BVerwG erteilt Metadatenspeicherung durch den BND eine Absage. Außerdem in der Presseschau: Bundesanwaltschaft fordert härtere Strafen für IS-Rückkehrerinnen, EU plant Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen, Folgen der Niki-Insolvenz.
Thema des Tages
BVerwG zu BND-Metadatenspeicherung: Die Speicherpraxis des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Bezug auf leitungsgebundene Telefongespräche mit dem Ausland entbehrt laut Bundesverwaltungsgericht einer gesetzlichen Grundlage und verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis in Art. 10 I GG. Millionen von Verbindungsdaten zwischen Deutschland und dem Ausland sowie im Ausland hatte der BND im sogenannten Verkehrsdatenanalysesystem (VerAS) 90 Tage lang gespeichert, in bis zu fünf Ebenen miteinander verknüpft und ausgewertet. Er berief sich auf die anonymisierte Speicherung der Daten und vertrat trotz anderslautender Rechtsprechung des BVerfG die These, dass es sich bei Metadaten nicht um personenbezogene Daten handele. Das Urteil gilt zwar vorerst nur für die Kläger, Reporter ohne Grenzen und Anwalt Niko Härting, stellt aber generell klar, dass für diese Art der Datenspeicherung durch den BND keine Ermächtigungsgrundlage besteht. § 5 I des sogenannten G-10 Gesetzes erlaubt bislang nur die Speicherung zur Auswertung nach konkreten Suchbegriffen. Es berichten SZ (Reiko Pinkert/Ronen Steinke), taz (Christian Rath), FAZ (Constantin van Lijnden) und lto.de (Maximilian Amos)
Christian Rath (taz) stuft das Urteil als "vielleicht schärfste juristische Folge des NSA-Skandals in Deutschland" ein und rechnet mit einer baldigen gesetzlichen Regelung zur Legalisierung von VerAS. Eine solche zwinge den BND dann allerdings zu mehr Transparenz darüber, warum er als Auslandsgeheimdienst auch inländische Daten erfasse, und könne zudem vom BVerfG überprüft werden.
Rechtspolitik
Verbrennen von Flaggen: Als Reaktion auf die Verbrennung von Israelflaggen bei Protesten gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem fordern Politiker von CDU, SPD und Grünen die Prüfung einer Strafrechtsverschärfung. Der Doktorand George Andoor erläutert auf lto.de die gegenwärtige Rechtslage, nach der zum Schutz der verfassungsgemäßen Ordnung in § 90a I Nr. 2 StGB grundsätzlich nur die Verbrennung deutscher Fahnen strafbewehrt ist, und prüft Änderungsmöglichkeiten. Unter Betonung des Grundrechts der Meinungsfreiheit in Art. 5 I GG rät er vor einer übereilten Strafrechtsänderung ab.
Regierungsbildung: Zum Vorschlag einer "Kooperationskoalition" durch SPD-Chef Martin Schulz meint Heribert Prantl (SZ), dass in einem Koalitionsvertrag sehr wohl Streitpunkte ungeklärt bleiben könnten, sich das "Regel-Ausnahme-Verhältnis" aber nicht umkehren dürfe. Nach acht Jahren gemeinsamer Regierung bedürfe es zwischen Union und SPD nun auch keiner wochenlangen Sondierungsverhandlungen mehr, die "Zeit für Spielchen" sei vorbei.
Migrationsrecht: In einem Beitrag zur Schwerpunktwoche "Herbsttagung Netzwerk Migrationsrecht" kritisiert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Helene Häuser auf juwiss.de die bis März 2018 geltende Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte nach § 104 Abs. 13 AufenthG, die hohen rechtlichen Hürden beim Geschwisternachzug sowie die Anforderungen beim Visumserteilungsverfahren als "menschenrechtlich fragwürdig". Die derzeitige Gesetzeslage sei vor dem Hintergrund des Art. 6 GG, den Art. 9 ff. EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie sowie insbesondere der UN-Kinderrechtskonvention unbefriedigend.
In einem weiteren Beitrag vergleicht Assistant Professor Natasja Reslow auf juwiss.de (in englischer Sprache) den 2016 neu eingeführten EU-Rahmen für Migrationspartnerschaften mit den EU-Mobilitätspartnerschaften und kommt zu dem Schluss, dass sich beide Instrumente in Bezug auf Ziele und Umsetzung einer kooperativen Migrationspolitik ähneln. Sie bemängelt, dass durch das rechtlich nicht bindende Format die Rechte von Einwanderern abermals nicht hinreichend garantiert würden und die EU es versäumt habe, aus alten Fehlern zu lernen.
Unternehmensstrafrecht: Die Anwälte Dr. Simone Kämpfer und Prof. Dr. Christoph Knauer erörtern auf lto.de den aktuellen "Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes" (VerbSG-E), den sie grundsätzlich als "ernstzunehmenden Vorschlag" und "sehr praxisnah" begrüßen. Sie gehen ausführlich auf die darin geplante umsatzbezogene Sanktionierung bei Verbandsverfehlungen, die Möglichkeit der Bestellung eines "Unternehmensmonitors" zur Überwachung von Auflagen durch Gerichte oder Staatsanwaltschaft sowie die Regelung interner Untersuchungen ein. Aufgrund gegenwärtig unzureichender Sanktionen, bspw. über § 30 OWiG, sei mit der baldigen Einführung eines Unternehmensstrafrechts zu rechnen, die einige Stimmen bislang unter Hinweis auf das strafrechtliche Schuldprinzip abgelehnt hatten.
Justiz
BGH zu Sanierungskosten: Baumaßnahmen, die den Charakter einer Mietsache grundlegend umgestalten, gelten laut BGH nicht als Modernisierungsmaßnahmen. Die klagende Entwicklungsgesellschaft konnte demnach, so zeit.de, die Kosten für eine Schaffung neuer Räume und die Änderung des Gebäudezuschnitts eines Reihenhauses in Berlin Wedding nicht auf ihre Mieter abwälzen.
LG München II zu Kuhglockenlärm: Das Landgericht München II hat laut spiegel.de (Tobias Lill) die Klage eines Grundstückseigentümers abgewiesen, der sich durch Kuhglockenlärm auf seinem Nachbargrundstück gestört fühlte. Er sei an einen im September 2015 mit der Kuhhalterin geschlossenen Vergleich gebunden, wodurch es am Rechtsschutzbedürfnis fehle. Nun klagt seine Frau.
VG Schleswig – Holstein zu Abgasskandal: Eine Klage von Umweltschützern der Deutschen Umwelthilfe gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im Abgasskandal wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung wurde vom Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein mangels Klageberechtigung abgewiesen. Eine solche ergebe sich weder aus dem Umweltrechtsbehelfsgesetz noch aus Europa- oder Völkerrecht. Gegen das Urteil wurde die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, meldet lto.de.
BGH – Sharia Police: Im September 2014 patrouillierten elf Männer mit "Sharia-Police-Westen" durch Wuppertal. Nachdem die Gruppe vor dem Landgericht Wuppertal freigesprochen wurde, verhandelte nun der Bundesgerichtshof über einen möglichen Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Uniformverbot, welches der Vorsitzende Richter eng auslegen will. Wie die taz (Christian Rath) berichtet, kommt es für eine Strafbarkeit letztlich auf den Schriftzug "Sharia-Police" an, wobei auch ein möglicher Verbotsirrtum der Täter im Raum steht.
Bundesanwaltschaft – Umgang mit IS-Rückkehrerinnen: Der Generalbundesanwalt hat sich gegenüber der SZ (Volkmar Kabisch/Georg Mascolo/Amir Musawy/Nicolas Richter) für eine härtere Bestrafung von Frauen ausgesprochen, die sich dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben. Sofern die Frauen nicht selbst gekämpft haben, geht die Rechtsprechung bislang nicht von Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung aus. Die Bundesanwaltschaft will für die Anklage wegen einer terroristische Straftat nunmehr genügen lassen, dass jemand dem "Staatsvolk" des IS unterstützend angehört hat.
AG Charlottenburg – Niki-Insolvenz: Nach der Insolvenz der Fluggesellschaft Niki gibt sueddeutsche.de einen Überblick zu wichtigen Fragen, u.a. in Bezug auf Fluggastrechte.
Niki und der Mutterkonzern Air Berlin sehen die Schuld für die Insolvenz laut lto.de bei der EU-Kommission, deren wettbewerbsrechtliche Bedenken Lufthansa letztlich vom Kauf abgehalten hätten.
Die EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager weist die Schuldvorwürfe zurück und kritisiert laut einem Bericht der FAZ (Werner Mussler), dass Insolvenzverwalter und Lufthansa die wettbewerbsrechtlichen Warnungen der EU-Kommission nicht hinreichend ernst genommen hätten.
LG Freiburg – Mord an Joggerin: Im Prozess um die in Endingen vergewaltigte und getötete Joggerin Carolin G. sieht die Staatsanwaltschaft Freiburg laut FAZ (Rüdiger Soldt) die Mordmerkmale der Heimtücke, Ermöglichung einer Straftat und Befriedigung des Sexualtriebs als erfüllt an. Sie fordert für den angeklagten Fernfahrer Catalin C. lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung.
OVG Münster – Hambacher Tagebau: Nach Mitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster will RWE bis zum Jahresende keine weiteren Rodungen mehr im Hambacher Forst vornehmen. Laut SZ soll das Land NRW nun durch ein Sachverständigen-Gutachten klären lassen, ob der Forst die Kriterien eines EU-Naturschutzgebietes erfüllt.
Recht in der Welt
EU/Polen – Rechtsstaatlichkeitsverfahren: Nach Meldung von SZ (Daniel Brössler/Thomas Kirchner) und zeit.de plant die EU-Kommission für kommenden Mittwoch die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7 des EU-Vertrags gegen Polen wegen "systematischer Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit", sofern Ministerpräsident Mateusz Morawiecki an den Plänen zur umstrittenen Justizreform festhält. Ein solches Verfahren wurde noch nie zuvor gegen einen Mitgliedsstaat angewendet und müsste von vier Fünfteln der EU-Staaten genehmigt werden. Ein Verlust des Stimmrechts würde jedoch das Einverständnis aller Mitgliedsländer erfordern, wobei Ungarns Premier Viktor Orbán bereits sein Veto angekündigt hat.
USA – Netzneutralität: Die US-Telekom Aufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC) hat am Donnerstag mit drei zu zwei Stimmen die Abschaffung der bisherigen Regelungen zur Netzneutralität beschlossen. netzpolitik.org (Thomas Rudl) geht ausführlich auf die Folgen ein. So könnten Provider beispielsweise künftig bestimmte Dienste bevorzugen und die Entscheidung führe insgesamt zu einer Schwächung kleinerer Anbieter.
Ecuador – Korruption: Der ecuadorianische Vizepräsident Jorge Glas, dem bereits Anfang August von Präsident Moreno per Dekret alle amtlichen Funktionen entzogen wurden, ist vor dem Nationalen Gerichtshof in Quito wegen Korruption zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er soll nach Meldung von FAZ (Matthias Rüb) und taz (Jürgen Vogt) Bestechungsgelder des brasilianischen Baukonzerns Odenbrecht in Höhe von 13,5 Millionen Euro im Zusammenhang mit Erdölprojekten angenommen haben.
EGMR – Italien: Durch die fehlende Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hat Italien nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den durch die EMRK gewährten Schutz von Familie und Privatleben verletzt. Sechs klagende Paare, deren im Ausland geschlossene Partnerschaften bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2016 nicht anerkannt wurden, sollen nach Meldung der SZ jeweils Entschädigungen i.H.v. 5.000 Euro erhalten.
Großbritannien – Brexit: In einem exklusiven Gastbeitrag für FAZ-Einspruch veröffentlicht der britische High Court Richter Geoffrey Vos (in englischer Sprache) die gekürzte Version eines Vortrags, den er Ende November am britischen Honorarkonsulat in Frankfurt gehalten hatte. Darin hebt er insbesondere die essenzielle Wichtigkeit eines unabhängigen Justizapparates hervor, der im Zuge des Brexits nun mit neuartigen Fällen und neuer Gesetzgebung umgehen müsse.
Juristische Ausbildung
Prüfungsangst im Staatsexamen: Die Performance Coach Daniela Dihsmaier gibt auf lto.de fünf Tipps zum besseren Umgang mit Prüfungsangst im juristischen Staatsexamen. So könne es beispielsweise helfen, negative Gedanken aufzuschreiben, um anschließend positive Gegenargumente zu finden, oder die Examenssituation im Vorhinein zu simulieren.
Sonstiges
Neue Form des Strafvollzugs: Die SZ (Alexander Krützfeldt) stellt ein sächsisches Pilotprojekt vor, bei dem straffällig gewordene Jugendliche gemeinsam mit einer Familie in einem Seehaus nahe der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen leben. Die Jugendlichen müssen sich um einen Platz bewerben, wobei therapiebedürftige Häftlinge ausgenommen sind.
Das Letzte zum Schluss
Autogramm der besonderen Art: Ein britischer Chirurg gestand vor einem Gericht in Birmingham, dass er bei zwei Lebertransplantationen die neuen Organe auch noch mit seinen Initialen versehen hatte, meldet spiegel.de.
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Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lmr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 15. Dezember 2017: BND-Metadatenspeicherung rechtswidrig / Rechtsstaatlichkeitsverfahren Polen / Niki-Insolvenz . In: Legal Tribune Online, 15.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26041/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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