Ein Bundespräsident a.D. auf der Anklagebank: Christian Wulff muss sich vor dem Landgericht Hannover verantworten – oder gibt es doch noch eine Einstellung? Außerdem in der Presseschau: Insolvenzrecht für Konzerne, Betriebsübergang und Tarifverträge, Völkerrechtliches zum Syrien-Krieg, Forschungsfreiheit für Juristen und ein Pilot, der an Weihnachten fliegen muss.
Anklage gegen Wulff: Das Landgericht Hannover hat die Anklage gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zugelassen. Anders als von der Staatsanwaltschaft gefordert, wird es jedoch nicht um Bestechung, sondern um Vorteilsannahme gehen. Wulff wird vorgeworfen, er habe sich in seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident von dem Filmproduzenten David Groenwold im Herbst 2008 auf das Münchner Oktoberfest einladen lassen. Kurz darauf soll sich Wulff für einen Film Groenewolds eingesetzt haben. Groenewold selbst muss sich wegen Vorteilsgewährung und einer falschen eidesstattlichen Versicherung verantworten. Die Vorwürfe fassen die SZ (Hans Leyendecker/Ralf Wiegand) und spiegel.de (Michael Fröhlingsdorf/Martin U. Müller) zusammen.
An die Vorgeschichte des Verfahrens erinnert die SZ (Hans Leyendecker). Es habe einen "Ermittlungsexzess" gegeben, viele Vorwürfe hätten sich nicht bestätigt. Groenewold soll Kosten in Höhe von rund 720 Euro übernommen haben – aber auch geringe Zuwendungen seien strafbar, betont die SZ (Wolfgang Janisch). Die Unterschiede zwischen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme erklärt die taz (Christian Rath).
"Weise entschieden", urteilt Ulrich Exner (Die Welt) und empfiehlt allen Parteien "noch einmal in sich zu gehen" und mit einer Einstellung ein "langwieriges, schlagzeilenträchtiges Gerichtsverfahren" zu vermeiden. Auch Christian Rath (taz) vermutet, dass sich Wulff doch noch auf eine Einstellung des Verfahrens einlässt: "Es würde zu ihm passen". Reinhard Müller (FAZ) meint hingegen, Wulff setze auf "totalen Sieg" und zeige nun "womöglich Charakterzüge, die er im Amt vermissen ließ". Ralf Wiegand (SZ) sieht in Wulff "eine Art wandelndes 0:0", erst sei ihm Maßlosigkeit vorgeworfen worden, nun könne man dies der Justiz vorwerfen.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Verfassungsschutz: Nachdem der NSU-Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, fordert die Türkische Gemeinde in Deutschland einen Umbau des Verfassungsschutzes. Dazu gehöre auch der Verzicht auf V-Leute. Zudem solle im Strafgesetzbuch "strafverschärfend der Tatbestand der Hass-Kriminalität" eingeführt werden. Das meldet spiegel.de.
Insolvenzrecht: Wie das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet, will die Bundesregierung am Mittwoch einen Gesetzesentwurf zu Konzerninsolvenzen beschließen. Zwar solle es dabei bleiben, dass für jede betroffene Konzerngesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren eröffnet werden muss, Gerichte und Verwalter sollen sich aber künftig besser abstimmen. Der Entwurf, der vor der Bundestagswahl nicht mehr verabschiedet werden kann, sei als "Signal nach Brüssel" zu verstehen, da auch auf EU-Ebene zur Zeit über das Konzerninsolvenzrecht verhandelt werde. Die Pläne der EU-Kommission schildert das Handelsblatt (Ruth Berschens) in einem weiteren Bericht.
Werkverträge: Auch die taz-nord (Teresa Havlicek) berichtet nun über die niedersächsische Bundesratsinitiative, mit der der Missbrauch von Werkverträgen bekämpft werden soll. Detlef Esslinger (SZ) unterstützt die Pläne in seinem Kommentar. Es gehe nicht um "staatliche Kontrollbürokratie", sondern darum, dass die Betriebsräte "mitreden dürfen".
Bayerische Verfassungsreformen: Bei der Bayern-Wahl im September wird auch über fünf Änderungen der bayerischen Landesverfassung abgestimmt. Die möglichen Reformen, bei denen es unter anderem um eine Schuldenbremse und um Kompetenzübertragungen an die Europäische Union geht, erläutert die SZ (Frank Müller).
Weitere Themen - Justiz
EuGH zu Betriebsübergang und Tarifverträge: Auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ erläutert der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juli zu "dynamischen Verweisungen" beim Betriebsübergang. Demnach sind Unternehmen nicht an Tarifverträge gebunden, die nach dem Übergang geschlossen wurden, wenn das Unternehmen nicht an den Verhandlungen teilnehmen konnte. Die Entscheidung sei "falsch" und stelle die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts "auf den Kopf", das solche dynamischen Verweisungen bisher für zulässig hielt.
BGH/EuGH - Abschiebehaft: lto.de (Claudia Kornmeier) spricht mit dem Rechtsanwalt Peter Fahlbusch über die Abschiebehaft. Fahlbusch vertritt zahlreiche Mandanten in Abschiebehaftsachen und ist auch an einem der beiden Verfahren beteiligt, in denen der Bundesgerichtshof nun Fragen zur Unterbringung von Abschiebehäftlingen an den Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Der Bundesgerichtshof hatte bezweifelt, dass Abschiebehäftlinge in normalen Haftanstalten untergebracht werden dürfen – alle Betroffenen müssten deshalb sofort freigelassen werden, meint Fahlbusch.
BSG zu Rentenversicherung: Ein Urteil des Bundessozialgerichts hat schwerwiegende Folgen für Freiberufler wie Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker, die sich in den berufsständischen Versicherungswerke versichern wollen, so die FAZ (Corinna Budras). Das BSG hatte im Oktober vorigen Jahres entschieden, dass bei jedem Arbeitsplatzwechsel ein neuer Antrag auf Befreiung aus der gesetzlichen Rentenkasse gestellt werden muss. Nun komme auf die Rentenversicherungen eine Flut von Anträgen zu, den Arbeitgebern drohten hohe Nachzahlungen.
VG Arnsberg zu Gleichstellungsbeauftragten: In Nordrhein-Westfalen wird der Posten der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten ausdrücklich für Frauen ausgeschrieben. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz ist das nicht, entschied das Verwaltungsgericht Arnsberg und bestätigte damit die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Stelle sei frauenspezifisch ausgerichtet. Das meldet spiegel.de.
AG Stuttgart zu Stuttgart 21-Einsatz: Die Strafbefehle des Amtsgerichts Stuttgarts gegen drei Polizisten hält der Anwalt der Stuttgart 21-Gegner, Frank-Ulrich Mann, für "Alibi-Urteile", berichtet die taz (Timo Reuter/Clemens Dörrenberg). Die Polizei hatte bei den Protesten im September 2010 Wasserwerfer eingesetzt und Demonstranten teilweise schwer verletzt, wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt wurden zwei Bewährungsstrafen und eine Geldstrafe ausgesprochen. In zwei Fällen legten die Polizisten Einspruch ein.
Mollath-Gutachten: Thomas Stadler (internet-law.de) kommentiert die psychiatrischen Gutachten über Gustl Mollath, die dessen Anwalt ins Netz gestellt hat. Dabei sei es insbesondere "schockierend", dass die nach § 63 Strafgesetzbuch erforderliche Gefährlichkeitsprognose in dem maßgeblichen Gutachten des Sachverständigen Leipziger "praktisch vollständig" fehle. So könne man "in der Tat sehr viele Menschen sehr schnell in die geschlossene Psychiatrie verfrachten".
Arbeitsgericht Mannheim – Eren Derdiyok: Der Fußballer Eren Derdiyok wehrt sich vor dem Arbeitsgericht Mannheim gegen das Training in der Hoffenheimer "Trainingsgruppe 2". Die Rechtswissenschaftler Andreas Gietl und Sven Kaltenbach prüfen auf lto.de, wie es um seine Ansprüche steht. So erfülle die Trainingsmöglichkeit wohl den Beschäftigungsanspruch des Spielers – die "Verbannung" aus dem Kader könne aber gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch und das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Frankreich – Mercedes Zulassung: Der Automobilhersteller Daimler hat sich im Streit um die Zulassung neuer Mercedes-Modelle zunächst gegen die französische Regierung durchgesetzt. Das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich kippte ein Zulassungsverbot, Daimler darf nun auch Modelle mit einem klimaschädlichen Kühlmittel weiter verkaufen. Hintergrund ist ein Streit um eine EU-Vorschrift, die ein neueres Kühlmittel für Klimaanlagen vorschreibt. Die SZ (Thomas Fromm/Max Hägler) und die taz (Rudolf Balmer) berichten. In einem Kommentar begrüßt Thomas Fromm (SZ) die Entscheidung – das Verbot sei aus "ökonomischem Kalkül" erfolgt.
USA – Facebook: Fünf Facebook-Mitglieder hatten vor einem Gericht in San Francisco dagegen geklagt, das dass soziale Netzwerk ihre Daten für Werbezwecke verwendet. Nun kam es zu einem Vergleich und die Kläger erhalten insgesamt 20 Millionen Dollar, berichtet die SZ (Mirjam Hauck). Facebook müsse außerdem seine Regeln ändern, so dass Mitglieder künftig genauer bestimmen können, inwiefern ihre Daten bei Werbeanzeigen genutzt werden.
Syrien – Völkerrecht: Sollten die USA und Großbritannien ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates in den Bürgerkrieg in Syrien eingreifen, wäre das wohl ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Ein Militärschlag ohne UN-Mandat ist nur in engen Grenzen zulässig - und nicht bei humanitären Interventionen in einem Bürgerkrieg. Die völkerrechtliche Debatte erklären die SZ (Stefan Ulrich) und die taz (Christian Rath).
Sonstiges
Anwälte kritisieren Versicherer: Laut einer Umfrage des Deutschen Anwaltvereins kritisieren viele Rechtsanwälte die Praxis von Versicherungen. Diese würden Ansprüche von Kunden häufig verzögern oder vereiteln. Die SZ (Herbert Fromme) erläutert die Vorwürfe.
Forschungsfreiheit für Rechtswissenschaftler: Elisabeth Mayer befasst sich auf juwiss.de mit der Forschungsfreiheit für Rechtswissenschaftler. Wenn in einer Leistungsvereinbarungen zwischen dem Forschungsministerium und der Universität Zeitschriftenartikel als Publikationsform bevorzugt würden, greife das in die Forschungsfreiheit ein – sei aber im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig.
Das Letzte zum Schluss
Keine Weihnachtsferien für Piloten: Weihnachten frei haben? Nicht für einen Piloten. Der Rechtsanwalt Paul Melot de Beauregard schreibt auf dem Handelsblatt Rechtsboard über einen findigen Arbeitnehmer, der, statt aussichtslose Urlaubsanträge zu stellen, seine Arbeitszeit reduzierte - und zwar blockweise zwischen Weihnachten und Neujahr. In erster Instanz bekam er noch recht, im Juni entschied aber das Bundesarbeitsgericht, dass es nach Treu und Glauben so nicht gehe: Könnten ja sonst alle machen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. August 2013: Wulff muss vor Gericht – Insolvenzrecht für Konzerne – Syrien-Krieg und Völkerrecht . In: Legal Tribune Online, 28.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9446/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag