Vor einem Jahr begann vor dem OLG München der NSU-Prozess – Zeit für eine Zwischenbilanz. Außerdem in der Presseschau: erneute Verfassungsbeschwerde Mollaths, Todesurteile gegen 683 Personen in Ägypten und warum Fußballtrainer laut DFB-Sportgericht keine Ölgötzen sind.
Thema des Tages
Ein Jahr NSU-Prozess: Die SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz) zieht in ihrem heutigen Tagesthema eine Zwischenbilanz über ein Jahr NSU-Prozess. Da die Hauptangeklagte Beate Zschäpe die Aussage verweigert, komme der Prozess nur mühsam voran. Hunderte Zeugen seien nötig, um ein Bild der fünf Angeklagten zu zeichnen, jeden Verhandlungstag werde aufs Neue "ein kleinteiliges Mosaik zusammengesetzt". Trotz dieser Mühen gehe der Prozess "in schweren, gemessenen Schritten" voran: Die zehn Morde, der Brand in Zwickau und der Werdegang der Angeklagten seien abgearbeitet; nun wende sich das Gericht den zwei Bombenanschlägen in Köln und den 15 Raubüberfällen zu, was sicher bis Jahresende dauern werde.
Über den Verhandlungstag am Montag informiert die SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz) in einem separaten Artikel. Als Zeuge vernommen wurde Enrico T., der ein Bindeglied auf dem Verkaufsweg der Mordwaffe, der Ceska 83, gewesen sein soll. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) beschreibt die Vernehmung als "nächste Geduldsprobe für Richter Manfred Götzl", da sich T. weitgehend ahnungslos gegeben habe.
NSU-Prozess – Zeugenbefragung im Pflegeheim?: Nach Informationen von spiegel.de (Gisela Friedrichsen) plant das Gericht zur Aufklärung des Vorwurfs der Brandstiftung die ehemalige Nachbarin von Beate Zschäpe im Pflegeheim als Zeugin zu vernehmen. Eine Video-Vernehmung der dementen Frau habe keinen Erfolg gehabt. Nun wolle der Senat offenbar die Vernehmung in kleiner Besetzung – der Vorsitzende, ein Vertreter der Bundesanwaltschaft und die Verteidiger – im Heim durchführen; gegebenenfalls solle auch Zschäpe dabei sein. Die Familie der Frau befinde sich in "heller Aufregung" und befürchte das Schlimmste, da die 92-Jährige bereits nach dem Versuch der Video-Vernehmung so verwirrt und verstört gewesen sei, dass sie nicht einmal mehr die engsten Angehörigen erkannt habe.
Rechtspolitik
Fahreignungsregister: lawblog.de (Udo Vetter) weist darauf hin, dass der nächste Monat für Autofahrer eine wichtige Änderung bringt: ab 1. Mai wird das Verkehrszentralregister in Flensburg durch das "Fahreignungsregister" ersetzt. "Wie es sich gehört, ist aus der beabsichtigten Vereinfachung wieder ein schönes Stück Bürokratie erwachsen. Auch was die Umrechnung bereits bestehender Punkte angeht", so Vetter.
Austausch von Finanzdaten: Laut Bericht der Welt haben die Finanzminister der G-5-Staaten, denen sich weitere 39 Staaten angeschlossen haben, vereinbart, zur Bekämpfung der Steuerflucht bis 2017 automatisch ihre Finanzdaten auszutauschen. Grundlage für die Vereinbarung ist eine Empfehlung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum internationalen Datenaustausch vom Januar dieses Jahres.
Justiz
EuGH zu Urheberrechtsabgabe: Das Handelsblatt (Wolf Albin) erläutert ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Anfang April zu einer Urheberrechtsabgabe beim Kauf von Scannern, PCs und Handys, über welche die Zentralstelle für private Überspielungsrechte eine Kompensation für Kopien, die mit den Geräten gemacht werden, erhalten will. Der Gerichtshof habe nun klargestellt, dass bei der Höhe der Abgabe unrechtmäßige Vervielfältigungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Richterspruch werde aber den "erbitterten Streit zwischen Handyherstellern und Urheberrechtsvertretern" nur weiter verschärfen: denn zwischen legalen und illegalen Angeboten könne im Rahmen der Berechnungsmethode mit Hilfe empirischer Studien schwer unterschieden werden.
BVerfG – Mollath: Rechtsanwalt Gerhard Strate hat für Gustl Mollath erneut Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Nach seinem Dafürhalten drücke sich das Oberlandesgericht Bamberg in einem "Akt des Ungehorsams gegenüber dem höchsten deutschen Gericht" vor der Feststellung, wie lange Mollath zu Unrecht in der Psychiatrie eingesperrt war. Wie die SZ (Uwe Ritzer) erläutert, hatte das Verfassungsgericht bereits im August letzten Jahres den Fall nach Bamberg zurückverwiesen und aufgegeben, über die Dauer Mollaths rechtswidriger Unterbringung zu befinden. Allerdings entschied das Oberlandesgericht daraufhin, dass die Sache erledigt sei, weil sie ohnehin demnächst noch einmal im Wiederaufnahmeverfahren in Regensburg verhandelt werde. Auch lto.de berichtet.
OLG München – zu geringe Miete: Einen "pikanten" Rechtsstreit in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht München schildert die SZ. Darin haben die Käufer eines Münchener Mietshauses die Hausverwaltung verklagt, weil sie zulässige Mieterhöhungen für 19 Wohnungen und 2 Geschäfte pflichtwidrig unterlassen habe. Der Voreigentümer sagte nun im Prozess aus, ihm seien solide Dauermieter lieber gewesen als die Ausschöpfung der gesetzlich zulässigen Höchstmiete. Im Kaufvertrag hatte er etwaige Ansprüche gegen die Hausverwaltung an die Käufer abgetreten, die nun Schadensersatz von gut 346.000 Euro geltend machen.
VG Berlin zu Wahlwerbung: Nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin muss die ARD einen Wahlwerbespot der als rechtsextrem eingestuften Splitterpartei Pro NRW zur Europawahl nicht ausstrahlen. Wie lto.de ausführt, erfüllt der Spot den Richtern zufolge den Straftatbestand der Volksverhetzung. Der Film enthalte die Aussage, dass Ausländer - vor allem Asylbewerber, Muslime und Roma - generell im Müll lebten und per se Straftäter seien, so ein Justizsprecher.
VG Hamburg – Gefahrengebiet: Nach Bericht der taz (Kai von Appen) im taz.nord-Teil haben 16 Teilnehmer einer Spontandemonstration am 5. Januar über ihre Anwälte vor dem Verwaltungsgericht Hamburg Klage eingereicht. Die Kläger begehrten die gerichtliche Feststellung, dass die Auflösung ihres Protestes im Gefahrengebiet und ihre anschließende Ingewahrsamnahme rechtswidrig waren. Die Polizei hatte rund 50 Demonstranten eingekesselt und aufgefordert, ihre Personalien feststellen zu lassen, da sie sich im Gefahrengebiet befänden. Im Anschluss wurden 44 Personen teilweise mehr als vier Stunden in Polizeigewahrsam genommen.
AG München zum Onlinehandel: Um in den Genuss des Widerrufs- und Rückgaberechts zu kommen, müssen Verbraucher nach einer Entscheidung des Amtsgerichts München bei Online-Bestellungen als solche erkennbar sein. Wie lto.de meldet, musste sich im konkreten Fall ein Münchener Physiotherapeut, der unter der E-Mail-Adresse seiner Praxis einkaufte, daher als Unternehmer ohne Widerrufsrecht behandeln lassen.
StA Hamburg – Gregor Gysi: Laut Kurzmeldung der Welt will die Staatsanwaltschaft Hamburg bis Mitte Mai entscheiden, ob sie gegen Gregor Gysi Anklage erhebt. Seit Anfang des vergangenen Jahres wird geprüft, ob der Politiker bezüglich der Frage, ob er als Anwalt in der DDR mit der Stasi zusammengearbeitet hat oder nicht, eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.
Recht in der Welt
Ägypten – Todesurteile: Am gestrigen Montag sind in einem Massenschnellverfahren 683 Islamisten, darunter das spirituelle Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie, in erster Instanz wegen der Teilnahme an gewalttätigen Protesten und wegen Mordes zum Tode verurteilt worden. Derselbe Richter bestätigte zudem 37 von 529 früheren Todesurteilen gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft; bei den anderen Angeklagten sei die Strafe gemäß den Instruktionen des Groß-Muftis in lebenslange Haft umgewandelt worden. Ausführliche Berichte dazu bringen FAZ (Markus Bickel), die taz (Karim El-Gawhary), das Handelsblatt (Pierre Heumann) sowie zeit.de (Andrea Backhaus).
Sonja Zekri (SZ) erkennt in den Urteilen "alte brutale Methoden, Signal-, ja, Schau-Urteile, in einem alten Konflikt: der Sicherheitsapparat gegen die Islamisten". Für Rainer Hermann (FAZ) arbeitet die Justiz den neuen Machthabern durch die Urteile gut zu: Wenn Ende Mai der bisherige Armeechef Sisi zum Präsidenten gewählt wird, könne er mit einer Amnestie gute Stimmung für sich machen. Dagegen meint Karim El-Gawhary (taz), die Richter sähen sich nicht so sehr als Erfüllungsgehilfen eines Regimes, sondern vielmehr als Beschützer eines Staates, der durch eine internationale Verschwörung unter Einschluss der Muslimbruderschaft gefährdet wird.
Ägypten – Verbot von Demokratiebewegung: Nach Meldung von spiegel.de hat ein Gericht in Kairo die Jugendbewegung 6. April verboten. Die Aktivisten sollen den ägyptischen Staat diffamiert und illegale Kontakte zu Ausländern unterhalten zu haben. Die Gruppe hatte im Jahr 2011 den Protest gegen den damaligen Diktator Husni Mubarak organisiert und wurde für den Friedensnobelpreis nominiert.
Großbritannien – Libor-Skandal: Nach Meldung des Handelsblatts (Katharina Slodczyk) hat die britische Antikorruptionsbehörde SFO nach der Anklage gegen drei Ex-Mitarbeiter der Großbank Barclays im Februar nun drei weitere ehemalige Mitarbeiter der Bank wegen Manipulationen am Referenzzinssatz Libor angeklagt. In Großbritannien hat das SFO bisher insgesamt zwölf Ex-Händler wegen Verwicklung in den Libor-Skandal vor Gericht gebracht; in den USA haben die Ermittlungen bisher zu acht Anklagen geführt.
Türkei - Pinar Selek: Anlässlich des Türkei-Besuchs von Bundespräsident Gauck ruft Barbara Möller (Die Welt) den Fall der Soziologin, Feministin und Publizistin Pinar Selek in Erinnerung, in dem der türkische Kassationsgerichtshof am Dienstag sein Urteil verkünden wird. Selek soll 1998 auf dem ägyptischen Basar in Istanbul eine Bombe gelegt haben. Bereits dreimal hätten die dort agierenden Richter einen Freispruch kassiert, obwohl mehrere, unabhängig voneinander erstellte Gutachten zu dem Schluss gekommen sind, dass keine Bombe, sondern eine undichte Gasflasche hochgegangen ist. Im Jahr 2009 war Selek aus der Türkei geflüchtet.
Sonstiges
Kontenabfrage: Nach einem Bericht von lto.de hat sich im letzten Jahr die Anzahl der Kontenabfragen bei Privatpersonen gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Nach der gesetzlichen Grundlage im Kreditwesengesetz kann das Bundeszentralamt für Steuern auf bei Banken gespeicherte Kontodaten wie Kontonummer und Kontoinhaber zugreifen, wenn dies etwa zum Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten erforderlich ist. Grund für den Anstieg sei aber nicht, dass seit 2005 auch andere Behörden das Bundeszentralamt, etwa zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, um Kontoinformationen ersuchen können; vielmehr sei der Anstieg darauf zurückzuführen, dass seit 2013 laut Zivilprozessordnung auch Gerichtsvollziehern Anfragen zur Existenz von Konten möglich sind.
Praxishandbuch zum Dienstrecht: Die FAZ (Rainer Blasius) stellt in ihrem Teil "Politische Bücher" die Neuauflage des Handbuchs "Öffentliches Dienstrecht. Das Beamten- und Arbeitsrecht für den öffentlichen Dienst" der Autoren Manfred Wichmann und Karl-Ulrich Langer vor.
Das Letzte zum Schluss
Fußballtrainer und Ölgötzen: Nach Meldung von focus.de hat das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes den Trainer von Bundesligist Eintracht Braunschweig, Torsten Lieberknecht, vom Vorwurf des "ungebührlichen Verhaltens" gegenüber einem Schiedsrichter freigesprochen und eine Geldstrafe von 4.000 Euro verworfen. Lieberknecht hatte im Ligaspiel gegen Leverkusen gegen eine Schiedsrichterentscheidung protestiert und war auf die Tribüne verwiesen worden. "Trainer müssen sich nicht wie Ölgötzen 90 Minuten während eines Fußballspiels verhalten", urteilte der Vorsitzende Richter.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. April 2014: Ein Jahr NSU-Prozess – Todesurteile in Ägypten – Fußballtrainer und Ölgötzen . In: Legal Tribune Online, 29.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11813/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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