Kriterien zur Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitsverhältnissen gesetzlich festgelegt werden.
Frontex: Nach einem Bericht der FAS (Thomas Gutschker) will die Europäischen Kommission bis zum 15. Dezember einen Entwurf zur Stärkung des europäischen Grenzschutzes erarbeiten. Die Agentur Frontex solle mit weitergehenden Befugnissen ausgestattet werden und auch dann eingreifen dürfen, wenn der betroffene Mitgliedsstaat den Einsatz nicht angefordert habe. Deutschland und Frankreich forderten zudem, dass Mitgliedsstaaten Kontingente für den Grenzschutz ausweisen müssen und Frontex Zugriff auf alle nationalen und europäischen Datenbanken bekommt.
Militäreinsatz in Syrien: Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) geht der Frage nach, ob sich die Bundesregierung beim Syrien-Einsatz auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht, die Beistandsverpflichtung und UN-Resolutionen berufen könne und welche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Einsatz bestehen. Die größte Aussicht auf Erfolg hätte danach eine individuelle Verfassungsbeschwerde eines Soldaten. Auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof) hält eine Normenkontrollklage oder ein Organstreitverfahren für wenig aussichtsreich.
Muslimische Religionsgemeinschaften: Die Montags-FAZ (Reiner Burger) befasst sich mit der Frage nach der Anerkennung muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaften. In Nordrhein-Westfalen werde geprüft, ob die Verbände dort anerkannt werden können. Volker Beck und Cem Özdemir (beide Grüne) argumentieren in einem Thesenpapier dagegen, auch weil die Vereine nicht von einem Bekenntnis geprägt seien.
Cannabis: Die FAS (Corinna Budras) nimmt die geplante Cannabis-Legalisierung in Kanada zum Anlass, die deutsche Rechtslage zu reflektieren. Die Kriminalisierung werde seit langem in Expertenkreisen und auch unter Politikern kritisiert, jedoch finde sich derzeit keine Mehrheit für eine Reform.
Safe-Harbor-Abkommen: Die Montags-FAZ (hkm) sprach mit der EU-Justizkommissarin Věra Jourová über die Pläne für ein neues Safe-Harbor-Abkommen. Beim staatlichen Zugriff auf die Daten in den USA müsse das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt und eine richterliche Kontrolle gewährleistet sein, außerdem solle das Abkommen eine "Aussetzungsklausel" enthalten. Auf amerikanischer Seite seien Hürden gegen Massenüberwachung durch Geheimdienste erforderlich, die auch für Europäer gelten, sowie eine bessere Zusammenarbeit der Datenschutzbehörden beider Parteien.
Bund-Länder-Finanzausgleich: Die Ministerpräsidenten der Länder haben einen Vorschlag zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorgelegt. Der bisherige Finanzausgleich läuft 2019 aus. Wie unter anderem die Samstags-FAZ (Manfred Schäfers) und die Samstags-taz (Hannes Koch) schildern, fordern die Länder vor allem eine größere Beteiligung des Bundes. Der bisherige Umsatzsteuervorausgleich solle gänzlich entfallen. Die Samstags-FAZ (Jasper von Altenbockum) erklärt in einem separaten Beitrag den Mechanismus des Umsatzsteuervorausgleichs. Im Politik-Teil stellt die Samstags-FAZ in mehreren Einzelbeiträgen die Reaktionen in den einzelnen Bundesländern zusammen.
Fluggastdaten: Über die Einigung der Innenminister der EU-Länder zur Fluggastdaten-Speicherung berichtet nun auch spiegel.de (Markus Becker) und die Samstags-SZ (Thomas Kirchner). Passagierdaten (PNR) wie Name und Kreditkartennummer sollen künftig für sechs Monate gespeichert werden können. Nach der Zustimmung des EU-Parlaments könnte die PNR-Richtlinie Anfang des Jahres verabschiedet werden.
Justiz
BSG zu Existenzminimum für Unionsbürger: Die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe für EU-Zuwanderer bespricht Rechtsprofessorin Constanze Janda auf lto.de. Das BSG hatte vergangene Woche entschieden, dass EU-Ausländer zwar das Arbeitslosengeld II versagt werden kann, sie aber einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, wenn ihr Aufenthalt sich verfestigt hat. Das BSG greife mit dem Erfordernis der Verfestigung auf ein Kriterium des Europäischen Gerichtshofs zurück, wonach ein Anspruch auf Grundsicherung bestehe, wenn der Zuwanderer eine tatsächliche Verbindung zu einem Staat habe. Auch die Samstags-FAZ (Jan Hauser/Joachim Jahn) erläutert die Rechtslage und das Urteil. Joachim Jahn (Samstags-FAZ) merkt an, dass die Lage der Asylbewerber, denen das Bundesverfassungsgericht das Existenzminimum zugesprochen hatte, und die der EU-Ausländer sich unterscheide. Letztere seien nicht bedroht und könnten in ihr Herkunftsland zurückkehren.
BVerfG zu Zustellung: Wie lto.de meldet, hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zustellung einer in den USA erhobenen Klage gegen ein deutsches Unternehmen nicht zur Entscheidung angenommen. Das Unternehmen wurde auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu menschenrechtsverletzenden Maßnahmen des Apartheid-Regimes in Südafrika verklagt. Weil die Klage in den USA abgewiesen wurde, fehle dem Beschwerdeführer das Rechtsschutzbedürfnis.
BAW – IS-Kämpfer: Der Focus (Axel Spilcker) berichtet über die Aussage des ehemaligen IS-Kämpfers Nils D. bei der Bundesanwaltschaft. In der Vernehmung habe er über den gewaltvollen Alltag im Herrschaftsbereich des IS Auskunft gegeben; Folterpraktiken und Exekutionen seien auf der Tagesordnung.
FG Bln/Bbg – Bettensteuer: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat laut Montags-SZ den Prozess wegen der Berliner Bettensteuer verschoben, weil es zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hamburger und Bremer Regelungen abwarten will.
LG Ravensburg – "bekömmlich": Nachdem es im Eilverfahren die Nutzung des Begriffs "bekömmlich" zur Bewerbung von Bier untersagt hatte, wird das Landgericht Ravensburg ab dem 22. Januar im Hauptsacheverfahren zu dieser Frage verhandeln. Das meldet die Montags-SZ.
LG Würzburg – Mario F.: Die Samstags-SZ (Olaf Przybilla) berichtet von einem Verfahren gegen das Bandidos-Mitglied Mario F. vor dem Landgericht Würzburg, das an diesem Montag fortgesetzt wird. In seiner Aussage behauptete er, er habe als V-Mann des Landeskriminalamts und mit dessen Wissen mit Drogen gehandelt, um die Verbindung zu den Bandidos aufrechtzuerhalten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen sechs Beamte des LKA Bayern.
LG Verden – Mord durch Unterlassen: Der Spiegel (Julia Juttner) bringt einen Prozessbericht zu einem Verfahren vor dem Landgericht Verden. Angeklagt sind Tochter und Ehemann einer alkoholkranken Frau, die im Haus tot aufgefunden worden war. Weil die Frau an Vernachlässigung gestorben war, wird den Angeklagten nun Mord durch Unterlassen vorgeworfen.
Recht in der Welt
Russland – EGMR: Die Duma hat Ende vergangener Woche für ein Gesetz gestimmt, nach dem die russische Regierung oder der Präsident bei einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das russische Verfassungsgericht anrufen können, um "Vorrang und höhere Rechtskraft der Verfassung" zu gewährleisten. Formal müsse das Gesetz noch vom Oberhaus verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet werden, dann stünden Urteile des EGMR in ihrer Geltung für Russland unter Vorbehalt, berichtet die Montags-FAZ (Friedrich Schmidt).
Polen – Verfassungsrecht: Assistant Professor an der Universität Breslau Anna Śledzińska-Simon erläutert auf verfassungsblog.de in einem englischen Beitrag die aktuelle Auseinandersetzung um die Besetzung des Verfassungsgerichts in Polen. Sowohl das alte als auch das neue Parlament hatte jeweils fünf Verfassungsrichter gewählt, deren Amt nun umstritten ist. Das Verfassungsgericht hat dazu entschieden, dass die ursprüngliche Besetzung von drei der Stellen rechtens war und muss nächste Woche über das Gesetz entscheiden, welches die neue Wahl von fünf Richtern ermöglicht hatte.
Sonstiges
Ferdinand von Schirachs Theaterstück: Der Focus (Uwe Wittstock) porträtiert den Juristen und Schriftsteller Ferdinand von Schirach und rezensiert dessen aktuelles Theaterstück "Terror", das derzeit große Erfolge feiert. Weitere Aufführungen und ein Buch sollen folgen.
Daten am Arbeitsplatz: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) befasst sich mit den Folgen des Safe-Harbor-Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Die Datenschutzbeauftragten gewähren den Unternehmen eine Schonfrist bis Januar, um den unternehmensinternen Datentransfer in die USA datenschutzgerecht zu gestalten. Arbeitnehmer und Betriebsräte haben die Möglichkeit, Auskunft über den Datenaustausch zu verlangen und die Einstellung der Übermittlung einzuklagen. Eine Lösung könnte sein, die Speicherung der Daten nach Deutschland zu verlagern, da nicht zu erwarten sei, dass die USA die Datenschutzregeln fundamental ändern.
Gastarbeiteranwerbeabkommen: Heribert Prantl (Samstags-SZ) erinnert an das erste Gast-Arbeiterabkommen, das im Dezember von 60 Jahren mit Italien geschlossen worden war: "Diese Abkommen haben die Geschichte von Millionen Familien in Europa verändert", die deutsche Gesellschaft lebe von der Vielfalt und könne in der aktuellen Flüchtlingssituation auf zahlreiche Erfahrungen zurückgreifen.
BAMF/Asylanträge: Die Samstags-taz (Christian Rath – ausführliche taz.de-Fassung) befasst sich mit der Innenministerkonferenz vergangene Woche und dem Vorschlag, die Mitarbeiter des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration in Schichten von 05:00 Uhr bis 22:00 Uhr und am Wochenende zur Arbeit kommen zu lassen.
Buch zum Wirtschaftsstrafrecht: Die FAZ (Jochen Zenthöfer) rezensiert das Buch "Strafbarkeitsrisiken des Unternehmers" von Marco Mansdörfer und Jörg Habertha, dessen "ansprechende Kürze" von 270 Seiten "durch Reduktion in der Breite und Komplexität in der Tiefe ermöglicht" werde, weshalb das Werk ungeeignet für juristische Laien sei, aber Juristen und Wirtschaftsjuristen "uneingeschränkt empfohlen" werden könne.
Das Letzte zum Schluss
Drogen am Steuer: Unter Drogen am Steuer hatte sich wohl bisher auch ein Polizist in Seattle etwas anderes vorgestellt: er führte eine Verkehrskontrolle durch und als er die Papiere im Polizeiwagen kontrolliert hatte und zurückkehrte, um sie wieder auszuhändigen, sah er das Koks, was der Fahrer sich gerade zum Konsum auf die Hand gestreut hatte. Da wurde aus der Routinekontrolle schnell eine Festnahme, wie justillon.de (Stephan Weinberger) berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. - 7. Dezember 2015: StA gegen Pharmakonzern / neue Parteienfinanzierung / Russland gegen EGMR . In: Legal Tribune Online, 07.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17766/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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