In der "Labor"-Affäre ist gegen zwei (ehemalige) Generalstaatsanwälte Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt erstattet worden. Außerdem in der Presseschau: Einsicht in TTIP-Dokumente und kein Robenzwang vor Amtsgerichten in Zivilsachen.
Thema des Tages
"Labor"-Affäre: In der Affäre um betrugsverdächtige Ärzte und den Laborunternehmer Schottdorf sind der seinerzeitige Münchener Generalstaatsanwalt – heute Oberlandesgerichtspräsident in Nürnberg – und seine damalige rechte Hand – seit einigen Wochen Münchener Generalstaatsanwalt – wegen Strafvereitelung im Amt angezeigt worden. Das berichtet das Handelsblatt (Jan Keuchel). Am heutigen Montag bzw. morgigen Dienstag müssen die Beiden vor dem Untersuchungsausschuss "Labor" des bayerischen Landtags aussagen, wo sich laut Handelsblatt bereits Aussagen, die für ein Fehlverhalten sprechen, sammeln. Es werde ihnen vorgeworfen, über Gebühr in die Ermittlungen eingegriffen zu haben und mit einer willkürlichen Abgabe von Verfahren nach Augsburg deren Einstellung provoziert zu haben.
Rechtspolitik
Prostituiertenschutz: Nachdem der Entwurf zum Prostitutiertenschutzgesetz geändert wurde, macht die Samstags-taz (Dinah Riese) darauf aufmerksam, dass der Kontrollmechanismus über "fehlende Einsichtsfähigkeit" doch nicht aus dem Entwurf genommen wurde, sondern etwas versteckt weiter besteht. Peter Carstens (FAS) kritisiert die Neufassung des Entwurfs, denn weiterhin würden die eigentlichen Probleme nicht angegangen sondern ihnen nur ein "Mäntelchen der Legalität" umgehängt.
Kopftuchverbot Berlin: Nach der zweiten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte Berlin angekündigt, das dortige Neutralitätsgesetz mit dem Pauschalverbot für den allgemeinen Schuldienst auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu wollen. Das Ergebnis der Stellungnahme der Senatsverwaltung für Inneres ("verfassungsgemäß") beruht jedoch nach einem Bericht des Tsp (Jost Müller-Neuhof) nicht auf einer juristischen Prüfung. Das einzige Rechtsgutachten, welches bei Abfassung der Stellungnahme vorlag, komme zu dem Ergebnis: "verfassungsrechtlich unhaltbar".
Bundesratsbeschlüsse: Die Bundesratsbeschlüsse von vergangenem Freitag stellt lto.de kurz zusammen. Die Billigung des Anti-Doping-Gesetzes meldet auch die Samstags-FAZ – Athleten hätten bereits Verfassungsbeschwerde wegen der sogenannten Athletenvereinbarung angekündigt. Die Billigung des Verbots geschäftsmäßiger Suizidhilfe meldet auch die Samstags-SZ.
TTIP: Nach Einschätzung des TTIP-Berichterstatters des europäischen Parlamentes, Bernd Lange, stehen die Chancen für einen Internationalen Handelsgerichtshof mit Berufungsinstanz und öffentlich ernannten, unabhängigen professionellen Richtern gut. "Das wird kein Dealbreaker," zitiert ihn die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski). Mit der WamS (Andre Tauber/Christoph B. Schiltz) spricht EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström über TTIP. Bis Ende des Jahres soll in Lesesälen für Bundestagsabgeordnete die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Verhandlungsdokumente eingerichtet werden.
Staatsvertrag mit Muslimen: Die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus arbeitet auf einen Staatsvertrag mit Muslimen hin. In dieser Legislaturperiode sieht der Regierende Bürgermeister Müller eine Realisierung nicht mehr, schreibt die Samstags-FAZ (mk). Fragen wie wohnortnahe Friedhöfe, Gefängnisseelsorge oder Religionsunterricht müssten indes geregelt werden. Dabei bedürfe es jedoch weiterhin zunächst einer Organisation der Muslime, die sich in das Religionsverfassungsrecht einfügt.
Elternschaft bei Samenspende: Bekommt eine verheiratete Frau ein Kind, wird der Ehemann rechtlicher Vater, auch nach einer Samenspende. Die Partnerin einer verpartnerten Frau erhält vergleichbare Elternrechte nicht, vielmehr hat der Spender das Recht auf seiner Seite, selbst wenn zuvor anders lautende Absprachen getroffen worden waren und er dann väterliche Rechte einfordert. Die FAS (Katrin Hummel) beschreibt einen solchen Fall und die Forderung von Familienrechtlern nach einer Regelung für Verpartnerte.
Justiz
BSG zu Apothekenwahlrecht: Krankenkassen dürfen durch Exklusivlieferverträge bestimmen, von welcher Apotheke ein Arzt seine Chemotherapie-Infusionen bezieht. Bei dieser direkten Lieferung an den Arzt hätten die Patienten kein schützenswertes Apothekenwahlrecht, entschied das Bundessozialgericht am vergangenen Donnerstag. Die Vereinbarungen ermöglichten insgesamt eine günstigere Medikamentenversorgung, schreibt lto.de.
OLG Celle – Syrien-Rückkehrer: Am 7. Dezember wird das Oberlandesgericht Celle voraussichtlich das Urteil im IS-Verfahren gegen zwei Syrien-Rückkehrer fällen. Mit den Motiven der jungen Männer, ihrer Radikalisierung, ihrer Reise nach Syrien und der späteren Flucht beschäftigt sich die Samstags-taz (Andrea Müller-Kudelka).
OLG München – Robenzwang: Das Oberlandesgericht München hat im Streit um die Robenpflicht vor Amtsgerichten in Zivilsachen verlauten lassen, dass keine solche Pflicht bestehe, berichtet justillon.de (Andreas Stephan). Das Gericht stützt sich dabei auf den eindeutigen Wortlaut des § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte, den eine gewohnheitsrechtliche Pflicht nicht aushebeln könne. Dem klagenden Anwalt ging es "um's Prinzip" und er nahm seine Schadensersatzklage nach diesen Äußerungen des Gerichts zurück.
OLG München – NSU-Prozess: Wegen Erkrankung eines Senatsmitglieds wird der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München erst am 8. Dezember fortgesetzt, meldet spiegel.de.
LG München – Deutsche-Bank-Prozess: Im Prozess gegen (Ex-)Vorstände der Deutschen Bank wegen versuchten Prozessbetrugs im Schadensersatzprozess um die Kirch-Pleite, hat das Landgericht München bis Jahresende einen zusätzlichen wöchentlichen Verhandlungstag angesetzt, um das Verfahren zügiger zu beenden. Das meldet das Handelsblatt.
Libor/Euribor-Klagen: Im Gegensatz zu den USA, wo sich Schadensersatzklagen wegen der Libor-Manipulationen häufen, liegen in Europa wenige und in Deutschland keine Klagen wegen der Euribor-Manipulationen vor, berichtet die Samstags-FAZ (Christian Siedenbiedel). Die schwere Beweisbarkeit eines Schadens und die geringen individuellen Schäden werden als Gründe angeführt.
AG Saarbrücken zu Bagatelldiebstahl: Über die Reaktion der saarländischen Justiz auf den Diebstahl von Schokolade und Frischkäse im Wert von 6,25 Euro schreibt der Spiegel (Gisela Friedrichsen). Erst weigerte sich die Staatsanwaltschaft, einzustellen und dann erließ das Amtsgericht Saarbrücken einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, obwohl die 98-jährige Beschuldigte bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten war.
EGMR zu Abtreibungskritik: Die Jurastudentinnen Barbora Budinska und Laura Weidlich stellen auf verfassungsblog.de die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Kontext seiner früheren Entscheidung zum gleichen Kläger und weisen auf das deutlich ablehnende Minderheitenvotum der Richterinnen Yudkivska und Jäderblom hin.
Recht in der Welt
Russland/Türkei – Flugzeugabschuss: Mit lto.de (Anne-Christine Herr) spricht der Völkerrechtsprofessor Hans-Joachim Heintze über die fehlende völkerrechtliche Legitimation für den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei in der vergangen Woche und welche Reaktionen rechtlich zulässig sind.
Griechenland – Siemens: Im Strafprozess in Athen gegen ehemalige Siemens-Mitarbeiter häufen sich die Probleme, schreiben die Samstags-taz (Jannis Papadimitriou) und spiegel.de (Giorgos Christides). Außerdem überprüfe der Verwaltungsgerichtshof Athen derzeit die Vereinbarung mit der griechischen Regierung, durch welche Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen ausgeschlossen wurden.
Polen – Gefahr für Demokratie: Über das Vorgehen der neuen polnischen Regierung unter anderem gegen das Verfassungsgericht berichtet die Montags-FAZ (Konrad Schuller). Christian Bommarius (BerlZ) erkennt ungarische Verhältnisse wieder und sieht darin eine größere Gefahr für die Werte Europas, als der Angriff auf diese Werte durch den Terror des IS bieten könne.
Schweiz – Swissleaks: Der Wistleblower Hervé Falciani, der die Machenschaften der Großbank HSBC in der Schweiz öffentlich machte, ist in Abwesenheit in der Schweiz zu fünf Jahren Haft wegen Wirtschaftsspionage verurteilt worden. Das schreibt die Samstags-SZ (Charlotte Theile) und weist auf das für 37 Millionen Euro eingestellte Verfahren gegen die Schweizer HSBC-Tochter hin, welches fast nicht zustande gekommen war.
Rumänien – "Regierungskrise": Die rumänische Rechtsprofessorin Bianca Selejan Gutan schreibt auf verfassungsblog.de in englischer Sprache über die aktuellen Ereignisse in Rumänien, die zum Sturz der alten Regierung und Bildung einer neuen führten: "As of November 2015, Romania faces its most important social, political and constitutional crisis in the last quarter-century."
Juristische Ausbildung
"Briefe an junge Juristen": Aus dem unter dem Titel "Briefe an junge Juristen" erschienen Buch drucken Samstags-FAZ und FAS im Beruf und Chancen-Teil Auszüge. "Alte Hasen" geben darin Ratschläge, schreiben über das "Juristsein" und liefern Einblicke in das juristische Berufsleben.
Sonstiges
E-Postfach: Die Bundesrechtsanwaltskammer hat bekannt gegeben, dass die zum 1. Januar 2016 geplante Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) verschoben wird. Als Grund wird die nicht zufriedenstellende Nutzerfreundlichkeit angegeben, schreibt die Samstags-FAZ (Joachim Jahn). Ab 2020 dürfen Kanzleien nur noch auf diesem Weg mit Zivil-, Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Verwaltungsgerichten kommunizieren.
Bundeswehr gegen IS: Am morgigen Dienstag will die Bundesregierung ein Mandat für den Bundeswehreinsatz gegen den IS verfassen und der Bundestag soll noch in dieser Woche darüber abstimmen. Das schreiben Samstags-SZ (Stefan Kornelius) und Samstags-FAZ (Majid Sattar). Die rechtlichen Grundlagen, die einer Verfassungsklage stand halten und im Mandat noch konkretisiert werden sollen, fasste Regierungssprecher Steffen Seibert zusammen: Nothilfe für Frankreich nach Artikel 51 UN-Charta und Beistandpflicht nach der UN-Resolution 2249 sowie nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU), ist in einem Gastbeitrag in der Samstags-FAZ der Ansicht, das Selbstverteidigungsrecht biete international und verfassungsrechtlich die richtige Grundlage. Andreas Zumach (Samstags-taz) meint, ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und eine UNO-Truppe seien militärisch die einzig sinnvolle Variante. Auch lto.de (Anne-Christine Herr) und spiegel.de (Severin Weiland) befassen sich mit möglichen Rechtsgrundlagen.
Recht auf Vergessenwerden: Von 348.085 europäischen Anträgen auf Löschung durch Google kamen 60.198 aus Deutschland. Von insgesamt 1,23 Millionen betroffenen Internetadressen löschte Google 441.032 seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2014. Das meldet die Samstags-FAZ.
Inkassounternehmen: Die Samstags-SZ (Kristiana Ludwig) schreibt über das Geschäftsgebaren unseriöser Inkassofirmen, ihre überhöhten Gebühren und die hohe Zahl unberechtigter Forderungen. Das vor zwei Jahren geschaffene Gesetz, dass diesen Geschäftspraktiken begegnen sollte, wirke nicht. Bundesjustizminister Heiko Maas habe eine Überprüfung angekündigt. Auch die Samstags-Welt schreibt zum Thema.
Maas im Interview: Mit der WamS (Stefan Aust u.a.) spricht Bundesjustizminister Heiko Maas über Grenzsicherung, die sinnvoll nur an Europas Außengrenzen erfolgen könne, über einen gemeinsamen europäischen Umgang mit der Flüchtlingskrise, die freie Gesellschaft, die sich nur selbst gefährlich werden könne und Terrorismus, dem der Rechtsstaat ausreichende Mittel entgegenzusetzen habe.
Straflegitimation: Mit Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, spricht die Montags-taz (Jana Sauer) über die Legitimation von Strafe.
Schirach zu Terrorismus: Aufgeklärte Demokratien dürfen "auch Terroristen, auch den Menschen, die unsere Gesellschaft zerstören wollen, ausschließlich mit den Mitteln des Rechts begegnen", schreibt Ferdinand von Schirach im Spiegel. Dazu ist das Plädoyer der Staatsanwältin aus seinem Stück "Terror" abgedruckt, das auf die Verfassung als zwingend zu achtende Wertentscheidung verweist: "Nur wenn wir sie, wenn wie ihre Prinzipien, wenn wie die Würde des Menschen immer und überall achten, werden wir in den Zeiten des Terrors als freie Gesellschaft überleben können."
Rechtsgeschichte in Geschichten: Das Buch "Margarethe und der Mönch. Rechtsgeschichte in Geschichten." von Michael Stolleis rezensiert Patrick Bahners (Samstags-FAZ). Die "gesammelten Gelegenheitsarbeiten" mit "mehr oder weniger zeitlosen rechtssoziologischen Beobachtungen" laufen "nicht auf Pointen hinaus" sondern folgen dem "anekdotischen Prinzip".
Das Letzte zum Schluss
Ironie? Nie gehört!: Als ihn ein Anwohner wegen seines nicht angeleinten Hundes anherrschte, leinte Bernhard Korell ihn an und quittierte den Tonfall mit zusammengeschlagenen Hacken und einem "Jawoll, heil Hitler!". Dafür wurde er nun vom Amtsgericht Bad Salzungen wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt, berichtet der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.). Das sei nun mal ein "verbotener Ausdruck", ließ der Richter verlauten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28.-30. November 2015: Generalstaatsanwälte unter Verdacht / kein Robenzwang / BRAK vertagt E-Postfach . In: Legal Tribune Online, 30.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17703/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag