Ein bekannter chinesischer Bürgerrechtsanwalt wird vor Gericht gestellt und zeigt sich reuig. Außerdem in der Presseschau: Das Bundesverwaltungsgericht billigt die Gefährderabschiebung und die Blitzscheidung in Indien wird aufgehoben.
Thema des Tages
China – Anwalt vor Gericht: Der bekannte chinesische Bürgerrechtsanwalt Jiang Tianyong ist wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vor Gericht gestellt worden. Hierüber berichten u.a. zeit.de und SZ (Kai Strittmaier). Der Anwalt war in der Vergangenheit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammengetroffen, um über die Menschenrechtslage in der Volksrepublik China zu informieren. Zu Prozessbeginn zeigte er sich geständig und äußerte die Hoffnung, andere Aktivisten und Anwälte würden "eine Lektion lernen". Internationale Menschenrechtsorganisationen bezeichneten dieses Geständnis als erzwungen und sprachen von einer "Farce". Diplomatische Vertreter des Auslandes wurden von dem Prozess ausgeschlossen. Ein Termin zur Urteilsverkündung ist noch nicht bekannt.
Rechtspolitik
Interpol – "Red Notice": Nach der Verhaftung des türkisch-deutschen Schriftstellers und Erdoğan-Kritikers Doğan Akhanlı in Spanien hat sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für eine Überprüfung der polizeilichen Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der Türkei ausgesprochen und vor willkürlicher Verfolgung gewarnt. Dies meldet die taz. Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kritisiert in der SZ die Instrumentalisierung des Interpol-Fahndungsaufrufs, der sogenannten "Red Notice", durch autoritäre Regierungen. Interpol könne entsprechende Anträge mangels Ressourcen grundsätzlich nicht überprüfen, sondern nur vollstrecken. Um einen Missbrauch zu verhindern, plädiert Däubler-Gmelin dafür, den betreffenden Staaten die Prüfungskosten aufzuerlegen oder bei wiederholtem Missbrauch die "Red Notices" zu löschen.
Briefwahl: Robert Roßmann kritisiert in der SZ die vermehrte Zunahme der Briefwahl. Bei ihrer Einführung 1957 sei sie als Ausnahme, etwa für Kranke oder Urlauber, intendiert gewesen, seit ihrer Öffnung für alle im Jahr 2008 werde aber vermehrt aus purer Bequemlichkeit per Brief gewählt. Dies führe zu einer faktischen Vorverlagerung des Wahltermins, was den Verlauf des Wahlkampfes beeinflusse. Insbesondere gefährde die Briefwahl aber auch das Wahlgeheimnis, weshalb sie nicht noch weiter auszubauen sei.
Pilotprojekt Gesichtserkennung: Die Bundesregierung hat das Pilotprojekt zur intelligenten Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz gegen Kritik von Datenschützern verteidigt, wie lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet. Die Erhebung und Speicherung von Videodaten sei nach § 27 Bundespolizeigesetz (BPolG) zulässig, der Abgleich mit den Fotos einer Datenbank vom Einverständnis der Testpersonen gedeckt. Die Datenschutzorganisation Digitalcourage hatte am Montag kritisiert, bei dem Testversuch finde nicht nur ein Bildabgleich statt, sondern zudem würden auch Daten wie Beschleunigung, Temperatur und Neigung erhoben. Dies ermögliche einen Rückschluss darüber, was die Testpersonen außerhalb des Testgebiets machten. Das Bundesinnenministerium räumte zwar ein, dass diese Möglichkeit bestehe, von ihr werde im Rahmen des Pilotprojektes jedoch kein Gebrauch gemacht.
Air-Berlin-Darlehen: Rechtsanwalt Stefan Hertwig erläutert in der FAZ die europarechtlichen Vorgaben hinsichtlich des staatlichen Darlehens in Höhe von 150 Millionen Euro für die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin. Als Rettungsbeihilfe müsse es innerhalb von sechs Monaten zurückgezahlt werden, hierzu müssten alle Geschäftsbereiche des Unternehmens zum höchstmöglichen Preis veräußert werden.
IT-Infrastruktur: Nachdem mehrere große Internetunternehmen die rechtsextreme Online-Zeitung "The Daily Stormer" von ihren Diensten ausgeschlossen haben, ist eine Diskussion um die Zulässigkeit eines solchen Verhaltens entbrannt. Während manche die Maßnahmen als effektives Mittel gegen Hass und Extremismus loben, warnen andere vor undurchsichtigen Löschungsmechanismen und Missbrauchsgefahr. netzpolitik.org fasst die Debatte zusammen.
Justiz
BVerwG zu Gefährderabschiebung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Abschiebung zweier Terrorverdächtiger gebilligt, die mit dem "Islamischen Staat" sympathisieren und Gewalttaten geplant haben sollen. Dies melden lto.de, spiegel.de und Tsp (Jost Müller-Neuhof).
Die Männer sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und wurden nun nach Algerien und Nigeria abgeschoben. Zwar gehe von ihnen noch keine konkrete Gefährdung aus, indes reiche für eine Abschiebung nach § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG) eine auf Tatsachen gestützte Prognose, dass von der Person ein Risiko ausgehe, das jederzeit in einen Terroranschlag münden könne. Die betreffende Regelung ist bereits seit 2005 in Kraft, wird jedoch erst seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 vermehrt angewendet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Norm im Juli als hinreichend bestimmt und verfassungskonform gebilligt.
BVerfG zu Wohn- und Heizkosten: Die Sozialgerichte müssen im Eilverfahren zur Übernahme von Wohn- und Heizkosten genau prüfen, welche negativen Folgen dem Betroffenen im Einzelfall drohen, wenn die Kosten nicht übernommen werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, wie lto.de (Pia Lorenz) berichtet. Im konkreten Fall hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen einen Eilantrag auf Übernahme der Wohn- und Heizkosten in zweiter Instanz abgelehnt und darauf verwiesen, dass noch keine Räumungsklage erhoben worden sei. Weil der Kläger also noch nicht von Obdachlosigkeit bedroht sei, liege auch keine Eilbedürftigkeit vor. Eine solch verkürzte Prüfung des Eilbedürfnisses durch die Fachgerichte verletze den Kläger in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. IV S. 1 Grundgesetz (GG), befand nun das Gericht. Die Übernahme von Wohn- und Heizkosten diene nicht nur der Vermeidung von Obdachlosigkeit, sondern auch der Gewährleistung des Existenzminimums.
OLG Hamm zu Abschiebung nach Ruanda: Ein ruandischer Staatsbürger darf zur Strafverfolgung nach Ruanda ausgeliefert werden, wie das Oberlandesgericht Hamm entschieden hat. Dies berichtet lto.de. Dem Mann wird die Beteiligung am Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994 vorgeworfen. Es drohten ihm in Ruanda weder ein rechtsstaatswidriger Prozess noch menschenunwürdige Haftbedingungen. Das Gericht stützt seine Erwägungen auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes sowie entsprechende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda.
Rostock-Lichtenhagen: Anlässlich des 25. Jahrestages der Ausschreitungen vor einer Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen berichtet die Welt (Lucas Vogelsang) ausführlich über die damaligen Ereignisse. Die SZ (Barbara Galaktionow) widmet sich der mangelhaften strafrechtlichen Ahndung der Gewalttäter. Zwar wurden mehr als 400 Ermittlungsverfahren eingeleitet, jedoch nur 50 Täter verurteilt, von denen nur vier in Haft mussten. Die letzten Urteile wurden erst zehn Jahre nach der Tat gesprochen.
BVerfG – Volkszählung: Das Bundesverfassungsgericht wird am 24. Oktober über den Zensus des Jahres 2011 verhandeln, wie die SZ meldet. In dem Verfahren machen Berlin und Hamburg geltend, sie seien durch die Volkszählung kleingerechnet worden und hätten deshalb zu geringe Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich erhalten.
Recht in der Welt
Indien – Blitzscheidung aufgehoben: Der Oberste Gerichtshof Indiens hat die islamische Scheidung durch Verstoßung der Frau aufgehoben. Hierüber berichten FAZ (Till Fähnders), taz (Sven Hansen) und lto.de. Bisher konnten sich indische Muslime von ihren Frauen scheiden lassen, indem sie drei Mal in kurzer Zeit das Wort "Talaq" (Verstoßung) äußerten. Das Gericht hob diese Regelung nun als Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz auf.
Chile – Schwangerschaftsabbruch: Das chilenische Verfassungsgericht hat eine Lockerung des Abtreibungsverbotes genehmigt, die Anfang August vom Parlament beschlossen worden war. Hierüber berichten FAZ, spiegel.de und taz (Jürgen Vogt). Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt demnach bei Lebensgefahr für die Mutter, Vergewaltigung und tödlicher Erkrankung des Fötus erlaubt. Im Rahmen der Anhörung vor Gericht hatten 135 religiöse und politische Organisationen jeweils zehnminütige Stellungnahmen abgegeben.
Polen – Justizreform: Die Rechtswissenschaftlerin Magdalena Okonska analysiert auf juwiss.de die Ende Juli beschlossene dritte Empfehlung der EU-Kommission an die polnische Regierung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Darin rügt die Kommission insbesondere die geplante zwangsweise Versetzung der Richter des Obersten Gerichtes in den Ruhestand als Verstoß die Gewaltenteilung. Die Kommission hat der polnischen Regierung einen Monat Zeit gegeben, die Empfehlungen umzusetzen – andernfalls werde ein Verfahren nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) eingeleitet.
Sonstiges
"Hinter Gittern": In der Reihe "Hinter Gittern" befasst sich die SZ (Alexander Krützfeldt) heute mit Sucht und Drogen-Entzug von Inhaftierten. Die Möglichkeiten der Behandlung variierten dabei je nach Justizvollzugsanstalt, insgesamt allerdings erhielten nur fünf Prozent aller Strafgefangenen die Möglichkeit einer Substitutionsbehandlung.
Das Letzte zum Schluss
Apfelkönig: Der enttäuschte Verlierer einer Wahl zum Apfelkönig in Guben (Brandenburg) gibt so schnell nicht auf. Der 42-Jährige trat den Gang vor das Amtsgericht Cottbus an und verklagte den Gubener Tourismusverein als Ausrichter des Wettbewerbes auf mehrere Tausend Euro Schadensersatz, wie die SZ (Michaela Schwinn) berichtet. Sein Vorwurf: Die Wahl sei manipuliert gewesen. Ein Urteil wird für Anfang September erwartet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. August 2017: Bürgerrechtsanwalt vor Gericht / Gefährderabschiebung rechtmäßig / Blitzscheidung aufgehoben . In: Legal Tribune Online, 23.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24087/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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