Der Mordprozess gegen einen mutmaßlichen "Reichsbürger" beginnt. Außerdem in der Presseschau: Das Amtsgericht Hamburg festigt seinen harten Kurs in den G-20-Prozessen und der frühere Bundesrichter Thomas Fischer zeigt Alexander Gauland an.
Thema des Tages
LG Nürnberg-Fürth – "Reichsbürger"-Prozess: Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Prozess gegen einen mutmaßlichen "Reichsbürger" begonnen, der im vergangenen Oktober einen Polizisten erschossen und zwei weitere verletzt haben soll. Dies berichten u.a. SZ (Hans Holzhaider), taz (Dominik Baur) und spiegel.de (Peter Maxwill). Der Mann soll aus einem Hinterhalt durch eine verschlossene Tür auf die Polizisten geschossen haben, als diese die im Haus gelagerten Waffen des Mannes beschlagnahmen wollten. Nach Ansicht der Verteidigung hingegen sei der Mann von dem Einsatz im Schlaf überrascht worden und habe nicht gewusst, dass es sich um Polizisten gehandelt habe.
Malene Gürgen (taz) kritisiert den behördlichen Umgang mit der "Reichsbürger"-Bewegung: Die möglichen Verstrickungen zwischen "Reichsbürgern" und der Polizei seien nicht systematisch aufgearbeitet, zudem sei nur wenigen der betroffenen Personen der Waffenschein entzogen worden.
Rechtspolitik
Gröhe gegen BVerwG: Jost Müller-Neuhof (Tsp) wirft in einem Kommentar dem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vor, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zur Bereitstellung tödlicher Medikamente für unheilbar Kranke zu missachten. Obwohl das Gericht vor einem halben Jahr festgestellt hatte, dass in Ausnahmefällen ein Anspruch auf die Abgabe von Medikamenten zur Selbsttötung bestehe, seien auf eine entsprechende Vorgabe des Ministers hin durch die ihm unterstellte Behörde über 40 entsprechende Anträge von Patienten abgewiesen worden. Sofern die entsprechenden Sachverhalte dem vom BVerwG entschiedenen Fall vergleichbar seien, sei das Zögern der Behörde ein "Skandal".
Wahlprogramme/Flüchtlingspolitik: Die unterschiedlichen Forderungen der großen politischen Parteien zur Flüchtlingspolitik erläutert lto.de (Annelie Kaufmann) und analysiert dabei auch deren Vereinbarkeit mit Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht. Unterschiedliche Positionen hätten die Parteien etwa mit Blick auf Obergrenzen, den Familiennachzug und den Türkei-Deal. Eine absolute Obergrenze verstoße gegen das Grundrecht auf Asyl sowie die Genfer Flüchtlingskonvention.
Justiz
AG Hamburg zu G-20-Ausschreitungen: Das Amtsgericht Hamburg hat im zweiten Prozess wegen der Ausschreitungen am Rande des G-20-Gipfels in Hamburg einen 24-jährigen Polen wegen des Beisichführens von Feuerwerkskörpern, eines Pfeffersprays und einer Taucherbrille zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Dies berichten SZ (Thomas Hahn), taz (Katharina Schipkowski) und spiegel.de. Der Mann sei auf dem Weg zu der G-20-kritischen Demonstration "G20 not welcome" gewesen und habe mit dem Beisichführen der Gegenstände gegen das Versammlungsgesetz, das Waffen- und das Sprengstoffgesetz verstoßen. Die Verteidigung brachte dagegen vor, der Mann sei nur auf der Durchreise in Hamburg gewesen und habe insbesondere das Pfefferspray zur Selbstverteidigung dabei gehabt, da er per Anhalter unterwegs gewesen sei.
Wolfgang Janisch (SZ) kommentiert die ersten beiden Urteile nach den G-20-Ausschreitungen und warnt die Justiz davor, das Maß zu verlieren. Eine Bewährungsstrafe wegen des bloßen Besitzes von Böllern und Pfefferspray und die gestern verhängte zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe wegen eines Flaschenwurfes seien im Vergleich zu sonst üblichen Strafen "ein Schluck über den Durst".
StA Mühlhausen – Gauland angezeigt: Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer hat den AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland nach einer Äußerung über die Staatsministerin für Migration, Aydan Özoguz (SPD), wegen Volksverhetzung bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen angezeigt. Dies berichten u.a. sueddeutsche.de (Wolfgang Janisch), zeit.de und spiegel.de. Gauland hatte auf einer Wahlkampfveranstaltung den Wunsch geäußert, die als Tochter türkischer Eltern in Hamburg gebürtige Staatsministerin "in Anatolien entsorgen" zu können. "Wenn das keine Volksverhetzung ist, kann man den Tatbestand streichen", so Fischer.
LG Berlin – Air-Berlin-Darlehen: Die Fluggesellschaft Germania klagt in einem Eilverfahren vor dem Landgericht Berlin gegen das staatliche Überbrückungsdarlehen für die insolvente Air-Berlin-Gesellschaft. Dies berichten FAZ (Timo Kotowski) und Hbl (Christoph Schlautmann). Die staatliche Beihilfe verzerre den Wettbewerb, die Auszahlung des Darlehens solle bis zu einer Genehmigung durch die EU-Kommission untersagt werden. Die mündliche Verhandlung ist für den 15. September terminiert.
StA Dortmund – BVB-Anschlag: Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund Anklage wegen versuchten Mordes erhoben. Dies berichten u.a. die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo, Klaus Ott) und spiegel.de. Der Angeklagte habe mit dem Sprengstoffanschlag einen Einbruch der BVB-Aktie veranlassen wollen, nachdem er vorher eine große Zahl entsprechender Optionsscheine gekauft hatte. Das Landgericht muss nun entscheiden, ob es zum Prozess kommt. Dies sei zwar wahrscheinlich, wohl aber nicht mehr in diesem Jahr, so die SZ.
LG Köln – Sal. Oppenheim-Prozess: Am Landgericht Köln beginnt der Prozess gegen Georg Baron von Ullmann, den ehemaligen Chefaufseher der Bank Sal. Oppenheim, wegen Untreue. Dies berichtet Hbl (Volker Votsmaier/Massimo Bognanni). Ullmann soll bei einem Immobiliengeschäft die Aufsicht vernachlässigt haben und dem Unternehmen damit einen Schaden von knapp 23,6 Millionen Euro zugefügt haben. Zu Prozessbeginn beabsichtige die Verteidigung, einen Befangenheitsantrag gegen eine Richterin vorzubringen, die bereits im ersten Oppenheim-Prozess als Richterin tätig gewesen war. In jenem Verfahren habe sie mit suggestiven Fragen nach der Rolle Ullmanns die Staatsanwaltschaft regelrecht motiviert, auch gegen diesen Klage zu erheben.
BAG – Kündigung von Serienschauspielern: Zwei ehemalige Hauptdarsteller der ZDF-Serie "Der Alte", Pierre Sanoussi-Bliss und Markus Böttcher, klagen vor dem Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz gegen ihre Entlassung. Dies berichtet die SZ (Detlef Esslinger). Da sie in ihrer Rolle als Kommissare 18 bzw. 28 Jahre in der Serie aktiv gewesen seien, müssten sie wie festangestellte Mitarbeiter behandelt werden. Die Produktionsfirma hält dem entgegen, dass die Schauspieler gerade wegen ihrer herausragenden Wichtigkeit für die Serie als programmgestaltende Mitarbeiter der Produktion anzusehen seien. Ihre Kündigung sei daher aufgrund der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Kunst- und Rundfunkfreiheit gerechtfertigt.
EuGH-Richter Thomas von Danwitz: Die SZ (Wolfgang Janisch) porträtiert den deutschen Richter am Europäischen Gerichtshof, Thomas von Danwitz, angesichts seiner zu erwartenden Berufung für eine dritte Amtszeit. Seit seinem Amtsantritt 2006 habe sich von Danwitz einen Namen gemacht als Hüter des Datenschutzes, der als Berichterstatter maßgeblichen Einfluss etwa auf die Urteile zur Vorratsdatenspeicherung und zum "Recht auf Vergessenwerden" gehabt habe.
SG Düsseldorf – Cannabisbehandlung: Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, die Kosten für eine Cannabisbehandlung zu übernehmen, wenn ein Patient nicht nachweisen kann, dass andere Therapieoptionen erfolglos waren. Dies hat das Sozialgericht Düsseldorf entschieden, wie lto.de meldet. Eine Kostenübernahme für Cannabisprodukte komme grundsätzlich nur in Betracht, wenn bei schwerwiegender Erkrankung entweder keine anerkannte Behandlung zur Verfügung stehe oder eine solche nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Arztes im konkreten Fall nicht in Betracht komme. Im zugrunde liegenden Fall könne hingegen nicht angenommen werden, dass der an Polyarthritis und Morbus Bechterew erkrankte Mann alle aktuellen Behandlungsoptionen ausgeschöpft habe.
BAG zu sexueller Belästigung: Eine absichtliche Berührung der primären oder sekundären Geschlechtsteile ist auch dann "sexuell bestimmt" im Sinne von § 3 Abs. 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), wenn sie nicht von einer sexuellen Motivation getragen ist. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, wie nun auch Rechtsprofessor Christian Rolfs auf community.beck.org berichtet. Hintergrund war eine außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters, der einem anderen mit der Äußerung, dieser habe "dicke Eier", in den Genitalbereich gefasst hatte. Mit dem Griff in die Intimsphäre werde die sexuelle Selbstbestimmung negiert und durch die Äußerung auch sprachlich manifestiert.
StA Stuttgart/Zweibrücken – Drohnenangriffe: Die Angehörigen eines in Somalia durch eine US-Drohne getöteten Mannes haben Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaften Stuttgart und Zweibrücken erhoben, kein Ermittlungsverfahren in der Sache einzuleiten. Dies berichtet die SZ (Moritz Baumstieger/John Goetz). Der Angriff war von einem Kommandozentrum der US-Armee in Stuttgart und dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus koordiniert worden. Einer strafrechtlichen Verfolgung des US-Personals stehe das Nato-Truppenstatut entgegen, so die betreffenden Staatsanwaltschaften. Die Anwälte der Hinterblieben bringen dagegen vor, das Nato-Statut gelte nicht für außergesetzliche Tötungen wie solche durch Drohnenangriffe.
Patienten-Morde: Heribert Prantl (SZ) kommentiert die neuen Erkenntnisse um den Krankenpfleger Niels Högel, der 90 seiner Patienten getötet haben soll. In dem nun erforderlichen zweiten Mordprozess müsse auch die Verantwortung derer geklärt werden, die ein aktives "Nicht-Wissen-Wollen" gezeigt und ihm damit durch Unterlassen geholfen hätten. Die FAZ (Hildegard Kaulen) berichtet vor diesem Hintergrund über die Mängel in der gerichtsmedizinischen Praxis bei der Erstellung von Totenscheinen. Diese enthielten häufig falsche Todesursachen, wodurch die Entdeckung von Tötungsdelikten verhindert werde.
Recht in der Welt
Chile – "Ehe für alle": Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet hat einen Gesetzentwurf zur Einführung der Ehe homosexueller Partner vorgelegt. Dies meldet die taz. Auch ein Adoptionsrecht für Paare gleichen Geschlechtes sei darin vorgesehen.
Sonstiges
Raketentest und Völkerrecht: Angesichts des jüngsten nordkoreanischen Raketentests erläutert die SZ (Stefan Ulrich) die relevanten völkerrechtlichen Fragen. Nordkorea habe den japanischen Luftraum nicht verletzt, da die Rakete oberhalb des geschützten Raumes geflogen sei. In jedem Fall setze Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen einem möglichen Selbstverteidigungsrechtes Japans enge Grenzen. Ein bloßer Grenzzwischenfall reiche nicht aus, um ein solches zu beanspruchen.
Legitimation des Fraktionswechsels: Anlässlich des Fraktionswechsels der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten (Grüne/CDU) befasst sich Akademischer Rat a.Z. Benedikt Beckermann auf juwiss.de mit der demokratietheoretischen Legitimation eines solchen Wechsels. Entgegen einer verbreiteten Meinung sei dieser nicht nur bei Direktkandidaten zulässig, sondern ebenso bei "Listenkandidaten": Einerseits seien nach Artikel 38 Grundgesetz alle Abgeordneten in gleicher Weise in der Ausübung ihres Mandates frei, andererseits sei auch die Zweitstimmenwahl durch die Aufstellung von Wahllisten stark personalisiert.
Irreführende Werbung: community.beck.de (Paetrick Sakowski) erklärt die Problematik sogenannter Spitzenstellungsbehauptungen in der Werbung. Wer eine objektiv nachprüfbare Tatsache behaupte, müsse belegen können, dass die Behauptung wahr sei. Andernfalls laufe der Werbende Gefahr, wegen irreführender Werbung nach § 5 Abs. 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) abgemahnt zu werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 30. August 2017: "Reichsbürger"-Prozess eröffnet / Zweites G-20-Urteil / Fischer zeigt Gauland an . In: Legal Tribune Online, 30.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24197/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag