Vor dem EuGH wird der Anspruch eines Irakkriegs-Verweigerers auf Asyl in Deutschland verhandelt. Außerdem in der Presseschau: BGH-Vorsitzender kritisiert das neue Gesetz zur Abgeordnetenbestechung, das Strafverfahrensrecht soll reformiert werden, Lufthansa diskriminiert Pilotinnen, Frankreich streitet über Sterbehilfe und warum es nicht ausreicht, Kondome zu befeuchten.
Thema des Tages
EuGH – Asyl für Deserteure: Am Mittwoch verhandelte der Europäische Gerichtshof die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Deserteur in Europa Asyl beantragen kann. SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath) stellen den verhandelten Fall dar. Ein in Deutschland stationierter US-amerikanischer Soldat hatte Asyl beantragt, weil er nicht in den Irakkrieg ziehen wollte. Die EU-Asylrichtlinie gewähre Deserteuren einen Anspruch auf Asyl, wenn sie die Beteiligung an Kriegsverbrechen verweigerten. So müsse der EuGH nun entscheiden, ob es genügt, dass im Kriegsverlauf einzelne Kriegsverbrechen begangen werden oder ob sie systematisch erfolgen müssen.
Joachim Käppner (SZ) kommentiert, der Fall könne das deutsche Asylrecht erschüttern. Auch wenn es sich um die Desertion aus der Armee eines demokratischen Landes handele: "Ein falscher Krieg bleibt ein falscher Krieg, auch wenn ein Verbündeter ihn führte."
Rechtspolitik
Verbandsklagerecht: Nach einem Entwurf des Bundesjustizministeriums sollen Verbraucherverbände nach einer Änderung des Unterlassungsklagengesetzes leichter gegen Datenschutzverstöße von Unternehmen vorgehen können. Die IT-Rechtsanwälte Thomas Weimann und Daniel Nagel stellen auf lto.de die geplante Reform und die bisherige Rechtslage dar. Die Datenschutzregelungen sollen als Verbraucherschutzgesetze eingestuft werden, was von den Gerichten bisher verneint worden war, sodass die Verbände bei Datenschutzverstößen außerhalb von Allgemeinen Geschäftsbedingungen keinen Unterlassungsanspruch geltend machen konnten.
Abgeordnetenbestechung: Zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption wurde der § 108e Strafgesetzbuch geändert, der die Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellt. Der Strafrechtler und Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, kritisiert in der Zeit das neue Gesetz. Problematisch sei insbesondere das Erfordernis eines Handelns "im Auftrag oder auf Weisung" und die Vereinbarung eines "ungerechtfertigten Vorteils". "Der neue Tatbestand ist nicht der behauptete große Wurf geworden, sondern Käse minderer Qualität – viel Luft, wenig Substanz."
Freiheitsschutz im digitalen Zeitalter: Der Rechtsprofessor und ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem fordert in einem Gastbeitrag in der FAZ eine Neufassung des Freiheitsschutzes angesichts von staatlicher Überwachung und der Macht privater Akteure in der digitalen Welt. Er hebt die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte und der Schutzaufträge der Grundrechte hervor, die künftig global zu denken seien. Erforderlich seien ferner eine neue Netzphilosophie, die Ausarbeitung von IT-Sicherheitskonzepten und die Durchsetzung hoher Schutzstandards auf internationaler Ebene.
Strafverfahrensrecht: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat ein Expertengremium einberufen, um eine Reform des Strafverfahrensrechts zu erarbeiten. Strafrechtsprofessor Matthias Jahn geht im Staat-und-Recht-Teil der FAZ einer möglichen Entwicklung des Verfahrensrechts nach. Die Regelungen sollten sich an Verfahrensprinzipien wie der Unschuldsvermutung und den Prinzipien Partizipation und Konsens orientieren. "Durch Möglichkeiten des Beweistransfers aus einem partizipatorisch gestalteten Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung" sollen Ressourcen gespart und die "Doppelungen der Beweisaufnahme" vermieden werden.
TTIP: Die Zeit (Heike Buchter u. a.) wendet sich in einem dreiseitigen Dossier dem geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu. Thema des zweiten Teils sind die umstrittenen Investitionsschutzklauseln, die Schiedsgerichtsverfahren ermöglichen. Die SZ (Alexander Hagelüken) stellt die Position des früheren Weltbank-Präsidenten Wolfgang Zoellick dar, der für das Abkommen eintrete, aber auch einen Verzicht auf die Schutzklauseln für denkbar halte.
Justiz
Johanna Schmidt-Räntsch: lto.de und die Welt (Hannelore Crolly) berichten, dass der BGH-Richter Jürgen Schmidt-Räntsch sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen habe und ab nun den Namen Johanna trage.
BFH zu Werbungskosten: Laut spiegel.de hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die durch falsches Betanken entstandenen Reparaturkosten nicht als Werbungskosten absetzbar seien. Sie seien bereits von der Entfernungspauschale erfasst.
LAG Köln zu mittelbarer Diskriminierung: Wie blog.beck.de (Christian Rolfs) und die SZ (Kirsten Bialdiga) berichten, hat das Landesarbeitsgericht Köln die Klage einer Bewerberin abgewiesen, die bei der Bewerbung als Pilotin wegen ihrer geringen Größe abgelehnt worden war. Das LAG habe eine mittelbare Diskriminierung bejaht, weil Frauen zehnmal häufiger von der Regelung betroffen seien, jedoch sei der Klägerin kein konkreter Schaden entstanden.
LG Augsburg – Produktbewertungen: Die SZ (Anna Günther) stellt ein Verfahren vor dem Landgericht Augsburg vor, bei dem sich ein Amazon-Händler mit einem Kunden streitet, der eine negative Produktbewertung auf dem Portal abgegeben hatte. Sollte es sich dabei um falsche Tatsachenbehauptungen handeln, drohen dem ehemaligen Kunden hohe Schadensersatzzahlungen.
VG München – Transplantationswartelisten: Laut der FAZ (Reiner Burger) beschäftigt sich das Verwaltungsgericht München an diesem Donnerstag mit den Voraussetzungen, unter denen Patienten von den Organspende-Wartelisten genommen werden können. Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens regelten die Richtlinien der Bundesärztekammer, die zum Teil zu willkürlichen Entscheidungen führen würden. Das VG muss nun entscheiden, ob die Einstufung einer Patientin als "nicht transplantabel" rechtswidrig war.
EGMR – Gray gegen Deutschland: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Ibrahim Kanalan untersucht auf juwiss.de, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 22. Mai das Bestehen von exterritorialen Staatspflichten konkludent anerkannt habe. Im dem Fall ging es um die fahrlässige Tötung eines Briten durch einen deutschen Arzt, der von Deutschland nicht ausgeliefert worden war. Die Entscheidung habe gezeigt, "dass die Vertragstaaten in Bezug auf extraterritoriale Handlungen Dritter Schutzpflichten haben (extraterritoriale Schutzpflichten), soweit Dritte der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates unterstehen".
Cum-Ex-Geschäfte: Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) widmet sich im Titelthema den Cum-Ex-Geschäften der Hypo-Vereinsbank München mit dem Immobilienhändler Rafael Roth, in deren Zusammenhang nun mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln. Dabei geht es um Deals, bei denen sich Investoren wegen einer bis 2012 bestandenen Gesetzeslücke die gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach haben auszahlen lassen. Der Hintergrund der Fälle, die beteiligten Personen und die gesetzliche Lage werden ausführlich dargestellt.
Recht in der Welt
Frankreich - Sterbehilfe: Nachdem das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs der Einstellung von lebenserhaltenden Maßnahmen eines Komapatienten zugestimmt hatte, wurden diese am Mittwochabend nach einer Entscheidung des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte wieder aufgenommen. spiegel.de (Verena Hölzl) und die FAZ (Michaela Wiegel) stellen den Fall und die Rechtslage in Frankreich dar. Der Fall habe eine gesellschaftliche Debatte über die Sterbehilfe ausgelöst.
Europarat - Generalsekretär: Die SZ (Jan Heidtmann) führt ein Interview mit der früheren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die als Generalsekräterin des Europarats kandidiert hatte und dem norwegischen Kandidaten Jagland unterlag. Als Gründe für die Niederlage gibt sie die Vorbehalte gegen eine zu große Dominanz deutscher Politiker und die Agitation von CDU-Politikern gegen ihre Kandidatur an.
Großbritannien – Abhörskandal: Die SZ (Christian Zaschke) und die FAZ (Jochen Buchsteiner) stellen die Reaktionen auf das Urteil des Zentralen Strafgerichtshofs in Großbritannien zum Abhörskandal der Zeitung "News of the World" zusammen, die massenhaft Handygespräche abgehört hatte. Thematisiert wird auch die Stellungnahme des Premierministers Cameron vor dem Parlament, der den verurteilten ehemaligen Chefredakteur als Pressesprecher beschäftigt hatte.
Juristische Ausbildung
Drittmittel an der Uni: Die FAZ (Helene Bubrowski) setzt sich im Staat-und-Recht-Teil der FAZ mit der privaten Finanzierung von Universitäten auseinander und geht der Frage nach, ob der Einfluss Privater die Freiheit von Wissenschaft und Forschung beeinträchtigen kann. Zitiert werden Wissenschaftler, die den Einfluss jeweils für gefährlich oder problemlos halten.
Sonstiges
EU-Parlament: Die Zeit (Thomas Assheuer) führt ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler und ehemaligen Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm zur Rolle des Europäischen Parlaments. Eine stärkere Rolle des Parlaments würde seiner Meinung nach das demokratische Defizit der EU vergrößern: "Die europäische Demokratie zehrt von dem demokratischen Prozess in den Mitgliedstaaten. Käme es zu einer Vollparlamentarisierung Europas, dann würde man diesen Legitimationsstrang abschnüren." Vielmehr müssten sich die EU-Verträge auf wesentliche Regelungen der Zwecke, Verfahren und Grundrechte beschränken und alles andere auf der Ebene des einfachen Rechts "zur Repolitisierung offenstehen."
Abmahnungen: Der Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Oliver Löffel stellt auf lto.de anhand der aktuellen Abmahnung eines Bastelblogs durch Ikea dar, dass Markeninhaber vor einer Abmahnung die negativen Folgen in den Social Media mit abwägen sollten. Es gebe auch Wege außerhalb der üblichen Abmahnverfahren: "Ein gut formuliertes, freundliches Schreiben an den Markenverletzer, vom Markeninhaber selbst statt von seinem Anwalt versandt, tut es erfahrungsgemäß meist auch."
Eheverträge: Die Rechtsanwälte Christian von Oertzen und Frank Hannes erläutern in der FAZ die Rechtslage bei Eheschließungen und Unterhaltspflichten mit internationalem Bezug und erklären in welchen Fällen sich Eheverträge lohnen und wie diese auszugestalten seien.
Das Letzte zum Schluss
Kondome "Made in Germany": Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, hat das OLG Hamm entschieden, dass es für die Bewerbung von Kondomen als "Made in Germany" nicht ausreiche, dass diese in Deutschland lediglich "befeuchtet" und verpackt werden. Erforderlich sei vielmehr, dass die wesentlichen Fertigungsschritte in Deutschland erfolgen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2014: Kriegsverweigerer vor dem EuGH – Reform des Strafverfahrensrechts – Kondome "Made in Germany" . In: Legal Tribune Online, 26.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12350/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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