Enttäuschend für die Angehörigen: Der EGMR kann Russland nicht verpflichten, das Katyn-Massaker an polnischen Kriegsgefangenen aufzuarbeiten. Außerdem in der Presseschau: Politiker und Wissenschaftler wollen mehr Oppositionsrechte, ein Chirurg steht im Organspendeskandal vor Gericht, Spanien muss Eta-Mitglieder freilassen - und in Italien wird jetzt gespart.
Thema des Tages
EGMR zu Katyn-Ermittlungen: Angehörige von Opfern des Katyn-Massakers haben eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weitgehend verloren. Die sowjetische Geheimpolizei hatte im Jahr 1940 tausende polnische Offiziere und Intellektuelle erschossen. Russland hat das Massaker inzwischen zugegeben, Ermittlungen jedoch im Jahr 2004 eingestellt. Der Gerichtshof könne Russland aber nicht dazu verpflichten, das Geschehen weiter aufzuklären, entschied nun die Große Kammer des EGMR. Auch würden die Hinterbliebenen nicht unmenschlich behandelt. Allerdings beanstandeten die Straßburger Richter die mangelhafte Zusammenarbeit der russischen Behörden mit dem EGMR, weil die Militärstaatsanwaltschaft die Unterlagen über die Einstellung nicht heraus gibt. Die FAZ (Konrad Schuller) und die taz (Christian Rath) geben einen Überblick.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) analysiert das Urteil und auch die Sondervoten – unter anderem des russischen und des polnischen Richters. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwiefern die Europäische Menschenrechtskonvention, die 1950 entstand und 1998 in Russland in Kraft trat, rückwirkend gilt. Die Mehrheit der Richter vertrete hier eine restriktive Linie und habe damit "eine Chance vergeben, die Konvention ihre befriedende Wirkung entfalten zu lassen".
Rechtspolitik
Europäisches Asylsystem: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) spricht mit dem Staatsrechtler Jürgen Bast über das europäische Asylsystem. Er kritisiert, die grundlegenden Probleme der Flüchtlingspolitik würden nicht angegangen – so gebe es zwar ein weitgehendes Recht auf Asyl, aber kaum legale Möglichkeiten für Flüchtlinge, dieses Recht geltend zu machen. Zudem müssten die EU-Mitgliedstaaten das Asylsystem solidarisch regeln.
EU-Datenschutzverordnung: Die SZ (Javier Cáceres - aktualisierte Fassung auf sueddeutsche.de), spiegel.de (Claus Hecking) und Die Welt (Manuel Bewarder/Ulrich Clauss/Christoph B. Schlitz) berichten über die geplante EU-Verordnung zum Datenschutz, die die bisher geltende Richtlinie ablösen soll. Die EU-Parlamentarier wollen mit ihren Änderungsvorschlägen zum Kommissions-Entwurf den Datenschutz verbessern.
Oppositionsrechte: Sollten Union und SPD die Rechte der Opposition im Bundestag stärken? Der Staatsrechtler Hans-Michael Heinig spricht sich auf verfassungsblog.de dafür aus. Im Falle einer großen Koalition mit 4/5-Mehrheit sei das kein tagespolitischer Aktivismus und kein "Gnadenbrot" der Machthaber, sondern folge demokratischen Vorstellungen. Um eine abstrakte Normenkontrolle einlegen und einen Untersuchungsausschuss einsetzen zu können, müssten die Quoren im Grundgesetz geändert werden, andere Anpassungen könnten im Rahmen der Geschäftsordnung getroffen werden. Auch der Politikwissenschaftler Stephan Bröchler betont in einem Gastbeitrag für die SZ die Bedeutung einer starken Opposition. Einen Überblick über die Vorschläge von Politikern der jeweiligen Parteien gibt zeit.de (Anne Fromm).
Abmahn-Anwälte: Zwei Wochen, nachdem das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken in Kraft getreten ist, werde bereits klar, dass Massenabmahnungen wegen Filesharing damit nicht wirksam eingeschränkt werden könnten, kritisiert Thomas Stadler (internet-law.de). Die Abmahnkanzleien würden nun wohl versuchen, die reduzierten Anwaltskosten durch höhere Schadensbeträge wettzumachen – das zeige sich im Fall einer aktuellen Abmahnung der Kanzlei Waldorf Frommer.
Steuerhinterziehung: Der Präsident des Bundesfinanzhofes, Rudolf Mellinghoff, und der Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes, Harald Elster, warnen davor, die strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung abzuschaffen oder die Anforderungen zu verschärfen. Das Handelsblatt (Donata Riedel) und die FAZ (Joachim Jahn) berichten vom Deutschen Steuerberatertag in Berlin.
Justiz
EuGH - VW-Gesetz: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet am heutigen Dienstag erneut über das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität beim Autobauer Volkswagen einräumt. Der EuGH hatte im Jahr 2007 Sonderrechte für den Bund und das Land bemängelt, nun geht es um die Frage, ob das Urteil korrekt umgesetzt wurde. focus.de berichtet knapp, lto.de (Claudia Kornmeier) spricht mit dem Rechtsanwalt Holger Wissel, der die Bundesregierung in dem ersten Verfahren vertreten hat.
VG Karlsruhe – BGH-Anwälte: lto.de (Claudia Kornmeier) führt ein Interview mit dem Rechtsanwalt Volker Römermann über die Anwaltszulassung am Bundesgerichtshof (BGH). Römermann klagt vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe gegen die Ablehnung seiner Bewerbung durch den Wahlausschuss des BGH. Er hält das Zulassungssystem für unsinnig und die Kriterien für die Auswahl von Bewerbern für undurchsichtig.
LG Göttingen – Organtransplantation: Die SZ (Christina Berndt/Annette Ramelsberger) berichtet auf der Reportage-Seite über den Prozess gegen den Transplantationschirurgen Doktor O. An der Transplantationschirurgie des Universitätsklinikum Göttingen kam es unter seiner Leitung offenbar zu zahlreichen Verstößen gegen die Richtlinien für Lebertransplantationen. Nun ist O. vor dem Landgericht Göttingen wegen versuchten Totschlags in elf Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt.
LG Frankfurt/Main - Ex-Börsenexperte: Die Welt berichtet über die Prozesse gegen den ehemaligen Moderator und Börsenexperten des Fernsehsenders N24, Markus Frick. Er soll mit falschen Tipps Anleger geschädigt und selbst Gewinne gemacht haben und muss sich ab Donnerstag wegen Kursmanipulation und bandenmäßigem Betrug vor dem Landgericht Frankfurt am Main verantworten. Das Landgericht Berlin hatte ihn im April 2011 wegen Börsenmanipulation zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Zudem laufen Zivilklagen von Anlegern.
Recht in der Welt
EGMR zu Eta-Mitglied: Spanien muss die Eta-Separatistin Ines del Rio freilassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kippte die sogenannte Parot-Doktrin des Obersten Spanischen Gerichtshofes, die zu einer nachträglichen Haftverlängerung führte und damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß. Das wird nun auch für weitere Eta-Gefangene gelten. Die taz (Reiner Wandler), die SZ (Thomas Urban) und die FAZ (Leo Wieland) berichten. In einem Kurzkommentar von Leo Wieland (FAZ) heißt es, die Straßburger Richter hätten wohl keine andere Wahl gehabt, es sei aber ein bitteres Urteil für die Opfer.
Internationaler Seegerichtshof – Greenpeace-Schiff: Im Streit um das Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise" rufen die Niederlande den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg an, meldet spiegel.de. Russland hatte die unter niederländischer Flagge fahrende "Arctic Sunrise" bei einer Protesaktion im Norpolarmeer aufgebracht, die 30 Besatzungsmitglieder sitzen in Haft, ihnen wird Piraterie vorgeworfen. Die Niederlande fordern ihre sofortige Freilassung.
Neuseeland – Klimawandel als Asylgrund: Der Oberste Gerichtshof Neuseelands muss entscheiden, ob Klimawandel ein Asylgrund sein kann. Ein Mann aus dem Inselstaat Kiribati fordert dort Asyl für sich und seine Familie, er fürchtet den steigenden Meeresspiegel. Ein Musterprozess, erklärt die SZ (Ronen Steinke), denn in den kommenden Jahrzehnten könnten solche Umweltkatastrophen Millionen Menschen betreffen. Das internationale Flüchtlingsrecht sei darauf jedoch bisher nicht eingerichtet.
Sonstiges
Eltern vs. Lehrer: Eltern würden immer häufiger juristisch gegen schulische Entscheidungen und die Lehrer ihrer Kinder vorgehen. Die SZ (Tina Baier) berichtet im Bayern-Teil über typische Auseinandersetzungen.
Das Letzte zum Schluss
Sparprogramm: An den Rentenkassen soll das italienische Sparprogramm offenbar nicht scheitern. Ein Rentner, der innerhalb von fünf Jahren einen Cent Rente zuviel erhalten hat, erhielt nun einen Rückzahlungsbescheid. Er dürfe aber in Raten zahlen, schreibt die Behörde. Das meldet focus.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Oktober 2013: EGMR zu Katyn-Massaker – Mehr Oppositionsrechte – Prozess um Organtransplantationen . In: Legal Tribune Online, 22.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9854/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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