Die Polizei hat einen Verdächtigen festgenommen, gegen den wegen eines Tritts an einer Berliner U-Bahn-Haltestelle ermittelt wird. Außerdem in der Presseschau: Facebook drohen Bußgelder wegen Fake-News und § 217 StGB wird ein Jahr alt.
Thema des Tages
StA Berlin – Tritt in Berliner U-Bahn: Die Berliner Polizei hat einen 27-Jährigen festgenommen, der verdächtigt wird, eine Frau in einer Berliner U-Bahn-Haltestelle so getreten zu haben, dass sie eine Treppe hinunter fiel. Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt einen Tötungsvorsatz, wie die Montags-FAZ (Matthias Härtle) schreibt. Reinhard Müller (Montags-FAZ) kritisiert, dass die Videoaufnahmen von der Tat nicht früher von der Polizei veröffentlicht wurden und fragt, ob dem Täter nicht sogar der Vorwurf des versuchten Mordes wegen Heimtücke zu machen sei. Für Heribert Prantl (Montags-SZ) ist es hingegen wichtiger, dass die Strafe "auf dem Fuße" folge: "Da muss die Justiz nicht noch monatelang prüfen, ob es sich vielleicht auch um einen Totschlagsversuch handeln könnte."
Die Montags-Welt (Thorsten Jungholt) beantwortet die wichtigsten Fragen zum Fall, auch zu möglichen Verteidigungsstrategien des Beschuldigten.
Rechtspolitik
Kindergeld für ausländische EU-Bürger: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat nach Berichten von Montags-SZ (Thomas Öchsner) und zeit.de Kindergeldkürzungen für ausländische EU-Bürger gefordert. Wenn deren Kinder nicht in Deutschland, sondern im Heimatland lebten, solle nur noch Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes gezahlt werden.
Thomas Öchsner (Montags-SZ) hält den Vorstoß für Symbolpolitik: "Europarechtlich wird es kaum möglich sein, das Kindergeld für solche Menschen zu kürzen." Reinhard Müller (Montags-FAZ) fragt hingegen, "ob das nicht in der Sache richtig ist und dem europäischen Geist entspricht: Dass es ein Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber keines auf Einwanderung in das deutsche Sozialsystem gibt."
Fake News: Die Koalition will stärker gegen Fake News auf Facebook vorgehen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte im Interview mit dem Spiegel (Horand Knaup/Marcel Rosenbach, spiegel.de-Zusammenfassung) einen Gesetzentwurf an, mit dem Facebook stärker in die Verantwortung genommen werden soll. Auch Justizminister Heiko Maas droht in der Samstags-SZ (Robert Roßmann) mit Bußgeldern, wenn Facebook Falschinformationen nicht schnell genug lösche. Auch die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt u.a.) berichtet.
Robert Roßmann (Samstags-SZ) fragt, ob "ein Privatunternehmen wie Facebook die richtige Instanz dafür [ist], um Fragen zu entscheiden, die auch die Meinungsfreiheit betreffen können". Eigentlich müsse das Sache der Justiz sein. Auch Hendrik Wieduwilt (Samstags-FAZ) kritisiert die Pläne. Nicht alles, was rechtsextrem ist, sei auch rechtswidrig. "Doch Feinheiten wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaat interessieren nicht mehr – es ist Wahlkampf."
Unterstützung erhält die Koalition hingegen von der Grünen-Politikerin Renate Künast, die im Interview mit der Montags-Welt (Philip Kuhn) über ihr Engagement gegen Fake News und Hate Speech sprach.
Urhebervertragsrecht: Der Bundestag hat eine Neuregelung des Urhebervertragsrechts beschlossen. Danach können zukünftig auch die Verlage an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften beteiligt werden, wenn der Urheber zustimmt. Die Urheber erhalten einen Auskunftsanspruch gegenüber den Verlagen. Zudem wurde ein Verbandsklagerecht geschaffen, das den Journalistenverbänden jedoch nicht weit genug geht. Es berichten die Montags-taz (Christian Rath), die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die Samstags-SZ (Detlef Esslinger).
Leistungskürzungen für Asylbewerber: Der Bundesrat hat die geplanten Leistungskürzungen für Asylbewerber vorerst gestoppt. Das melden zeit.de und die Samstags-FAZ (Andreas Mihm u.a.), die auch andere Beschlüsse des Bundesrats vorstellt. Wie die Montags-FAZ (Henrike Roßbach) berichtet, will Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) den Vermittlungsausschuss anrufen.
Strafschärfung für "gemeinwohlgefährdende Haltung": Der Bundesrat hat sich am Freitag mit einer Gesetzinitiative befasst, die den strafrechtlichen Schutz von Amtsträgern, Lehrern, Helfern und Ehrenamtlichen verbessern soll. Nordrhein-Westfalen hat vorgeschlagen, eine "gemeinwohlgefähdende Haltung" als strafschärfenden Umstand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Damit sollen nicht nur Vollstreckungsbeamte, sondern auch andere Berufsgruppen und Ehrenamtliche geschützt werden, schreibt die Samstags-FAZ (Reiner Burger).
Störerhaftung: Die Landesregierung von Schleswig-Holstein will einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der Lücken bei der Abschaffung der Störerhaftung schließen soll. netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) sprach mit dem Juristen und Piraten-Politiker Patrick Breyer, dessen Fraktion das Vorhaben angestoßen hat.
Justiz
BVerfG – Suizid-Beihilfe: Seit einem Jahr ist § 217 Strafgesetzbuch in Kraft, mit dem die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe gestellt wurde. Mittlerweile sind elf Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Die Samstags-FAZ (Oliver Tolmein) zeichnet die Debatte nach und gibt einen Ausblick auf die Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Eine einstweilige Anordnung hat Karlsruhe bereits kurz nach Inkrafttreten unter Berufung auf die Folgenabwägung abgelehnt. Die Samstags-taz (Waltraud Schwab) weist auf die Unsicherheiten hin, die bis zur höchstrichterlichen Klärung bei der Anwendung des Paragrafen bestehen. So habe es auch Ermittlungen gegen Palliativmediziner gegeben. In einem Interview mit der Samstags-taz (Waltraud Schwab) schildert Christiane zur Niedens, wie sie ihre Mutter beim "Sterbefasten" unterstützt hat. Christiane zur Niedens hat darüber ein Buch veröffentlicht und setzt sich für Selbstbestimmung am Lebensende ein.
BVerfG zu Polizeikessel bei Blockupy: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Cara Röhner und der Doktorand Maximilian Pichl kritisieren auf verfassungsblog.de die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeikessel bei den Blockupy-Protesten 2013 in Frankfurt. Der Beschluss stelle einen "schwerwiegende(n) Bruch mit der Rechtsprechungslinie seit Brokdorf" dar und bilde nur die polizeiliche Perspektive auf das Versammlungsgeschehen ab.
Macht des Bundesverfassungsgerichts: Anlässlich der Angriffe auf die Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen befasst sich Wolfgang Janisch (Samstags-SZ) mit der fragilen Macht des Bundesverfassungsgerichts: "Das Gericht ist keine Burg, es ist nicht von Mauern umgeben; es sind allein seine Bürger, die es schützen." Die Entwicklungen in Polen würden dazu zwingen, Gewissheiten zu überdenken. Institutionen hätten keine Ewigkeitsgarantie.
Divergenz beim BGH: lawblog.de (Udo Vetter) und blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) weisen auf widersprüchliche Entscheidungen des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hin. Während er in einem Beschluss vom Juni die Ansicht vertrat, dass der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln nicht strafrechtlich geschützt ist, und die Frage den anderen Senaten vorlegte, wurde jetzt eine entsprechende Verurteilung bestätigt. Diese Divergenz begründen die Richter mit abweichenden Sitzgruppen, die sich jedoch im konkreten Fall nur durch einen Richter unterschieden.
OLG München – Scheinterrorist: Der Spiegel (Martin Knobbe/Fidelius Schmid) berichtet vom Prozess gegen Ali R., dem vorgeworfen wird, sich in Syrien dem Islamischen Staat angeschlossen zu haben. Ali R. gibt an, sich beim IS eingeschleust zu haben, um seine entführten Kinder zu befreien, und mit Geheimdiensten zusammengearbeitet zu haben.
LG Bamberg – Tod in der Silvesternacht: Die Montags-SZ (Hans Holzhaider) schildert den Fall eines an Silvester getöteten Mädchens, der gerade vor dem Landgericht Bamberg verhandelt wird. Einem 54-Jährigen wird vorgeworfen, das Mädchen erschossen zu haben. Unklar ist jedoch, ob er vorsätzlich handelte und welche Motive er für die Schüsse hatte.
BGH zu Eigenbedarfskündigung durch GbR: Die FAS (Corinna Budras) beschäftigt sich mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs, dass auch der GbR ein Recht zur Eigenbedarfskündigung zusteht, und weist darauf hin, dass für eine solche Kündigung immer noch strenge Voraussetzungen gelten.
LAG Baden-Württemberg zu Beleidigung des Arbeitgebers: Die Beleidigung von Vorgesetzten auf Facebook kann unter Umständen eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden. Der Arbeitnehmer hatte seinen Chef auf der Facebook-Chronik eines Arbeitskollegen als "fettes Schwein" bezeichnet, wobei das Schwein durch ein Emoticon-Symbol dargestellt wurde. Das Gericht führte aus, dass diese Pflichtverletzung eine fristlose Kündigung rechtfertigen könne; im konkreten Fall sei dies jedoch wegen des über Jahre ungestörten Arbeitsverhältnisses unverhältnismäßig. Die Rechtsanwältin Doris-Maria Schuster stellt in der Samstags-FAZ die Entscheidung vor.
beA: Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) kann zunächst nicht in Kanzlei-Software integriert werden. Anwälte, die eine Kanzleisoftware nutzen, könnten das beA frühestens ab dem zweiten Halbjahr 2017 verwenden. Das teilte der Software Industrieverband Elektronischer Rechtsverkehr nach einer Meldung von lto.de mit. Unterdessen haben sich mehrere Anwalts-GmbHs mit einem Protestschreiben an den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, Ekkehart Schäfer, gewandt, weil dieser die Einrichtung des Postfachs bei GmbHs für unzulässig hält, so die NJW (Joachim Jahn).
Reichsbürger gegen Richter: Der Spiegel (Dietmar Hipp) hat Äußerungen von Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, aufgezeichnet, in denen dieser seine Erfahrungen mit "Reichsbürgern" schildert. Diese würden Justizangestellte und Richter persönlich angehen und bedrohen. Anfangs habe er noch versucht, mit den "Reichsbürgern" zu sprechen, aber das bringe nichts. "Unfug kann man ignorieren, bei Rechtsverstößen und strafbaren Handlungen hilft aber auf Deutsch gesagt nur eines: draufhauen."
Wettkampf um Nachwuchsjuristen: Die Gehälter von Berufseinsteigern sind bei Großkanzleien in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Bis zu 140.000 Euro können junge Juristen mit guten Examen als Einstiegsgehalt erwarten. Die Samstags-FAZ (Marcus Jung) beleuchtet die Entwicklung.
Recht in der Welt
USA – Präsidentenwahl: Anlässlich der heutigen Wahl des US-Präsidenten erklärt Rechtsprofessor Walter Haller im Focus das System der Wahlmänner. Dass alle Wahlmänner für den von ihrer Partei nominierten Kandidaten stimmen würden, sei nicht sicher. Zwar gebe es in manchen Staaten Gesetze, die die Wahlmänner binden, diese seien jedoch nicht gerichtlich durchsetzbar. Ob Strafvorschriften für abweichende Voten verfassungsgemäß sind, sei ungeklärt.
EGMR zu Lampedusa: Die Politikwissenschaftlerin Johanna Günther befasst sich auf verfassungsblog.de, die Jurastudentin Melina Lehrian auf juwiss.de mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache "Khlaifia and Others v Italy". Italien hatte drei tunesische Flüchtlinge erst auf Lampedusa, dann in Palermo inhaftiert und schließlich nach Tunesien abgeschoben. Nachdem die kleine Kammer noch eine Verletzung des Verbots der Kollektivausweisung und des Verbots unmenschlicher und erniedrigender Behandlung annahm, stellte die Große Kammer nur noch eine Verletzung Rechts auf Freiheit und auf effektiven Rechtsschutz fest.
Polen – Freiheitsrechte: In Polen protestieren Tausende gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten. Es sollen unter anderem die Parlamentsberichterstattung der Presse und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden, wie die Montags-SZ (Florian Hassel) und die Montags-taz (Gabriele Lesser) schreiben. In einem Kommentar spricht Florian Hassel (Montags-SZ) von einer Eliminierung des Rechtsstaats: "Polen lebt seit einem Jahr in einem Zustand konsequenten Rechtsbruchs von oben."
EU-Ukraine-Abkommen: In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessor Peter van Elsuwege mit einer Zusatzerklärung der Staats- und Regierungschefs der EU, die den Weg zur Ratifizierung des Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und der Ukraine ebnen soll. Die Ratifizierung war durch ein ablehnendes Referendum in den Niederlanden vorerst gestoppt worden.
Sonstiges
Klaus Kinkel: Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) und die Samstags-FAZ (Majid Sattar) widmen Klaus Kinkel zum 80. Geburstag jeweils einen Beitrag. Der FDP-Politiker und promovierte Jurist hat Anfang der 90er Jahre als Justizminister eine neue Linie im Umgang mit lange inhaftierten RAF-Terroristen eingeführt.
"Sharents": Der Focus (Verena Mengel) beleuchtet das Phänomen der "Sharents", Eltern, die Bilder ihrer Kinder im Internet teilen. Der Beitrag lässt die US-amerikanische Rechtsprofessorin Stacey Steinberg zu Wort kommen, die Verhaltensregeln für einen verantwortungsvollem Umgang mit Kinderfotos aufgestellt hat. Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger meint hingegen, dass Kinderfotos gar nichts im Netz zu suchen haben.
Verjährung: Forderungen aus dem Jahr 2013, die der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, können zum Jahresende verjähren. Die Montags-Welt (Berrit Gräber) erklärt, wie die Verjährung verhindert werden kann.
Legal Tech: anwaltskommunikation.de (Susanne Reinemann) erklärt den Begriff "Legal Tech", hinter dem sich "die Nutzung von computer- oder softwaregestützten digitalen Technologien in allen Bereichen von Rechtsdienstleistungen" verbirgt.
Schmutz- und Schundgesetz: Mit dem "Schmutz- und Schundgesetz" von 1926 befasst sich lto.de (Martin Rath). Das Gesetz zeichnete sich durch große Unbestimmtheit aus, wurde aber trotzdem im Reichstag u.a. vom späteren Bundespräsidenten Theodor Heuß verteidigt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. bis 19. Dezember 2016: Ermittlungen nach U-Bahn-Tritt / Koalition gegen Fake-News / Ein Jahr § 217 StGB . In: Legal Tribune Online, 19.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21504/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag